Ein bequemer Arbeitsplatz sieht anders aus. Martin Reinl kauert in der Kulisse von »Zimmer frei« hinter dem gelben Sofa, auf dem die Moderatoren Christine Westermann und Götz Alsmann mit ihrem prominenten Gast Platz genommen haben. Auf Reinls nach oben gestreckten Armen steckt jeweils eine Puppe, auf einem kleinen Monitor verfolgt er das Fernsehbild der Kameras. Er sieht seine Puppen Wiwaldi und das Alte Zirkuspferd während des Spielens spiegelverkehrt auf dem Bildschirm, muss sie gleichzeitig synchron mit verschiedenen Stimmen sprechen und zwischendurch witzig und geistreich auf die Einwürfe des Gastes und der Moderatoren antworten. Ist das nicht furchtbar anstrengend? »Nein«, lacht Martin Reinl. »Wenn man anfängt, sich Gedanken zu machen, was man da gerade tut, dann wäre es aus. Eigentlich mache ich ja nichts anderes als Fernsehgucken bei der Arbeit. Nur dass ich die Möglichkeit habe, Dinge zu beeinflussen.« Es sei im Grunde wie Autofahren, sagt Reinl. Wenn man es einmal begriffen habe, denke man auch nicht mehr darüber nach.
Der Mann hinter der Couch
Martin Reinl war bei »Zimmer frei« der Mann hinter der Couch, der bis auf wenige Sekunden im Abspann-Schwenk für die Zuschauer unsichtbar blieb. Seine Puppen sind dafür umso präsenter und haben sich durch die Jahre zu kleinen Persönlichkeiten entwickelt. Begonnen hat alles mit den sprechenden »Anspruchsvollen Rollen«, für die Reinl eine Nackenrolle, eine Toilettenpapierrolle und eine Küchenrolle mit Mündern und Augen zum Leben erweckte. Ebenfalls dabei: ein echter und schweigsamer Rollmops, leider ohne Dialog. Bei einer wöchentlichen Sendung wie »Zimmer frei« nutzten sich aber auch die schönsten Ideen irgendwann ab, und so durfte Reinl weitere Puppen entwerfen. Den etwas frechen, aber herzensguten Hund Wiwaldi, der dann Gesellschaft von einem späteren Publikumsliebling bekam – von Horst-Pferdinand, dem alten Zirkuspferd. Der schielende, freundlich-senile Gaul mit glitzerndem Bling-Bling auf dem betagten Haupt zeigt sich stets an den Gästen interessiert, unterbricht sie dann aber möglichst schnell, um einen alten Zirkus-Schwank zum Besten zu geben –und sich selbst darüber wiehernd kaputtzulachen. Dem Fernsehkoch Steffen Henssler hetzte Reinl den pöbelnden Blauen Hai auf den Hals, der zuvor zu lange in Weißwein geschmort wurde und den Koch entsprechend angeheitert von seinen Sangeskünsten überzeugen wollte: »Ich hab jetzt eine Fischplatte rausgebracht und singe Lieder wie: Flunder gibt es immer wieder!«
Kermit und Miss Piggy
Martin Reinl, der 1975 in Mainz geboren wurde, war schon früh von der Puppenwelt fasziniert. Von Kindesbeinen an. »Es gibt keinen Zeitpunkt, von dem man sagen könnte, da ging es los«, sagt Reinl. »Es war schon immer da. Anfangs waren das natürlich keine selbstgebauten Puppen, sondern eher Handpuppen von Kermit und Miss Piggy, mit denen ich gespielt habe.« Er blieb neugierig und begann, selber zu basteln und auszuprobieren. »Ich war damals schon so kreativ, dass ich mir irgendwelche Reste oder Schaumgummi gesucht habe. Damit habe ich erste Puppen gebaut. Später, als ich herumpubertierte, habe ich mir eine Videokamera gekauft, um meine ersten Sachen zu drehen.« Nicht Menschen hat Reinl aufgenommen, sondern immer nur Puppen.
Beruflich musste er seinen Weg erst finden. Er begann 1996 ein Kommunikationsdesign-Studium an der FH Wiesbaden, merkte aber schnell, dass ihn das »bewegtere Bild« mehr interessierte. Reinl bewarb sich mit einem ersten Puppen-Film erfolglos an den entsprechenden Hochschulen. Am Ende war nur noch die anerkannte Kunsthochschule für Medien (KHM) in Köln übrig. »Der Ordner mit den Absagen sollte vollständig sein«, grinst Reinl. Er stellte sich vor – und bekam einen Platz im Studiengang »Audiovisuelle Medien«. Seine Puppen entwickelte er während des Studiums weiter. Es folgten erste Stand-Ups. Irgendwann meldete sich das Fernsehen.
Im Puppen-Universum
Seitdem hat Martin Reinl ein ganzes Puppen-Universum geschaffen. In seiner Atelier-Werkstatt in einem Kölner Hinterhof sind sie auf Stöcken zwischengelagert und zu einer beeindruckenden Wand angewachsen. Die visuellen Vorbilder sind schnell ausgemacht: Jim Hensons »Muppet Show«. »Die Sendung ist ja auch schuld an meinem Leben«, bekennt Reinl freimütig. Natürlich sind seine Puppen keine Kopien, sondern Eigenkreationen mit liebevollen Zitaten, noch anarchischer und wilder als die Vorbilder. Monster, Tiere, Menschen und Gegenstände, nichts ist vor seiner Verpuppung sicher. Sprechende Zeitungsrollen, Spiegeleier, Zigarettenstummel und ein deprimiertes, beiges Frotteetuch mit Augen, der »Jammerlappen«, sind ebenso dabei wie Prominente. Karl Lagerfeld, Atze Schröder, Harald Glööckler hat es bereits getroffen, ebenso zwei Mainzelmännchen, die mit Kettenraucherstimme unflätig herumfluchen.
Nur die Kleidung der Puppen lässt er schneidern
Martin Reinl produziert von der ersten Idee bis zur fertigen Puppe alles selbst. Allein die Kleidung lässt er schneidern. In seinem Atelier stapeln sich Stoffrollen, dazu Requisiten- und Materialkisten, die mit »Nasen«, »Augen« oder »Altbackener Oma-Deko-Kram« beschriftet sind. Ein Paradies, nur – wie entstehen daraus letztendlich die Puppen? »Entweder habe ich einen Auftrag für eine Figur, oder ich habe einen Sketch auf dem Tisch, für den ich etwa einen Koala oder eine Ratte brauche. Zuerst mache ich eine Zeichnung, danach stellt sich die Materialfrage. Es schleift sich eine gewisse Routine ein, wenn man weiß, welches Material für welche Puppen in Frage kommt und wie es sich verarbeiten lässt. Schaumstoff ist immer das Grundgerüst, das dann mit Fell oder Flies-Stoff überzogen wird«, erklärt Reinl. »Man muss wissen, wo man hinwill. Das Schöne an dem Job ist, dass es keine Regeln gibt, und man sich kreativ austoben kann. Ich kann auch einfach Sachen behaupten. Bei mir sind ja viele Figuren sehr abstrahiert, das Zirkuspferd ist blau! Kein Mensch käme auf diese Farbe!«
Ist die Puppe fertig, muss sie verlebendigt werden. Sie braucht jemanden wie Martin Reinl, der ihr einen Charakter und eine Stimme gibt. Wie entstehen die Stimmen für seine Puppen? »Wenn ich eine Figur auf den Arm nehme, dann kann man schon durch ihr Aussehen erahnen, was sie für eine Stimme haben könnte. Manchmal kommt es auch auf den Charakter an. Wenn ich einen Hamster spiele, der als Steuerberater auftritt, dann spricht der etwas sortierter als einer, der an der Frittenbude arbeitet.«
Elmo spricht und spielt er seit 2012
Bei Elmo, dem roten Zottel aus der Sesamstraße, den Reinl seit 2012 in der deutschen Version sprechen und spielen darf, gab es konkrete Vorgaben. Zweimal hat sich Reinl mit dem amerikanischen Puppenspieler in New York getroffen, um an der Stimme zu arbeiten. »Am Anfang war ich sehr nah am Original und habe versucht, ihn zu imitieren.« Doch im Laufe der Arbeit hat sich die Rolle entwickelt und verändert. »Mit meinen eigenen Puppen ist es genauso: Irgendwann lande ich in einer Tonlage, die angenehm zu sprechen ist«. Wiwaldi hatte zunächst eine viel kratzigere und tiefere Stimme. Irgendwann ist der Hund dann in den Stimmbruch gekommen.
»Haselhörnchen – hier knallt die Ente«
In seinem Atelier zeichnet Reinl Puppensketche auf und produziert mit seiner Firma »bigSmile« Beiträge für Fernsehproduktionen. Kulissenteile werden hier gelagert, ein grünes Tuch wird als »Green Box« verwendet. Auch gepolsterte Rollwagen, auf denen Reinl und seine Kollegen während der Aufzeichnungen knien, warten auf ihren Einsatz. In der ehemaligen Autowerkstatt wurde die Kindercomedyserie »Haselhörnchen – hier knallt die Ente« für Super RTL gedreht, die 2009 mit dem EMIL, dem Preis für gutes Kinderfernsehen, ausgezeichnet wurde. Beiträge für Reinls WDR-Puppen-Latenight »Die Wiwaldi-Show« sind hier entstanden, ebenso die KIKA-Serie um die beiden Erdmännchen »Jan & Henry«. Das Wissensmagazin »Woozle Goozle« (Super RTL) hingegen wird in einem größeren Studio produziert.
Impro-Comedyshow für Erwachsene
Seit Ende 2016 geht es für »Zimmer frei« nach 20 langen Jahren nicht mehr weiter. Was nun, Herr Reinl? »Das war die tollste Spielfläche, die ich jemals hatte«, sagt der Puppenerfinder. Komplette Narrenfreiheit. Die meisten seiner Charaktere seien dort entstanden. »Das war ein großes Geschenk.« Und dann erinnert er sich an die Anfänge. Aus Zufall sei er damals in der Show gelandet. »Ich dachte, ich mache das mal eine Folge lang, und dann wurden es schließlich 15 Jahre.« Auch wenn die Pension Alsmann-Westermann nun geschlossen hat – Reinls Puppenwahnsinn geht seitdem weiter, mit »Jan & Henry« oder der »Wiwaldi-Show«. Im Musikclip zum Saisonhit »Jeck Yeah« der Kölner Brauchtumsrocker Brings ließ er seine Puppen tanzen und verwandelte auch die Bandmitglieder in flauschige Figuren. Zwischendurch steht er mit »Pfoten hoch«, seiner Impro-Comedyshow für Erwachsene, auf deutschen Kleinkunstbühnen.
Jemand sei ein Kind geblieben. Das klingt furchtbar kitschig nach Peter Maffay und Herman van Veen. Dennoch stellt sich die Frage, ob und wie weit Martin Reinl, der mit 40 Jahren noch mit Puppen spielt, seine Kindheit letztendlich zum Beruf gemacht hat? »Ich hatte einfach keine Lust, mich mit zu erwachsenen Dingen zu beschäftigen«, sagt Reinl. Andererseits ist das Alter aber auch kein Grund dafür, keine albernen Dinge mehr zu tun.
Mehr Infos und aktuelle Termine gibt’s auf Martin Reinls Homepage:
Fortlaufende Termine:
Jan & Henry: Immer mittwochs um 18.55 Uhr im »Sandmännchen« auf KIKA
Timster: Immer samstags, 17.45 Uhr, KIKA
Woozle Goozle: Täglich, 18.45 Uhr, SuperRTL und um 19.45 Uhr ToggoPlus
Sesamstrasse – mit Martin Reinl als Elmo und Grobi: Montags bis samstags, 7.45 Uhr, Kinderkanal