Tausende von Plastiksteinen. Gezählt hat man sie nicht, aber gewogen. Eine Tonne weißer Legosteine ließ Olafur Eliasson 2019 in die Turbinenhalle der Tate Modern in London kippen. »The cubic structural evolution project« war als partizipative Installation gedacht – bei freiem Eintritt konnten Erwachsene und Kinder eine riesige Stadt bauen. Das funktionierte hervorragend, die Steine wuchsen zu spektakulären Türmen heran, um von anderen wieder abgebaut und neu errichtet zu werden.
Die Faszination für Lego- und Klemmbausteine vereint Generationen, das lässt sich auch zu Pandemie-freien Zeiten in den Legoshops beobachten. Während sich der Nachwuchs am Bautisch vergnügt oder entzückt bunte Kartons aus den Regalen räumt, drücken sich die Väter vor Sets mit Star-Wars-Raumschiffen herum. Die heutigen Erwachsenen oder Eltern waren in den 70ern, 80er und 90er Jahren schließlich selber Kinder und haben meist wohlige Erinnerungen an das damalige Spielzeug. Die meisten von ihnen sind spätestens als Teenager*innen in die »Dark Ages«, die dunklen Jahre, gerutscht. So nennt die Szene jenen Zeitraum, in dem man sich eigentlich für andere Dinge interessiert als Klemmbausteine. Wer aus ihnen zurückkehrt, wird zum »AFOL«, zum »Adult Fan Of Lego«, mit der Legitimation, sich auch als Erwachsener für die Steine begeistern zu dürfen.
Köder sind immer mehr Sets mit popkulturellen Bezügen: Allen voran die Star-Wars-Lizenz, mit der es Lego Ende der 90er Jahre wieder aus der Verlustzone schaffte. In den vergangenen Jahren kamen Harry Potter, die Ghostbusters, der Herr der Ringe, die Simpsons, Friends, Big Bang Theory sowie Superheld*innen aus den Marvel- und DC-Comic-Universen hinzu. Oder etwa dieses kleine Retro-Set mit vier bunten und freundlichen Classic-Space-Astronauten aus den 80ern, das 2019 im Zuge des »The Lego Movie 2« erschien. Die Schwelle, sich als Fan seine Lieblinge in der Lego-Version ins Regal zu stellen, ist somit sehr niedrig. In eine ähnliche Richtung geht die »Architecture«-Reihe, aus der man sich Modelle des Guggenheim-Museums oder des Empire State Buildings im Micro-Maßstab zusammenbauen kann. Die Diskussionen um Geld und Platz mit den Ehepartnern folgt erst später – wenn es nicht mehr ein kleines Modell für den Schreibtisch sein soll, sondern etwa Legos Imperialer Sternenzerstörer, ein knapp ein Meter langer Trumm aus 4784 grauen Platten und Steinen für schlappe 699,99 Euro.

Rund um die »AFOL«-Szene etablieren sich immer mehr Youtube- und Twitch-Kanäle, in denen Sets live aufgebaut und vorgestellt werden. Hinzukommen Blogs wie »Promobricks« aus Swisttal bei Bonn oder »Stonewars« aus Wuppertal, die die Fans laufend mit Neuigkeiten, Reviews und Hintergrundtexten versorgen. Lukas Kurth, der Gründer von »Stonewars«, ist einer der typischen Lego-Rückkehrer: 1991 geboren, kam er als Kind 1999 in die erste Star-Wars-Welle zu »Episode 1«: »Das war dann etwa zwei Jahre ein sehr intensives Thema für mich«, erinnert er sich heute. 2013 ging es dann weiter mit dem X-Wing Starfighter der UCS Ultimate Collector’s Series, den Kurth während seines Maschinenbaustudiums von seinen Eltern zum Geburtstag bekam. 2017 startete er dann den Blog: Wöchentlich gibt es dort seitdem einen kundigen und höchst unterhaltsamen Podcast, in dem er sich mit seinem Kollegen Ryk Thiem über die Schönheiten und Schrecknisse der Lego-Welt unterhält.
Lukas Kurth mag es einfach, sich in Ruhe hinzusetzen und zu bauen. »Das hat für mich etwas Meditatives, weil es ein ganz einfacher Vorgang ist, wenn man nach Anleitung baut. Man macht dabei etwas mit den Händen, kann dabei gut den Alltag verarbeiten und Stress abbauen. Und nebenbei auch noch etwas hören oder schauen. Das ist eine schöne Nebenbeschäftigung.« Ansonsten sei er derjenige, der die Modelle gern im Regal stehen hat, entweder aus der Pop-Kultur oder jene, mit denen Lego heute gezielt an die Kindheit seiner Kund*innen anknüpft. Wie etwa mit den »Piraten der Barracudabucht« von 2020, eine Seeräuberspelunke auf einer Südseeinsel, die sich in ein Segelschiff umbauen lässt. Damit ist Kurth das Gegenteil jener »AFOLs«, die selbst aus einem riesigen Steinefundus »MOCs« (My Own Creations) entwickeln. Die haben aber seinen größten Respekt: »Ich bewundere Leute, die selber Sachen bauen. Wir haben bei uns im Team mit Jonas Kramm aus Dortmund jemanden, der extrem talentiert und einer der besten MOC-Bauer Deutschlands ist.«
Keine reinen Deko-Objekte
Erwachsene, die sich als Hobby mit Klemmbausteinen beschäftigen – dieser Trend hat in den letzten Jahren zugenommen, und es sind nicht nur nerdige, ältere Männer, die bauen. Lego umwirbt die Zielgruppe gezielt mit großen, hochpreisigen »18+«-Sets in eleganten, schwarzen Kartons, die natürlich keinen Schweinkram enthalten, sondern Orientierung im Spielzeugregal geben sollen. Die Konkurrenz der alternativen Klemmbausteinanbieter aus Polen und Asien, wie etwa Cobi oder Cada, stößt mit großen und günstigeren Sets in die Lücken des Marktführers, auch wenn es da teilweise große Qualitätsunterschiede gibt. Auch der Lockdown hat für zunehmendes Interesse gesorgt, Lukas Kurth hat das ebenfalls bemerkt: »Früher wurde man immer etwas belächelt, heute werde ich auf gewisse Sets direkt angesprochen und gefragt, ob ich die empfehlen kann. Etwa bei den ›Architecture‹-Sets oder dem neuen Lego-Blumenstrauß, der als reines Deko-Objekt dient. Dass das Interesse jetzt im Lockdown extrem zugenommen hat, merken wir auch an den Zugriffszahlen des Blogs.«
Bemerkbar macht sich der Lockdown auch in der Welt der Klemmbausteinkanäle auf Youtube. Henry Krasemann, Jurist aus Kiel und Kopf hinter dem Kanal »Klemmbausteinlyrik«, hat im Frühjahr 2020 die Initiative »Building Bricks for Happiness« ins Leben gerufen. In Streams treffen weitere Youtuber aufeinander, um stundenlang gemeinsam zu bauen, zu quatschen und das Publikum zu unterhalten. Ein höchst erfolgreiches Format, das die beiden Lager aus Lego-Fans und Anhänger*innen der alternativen Anbieter, die sich gern mal beharken, zum friedlichen Austausch zusammenbringt. Das gemeinsame Bauen, mit freundlicher Entspanntheit – das führt uns dann wieder zurück zu Olafur Eliasson. Dessen Idee könnte auch eine Anregung für Museen sein – einfach mal einen Raum mit Klemmbausteinen füllen und schauen, was passiert. Wird bestimmt gut.
Klemmbaustein-Blogs:
Klemmbaustein-Kanäle auf Youtube
#buildingbricksforhappiness
Klemmbausteinlyrik
Tim & Nando
Held der Steine
Johnny’s World
Grimmona
Bricks go WILD
HWBricks
JANGBRICKS
MOCs von Jonas Kramm: www.jonaskramm.com