Das FrauenFilmFest in Köln unternimmt vom 29. März bis 3. April einen Streifzug durch die Welt, wie sie ist, aus weiblicher Perspektive. Wir stellen fünf Filme aus dem Programm vor mit den Sektionen Internationaler Spielfilmwettbewerb, Panorama und Fokus »Connection – Filme, die heilen«.
Die Einzelne
Costa Rica: »Clara Sola« von Nathalie Álvarez Meséng
Anders als das Aufbegehren der rumänischen Irina, ist die Revolte in »Clara Sola« eine stille. Eingebunden in die familiäre, matriarchalische Struktur und beherrscht von der streng katholischen Bindung mit Gebeten, Riten und Heiligenbildchen, wird die nicht gesunde 40-jährige Frau beinahe wie ein Kind bevormundet und dem Schutz der Jungfrau Maria unterworfen. Sie lässt es mit sich geschehen, voll von brennender Geduld und Angst-Neugier für ihr Fühlen und sexuelles Begehren. Fernsehen und Internet bringen eine andere freizügige Welt ins Haus, aber werden von der Großmutter argwöhnisch überwacht. Schimmel Yuca in seinem störrischen Freisinn, die Natur in ihrem zyklischen Verlauf, ihr magisches Wesen und fruchtbares Wachstum und der sich um sie bemühende Ofir sind in dem anmutig fotografierten, besonnenen Film für Clara Verbündete in ihrem fast stummen Bestreben nach Autonomie, das – hoch entzündlich – nicht friedlich vonstatten geht.
31. März, 20.30 Uhr, Odeon
Schwestern im Gleichgewicht
Der Eröffnungsfilm aus Brasilien: »Kevin« von Joana Oliviera
Am Bett ihres krebskranken Vaters erzählt Joana von einem Mutter-Baum und seinen kleinen Ablegern, den Baby-Bäumen rundum, die sich über unterirdische Wurzeln wechselseitig nähren würden. Einen solchen Austausch haben auch Joana und Kevin. »I miss you. You should be here.« Eine Sprachnachricht von Uganda nach Brasilien. Obwohl Joana eigentlich nicht die Zeit aufbringen kann, reist sie um die halbe Welt nach Afrika. Beide Frauen kennen sich seit 20 Jahren, als sie sich während ihres Studiums in Berlin trafen. Gemeinsam blättern sie durchs Fotoalbum, das sie als lachende Studentinnen der Filmhochschule zeigt. Kevin spricht auch noch Deutsch mit ihren drei Kindern.
Einmal spazieren sie über einen Schienenstrang und halten sich dabei an den Händen, was beider Gleichgewicht stabilisiert, wie sie feststellen. Sie gehen auf den Markt, kochen, machen Besuche und Ausflüge, sprechen über Lebensentscheidungen, Unsicherheiten, ihre Mutterschaft – und Kevin spricht über Deutschland und ihre Erfahrung damit, als fremd und anders wahrgenommen worden zu sein, sowie ihren Entschluss, diese Sicht auf sich und ihre Kinder zu ignorieren. Trotz der zeitlichen und räumlichen Distanzen hat sich für die Frauen die selbstverständliche Nähe ihrer Verbindung gehalten. Kevin erscheint äußerst klar, resolut, befestigt und selbstbewusst in ihren Haltungen und ihrer Alltagspraxis, um ihre verschiedenen Aufgaben und Rollen zu managen. Die Kamera begibt sich in eine beobachtende Position, die nicht den Eindruck vermittelt, sie würde Kevin anders betrachten als Joana, die Filmemacherin selbst, von der wir erfahren, dass sie ihr Baby verloren hat. Am Ende schneidet Kevin vor Joanas Abreise ihr auf deren Wunsch den Haar-Zopf ab. Auch darin zeigt sich Freiheit und Leichtigkeit, die die ganze Zeit über das Verhältnis der beiden Frauen bestimmt und spürbar sein lässt.
29. März und 1. April, 21 Uhr, Filmpalast
Die Verlorene
USA / China: »All About My Sisters« von Wang Qiong
Eine Langzeitbeobachtung. Während der Dauer von sieben Jahren hat Wang Qiong ihre Familie in ihrem Lebensalltag dokumentiert, sie befragt und dem inmitten der Mitglieder lastenden Trauma nachgespürt. Sie will verstehen. Deshalb habe sie den Film gedreht, »um zu wissen, was Du als Kind durchgemacht hast«, wie sie zur jüngeren Schwester Jin sagt. Die um 1990 auf dem Höhepunkt angelangte, bei Zuwiderhandlung streng geahndete Kampagne der Ein-Kind-Politik in China war Hauptursache dafür, dass das »baby girl« nicht zur Welt kommen sollte. Die Mutter habe gespürt, dass es ein Mädchen würde. Bei einem Jungen wäre es wohl anders gelaufen. Das Geschlechter-Gefälle hat sich nicht verändert – da wächst »Al about my sisters« ins Allgemeine hinein und erstellt einen Generalbefund. Abtreibungsversuche hat Jin überlebt. Als eines von unzähligen unerwünschten Neugeborenen wird sie von den Eltern, Reisbauern,ausgesetzt – in einem Orangenhain, versehen mit dem Geburtsdatum. Das Schicksal hatte gewürfelt. Ihren Geschwistern erging es anders. Später wird Jin von einem Onkel adoptiert.
Nun ist sie erwachsen und selbst Mutter. Was falsch an der Entscheidung war, hatte das Kind auf sich selbst bezogen: Sie war und muss falsch gewesen sein, wenn sie verlassen wurde. Jin wehrt sich, indem sie die Beziehung zu ihrer Familie abwehrt. In einer Mischung aus Gleichmut, emotionalem Unwohlsein, Bedauern und Zorn berichten die Angehörigen von den Vorgängen, deren Schmerz durch Tag und Traum zieht. »No« ist Jins letztes Wort, gefragt, ob sie die Eltern vermisse. Als Eindruck bleibt, dass sich in China eine große Müdigkeit über das menschliche Empfindungsvermögen angesichts der Ideologie des Materiellen breitet.
30. März, 20 Uhr, Filmforum
Auf und davon
Rumänien: »Blue Moon« von Alina Grigore
Komplizierte Verhältnisse. Geschiedene Eltern, diverse Brüder und Schwestern, Onkel, Tanten, Cousins. Viele reden mit, wenn es um die Entscheidung einer einzelnen Person geht, zumal, wenn die weiblich ist. Irina (Ioana Chitu), 22, will in Bukarest studieren. Ihr Vater, genannt »der Verstorbene«, weil er auf und davon ist, arbeitet in London, die Mutter führt die Familienpension, gelegen in der rumänischen Berglandschaft. Alle helfen in dem Gästebetrieb mit oder haben irgendwelche obskuren Geschäfte laufen. Alle machen Druck, ständig, zerren an Irina, manipulieren sie. Etwas wie ein unhörbares Störgeräusch läuft als Begleitmelodie durch »Blue Moon«. Nervosität liegt in der Luft und latente Aggressivität. Irina will raus. Aber sie kennt ihre Gefühle nicht. Der Weg ins Freie scheint ihr versperrt, auch vom eigenen Schatten, den sie wirft. Nach einer Party hat sie Sex mit einem Mann, läuft ihm nach, will keine »emotionale Beziehung«, wie sie sagt, aber schläft mit ihm. Der Zuschauer spürt, dass sich etwas aufstaut in der jungen Frau, ihrem Körper, ihrer Seele, ihrem Geist, dass sie nicht mehr reaktiv sein will. Falsche Ehrbegriffe, Komplexe, Männer, die ihre Schwachheit hinter Posen verstecken, Ohnmacht der Frauen – davon erzählt der Film, und von Irinas Schwester, die in einer Vollmondnacht etwas wagt. Irina versucht es auch. Das toxische Gebräu von Familie aber hat sie bereits zu sehr verseucht.
1. April, 20.30 Uhr, Odeon
Das Glück
Simbabwe: »Mother’s Day« von Tsitsi Dangarembga
Die ungehorsame Frau, die ihren Mann und Vater ihrer Kinder zu kritisieren wagt, weil er aus der Savanne nichts zu essen herbeischafft für seine Familie, sondern den Kleinen noch das bisschen Nahrung aus dem Topf wegnehmen will, wird von ihm in eine Tierfalle gelockt, aufgespießt und getötet. Ein afrikanisches Drama? Nein, ein Musical aus Simbabwe, inszeniert als 30-minütiger Kurzfilm, der eine krude Wahrheit anders formuliert und sie ironisch zur zweiten Wirklichkeit umwandelt: in einem Song der Kinder, der den Willen des Vaters bestätigt; in Tänzen lebensgroßer Termiten, die den Leichnam wiedererwecken. In einem Liebesduett, in dem das Paar sich »Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen« verspricht. Im Lobgesang von Heim und Herd. Happy Hour mit kannibalischer Mahlzeit von Mutterfleisch und Reklame-Glück. Damit sind die Machtverhältnisse jedoch nicht ein für allemal geklärt. Denn die Frau behält das letzte Wort. Wir denken an die unvergessene Agnès Varda und ihr feministisches Meisterwerk »Le bonheur – aus dem Blickwinkel des Mannes«.
3. April, 14 Uhr, Filmhaus
»Von Machtverhältnissen, Mutterschaft, und Termiten«
Ines Johnson-Spain im Gespräch mit Tsitsi Dangarembga über»Mother’s Day«
frauenfilmfest.com, 29. März bis 3. April, Köln
im Kölner Filmhaus, Filmforum des Museum Ludwig und im Odeon Kino sowie in der Dortmunder Schauburg