Manchmal schleppte sie auf dem Weg in unsere Wohnungen gleich ihre Zahnbürste mit. »Habe meine Sachen gepackt und komme dich jetzt bald besuchen«, drohte sie auf einer ihrer Postkarten. Und das Problem war: Sie blieb. Seit Anfang der 90er Jahre schaukelte sie als »diddldolle Knuddelmaus« an den Rucksäcken (oft nicht mehr ganz so) junger Mädchen, saugte sich an den Fensterscheiben von Kleinwagen fest und nistete sich ein in Briefkästen und auf Geburtstagstischen. Nicht nur Kinder hatte die großfüßige Springmaus aus dem Käsekuchenland »superlieb«. Auch der Depesche-Vertrieb in Geesthacht fand den Hype um hunderttausendfach verkaufte Plüschtiere, Notizblöcke und Tassen wohl mehr als nur – so würde es Diddl ausdrücken – »okäse«. Bis er seine Lizenz Ende 2014 ernüchtert an den Diddl-Erfinder Thomas Goletz zurückgab. Diddls Knuddel-Diktatur war damit endlich vorbei. Doch was sollte auf ihren Riesenerfolg folgen?
Soundeffekte und Bling-Bling
Jedes Jahr gibt der Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels seine »Top 10« heraus. Und wieder ist es eine Maus, die 25 Jahre nach Diddls Erfindung dort auf Platz eins als (angeblich) beliebtestes Spielzeug steht: Sie heißt »Amazing Zhus« und gehört zu der Kategorie von Spielsachen, die die unabhängige Spielzeug-Expertin Ingetraud Palm-Walter wohl nie empfehlen würde. Denn die batteriebetriebene Maus macht auf Knopfdruck »200 lustige Geräusche« und tut so, als könne sie zaubern. Ihr »Spielwert«, so würde es Palm-Walter ausdrücken, ist nicht gerade hoch. Dafür fehlt es nicht an Soundeffekten und Bling-Bling. Denn vieles übernimmt hier die Technik. Doch warum verkaufen sich diese Zaubermäuse so gut?
»Natürlich interessieren sich Kinder erst einmal für Dinge, die Töne machen und bunt sind«, sagt die Erzieherin, die sich seit 30 Jahren für den Verein »Spiel gut« engagiert. Er arbeitet unabhängig von Unternehmen. Finanziert wird seine Arbeit unter anderem über den Verkauf von Ratgebern. Jedes Jahr testet »Spiel gut« an die 600 Neuheiten und zeichnet die besten aus. Im Gegensatz zum Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels gänzlich unabhängig von der Frage, ob sie sich auch gut verkaufen oder nicht. Untersucht werden Material und Gestaltung, Verpackung und Sicherheit, vor allem aber das »Entwicklungspotenzial«, das so ein Spielzeug bietet.
Unterstützt es die Kinder dabei, sich auszuprobieren, etwas zu entdecken, zu verstehen, zu improvisieren und zu konstruieren? Dann hat es gute Chancen, in die Liste der Empfehlungen aufgenommen zu werden. Schlichte Holzboote sind darunter, eine Variante der guten alten Memory-Karten oder eine Modellbaumaschine, mit der Kinder drechseln, sägen, bohren und schleifen können. Auch Plastikspielzeug wird befürwortet, wie etwa die kleine Figur der »Dressurreiterin Julia«, die die Firma Bullyland in ein lebensechtes Turnieroutfit gesteckt hat. Das entsprechende Pferd dazu müsste man sich allerdings noch kaufen. Kunststoff sei per se ja nicht schlecht, sagt Palm-Walter. »Wichtig ist eher, dass Material und Spielzeug zusammenpassen.« Legosteine aus Holz wären einfach undenkbar, schon deshalb, weil sie sich viel schwerer zusammen- und wieder auseinander bauen ließen.
Kreischende Baby-Telefone
Interessant ist, was Wissenschaftler über den Umgang mit Plastikspielzeug herausgefunden haben: In einer Studie der Northern Arizona University ließen sie Kinder zwischen 10 und 16 Monaten mit elektronischem und traditionellem Spielzeug spielen. Tatsächlich, so heißt es in einem Aufsatz im Jama Pediatrics-Journal, gab es für die Kinder messbare Nachteile. Allerdings, weil sich die Eltern einfach weniger mit ihnen beschäftigten, sobald sie statt eines Holzpuzzles einen sprechenden Bauernhof oder statt eines Steckspielzeugs ein kreischendes Baby-Telefon zur Hand nahmen. Der Nachteil elektronischer Spielzeuge ist, dass sie einfach weniger Kommunikation und Kreativität erfordern. »Vor allem kleine Kinder sollten Erfahrungen mit dreidimensionalen Dingen machen. Das geht mit einem Tablet oder Smartphone nun mal nicht«, sagt Ingetraud Palm-Walter. Digitale Weiterentwicklungen von Spielzeugen befürworte sie schon. Wichtig sei aber immer die Frage des richtigen Maßes.
Steiff, Lego und Playmobil
Gibt es eigentlich zu Unrecht vom Markt verschwundene Spielzeuge? Experimentier- und Baukästen würden heute kaum noch hergestellt. Dafür tauchen auf der »Spiel gut«-Liste in regelmäßigen Abständen die immer gleichen Namen auf. Sie heißen Steiff, Lego und Playmobil. »Einigen Unternehmen ist es gelungen, ihre Produkte weiterzuentwickeln«, sagt Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des deutschen Verbands der Spielwarenindustrie. So erfinde Lego immer neue Themenwelten und integriere in sie auch Digitales. Am Ende könnten die Kinder aber alles auch ganz neu und auf ihre eigene Art zusammenbauen. Auch der Klassiker unter den Gesellschaftsspielen, Monopoly, hat sich noch einmal erfunden: Gespielt wird rund um die Schlossallee nun bargeldlos und mit Kreditkarte. Und selbst Barbie hat sich verändert – es gibt sie jetzt auch in dick.
Die große Welt im Kleinen
Die Spielsachenproduktion verfolgt zwei Grundsätze, erklärt Brobeil: Erstens bilde sie immer die große Welt im Kleinen ab. Und zweitens habe jede Zeit ihre eigenen Materialien und Themen. In der Steinzeit formte man Tiere aus Ton für die Kinder, heute galoppierten die Kunststoff-Antilopen und Mini-Zebras von Schleich über die Wohnzimmerteppiche. Im Mittelalter probten Kinder auf Steckenpferden das Reiten. Heute rutschen sie auf Bobby Cars herum – aber, bitte schön, in der Porsche-Ausführung, als Traktor oder farbenfrohes Mini-Motorrad. Dafür finden sich kaum noch Cowboys und Indianer in den Läden, anders als vor 20 Jahren. »Es laufen ja auch nur noch wenige Western im Fernsehen oder werden entsprechende Bücher geschrieben«, sagt die »Spiel gut«-Expertin Ingetraud Palm-Walter.
Fest steht: »Der Nostalgiefaktor der Eltern ist inzwischen in unserer Branche ein wichtiges Verkaufsargument«, sagt Ulrich Brobeil. Das muss auch der Grund dafür sein, dass er auf der Nürnberger Spielzeugmesse die Monchhichis, diese daumenlutschenden Affen der 70er Jahre, wiederentdeckt hat. Kehrt also auch Diddl eines Tages als Kultobjekt zu uns zurück? Für ein Comeback müsste sie erst einmal eine lange Zeit vom Markt verschwinden. Darauf wollte der Diddl-Erfinder Thomas Goletz allerdings nicht warten: Er hat mit dem Kiddinx-Konzern gerade ein Revival beschlossen. Diddls »Lustiglaunewelt« wird nun »diddlital« – mit Apps, Online-Spielen und inzwischen über 50.000 Fans auf ihrer Facebookseite. Mögen die Schleich-Zebras und Steiff-Ponys uns beistehen. Oder wie würde es He-Man ausdrücken? »Wir haben die Macht.«