kultur.west: Herr König, seit 2015 gibt es das Wandgemälde mit Charakteren aus ihren Comic-Bänden an der Fassade des Brüsseler LGBTI-Zentrums »Rainbow-House«. Im vergangenen Jahr sprayten Unbekannte die Worte »Transphobia« und »Racism« auf Ihre Darstellungen einer Drag-Queen und einer lesbischen, schwarzen Frau. Im Frühjahr hat Ihnen das »Rainbow-House« eine zweiseitige Mail geschrieben, mit der Aufforderung, beide Figuren zu ändern, sonst »hätte man keine andere Wahl, als einen anderen Künstler zu bitten, ein Ersatzbild zu entwerfen«. Wie war Ihre Reaktion auf das Schreiben?
RALF KÖNIG: Also, die Sprayer waren wohl nicht unbekannt, die kamen ja aus den eigenen Reihen des »Rainbow-House«. Es muss schon vorher heftigen internen Streit gegeben haben, von dem ich aber nichts wusste, und die Sprayer machten quasi kurzen Prozess. Ich bekam zuerst eine betretene, entschuldigende Mail. Die Auftraggeber, die vor fünf Jahren das Bild mit mir eingeweiht hatten, waren wohl ebenso überrumpelt wie ich. Dann hörte ich über ein halbes Jahr nichts mehr. In dieser Zeit hatte dort ein Generationswechsel stattgefunden, jedenfalls bekam ich diese zweite Mail, in der mir von einer Aktivistin erst einmal erklärt wurde, was Karikatur darf und was nicht. Was ich spontan ein bisschen anmaßend fand. Sowohl von der Spray-Aktion wie von dieser Mail war ich ziemlich irritiert und dann auch angepisst. Ich meine, rassistisch und transphob, das sind schon harte Vorwürfe.
kultur.west: In dem Brief stört man sich an den Lippen der schwarzen Aktivistin, die vor der Regenbogenflagge die Faust hochreckt: »Diese Darstellung hat ihren Ursprung in rassistischen und kolonialistischen Bildern, in denen die Körpermerkmale schwarzer Menschen oft auf wenige oberflächliche Merkmale reduziert wurden. Zudem wirkt ihr gesamter Gesichtseindruck unintelligent und abweisend.«
KÖNIG: Das mit dem »unintelligent« und »abweisend« verbuche ich mal unter Blödsinn. Aber die Lippen – ich weiß noch genau, dass ich die bewusst lippenstiftrot gemalt habe, weil die Figur für mich positiv und selbstbewusst ist. Und wer bei mir Lippenstift trägt, hat automatisch diese dicken Lippen, ob Frau oder Tunte oder schwarze Lesbe. Allerdings würde ich das heute nicht mehr so arglos wiederholen. Ich habe gelernt, dass sich Schwarze durch solche Bilder verhöhnt fühlen können, Belgien hat da seine ganz eigene Geschichte. Das Ganze hat auch mit schlechter Kommunikation zu tun. Wenn man mich schon beim Entwurf gebeten hätte, die Lippen anders zu gestalten, hätte ich sicher nicht geblockt, aber erst übersprühen und dann belehren geht gar nicht.
kultur.west: Des weiteren wurde die Drag-Queen als »trans frau« interpretiert, die keine Bartstoppeln und Körperbehaarung haben dürfte. Und außerdem: »Sie steht isoliert von der Gruppe und ist die einzige Person mit einer deprimierten Haltung, herunterhängenden Armen sowie einem leeren und stumpfen Blick.«
KÖNIG: Das ist nun echt nicht ernst zu nehmen. Wo steht die Tunte denn isoliert, das ist doch Gruppenbild mit Dame, quasi. In der Mail stand auch, die Figur sei traurig, weil sie dick ist, also auch noch dickenfeindlich! Da geht die PC-Opferrolle wirklich mit ihnen durch. Ich habe im Leben noch nie eine Transfrau gezeichnet, das wird vielleicht mal Zeit, aber das ist eine profane Trümmertunte, die zeichne ich seit 40 Jahren! Die will schräg aussehen und debil gucken! Ich hatte selbst meine spaßige Drag-Phase, da muss mir keiner was erzählen.
kultur.west: Da kommt einiges zusammen – ein bedenkliches Verständnis der Kunstfreiheit, die Tatsache, dass man sich mit dieser Mail hinter die Sprayer stellt und die scheinbare Nichtkenntnis Ihrer bisher erschienenen Comic-Bände. Ihr Zeichen-Stil ist seit Jahrzehnten bekannt, genauso wie Ihr gesellschaftliches Engagement. Warum kommen jetzt diese Anfeindungen gerade aus der Queer-Community? Oder gab es bereits andere Fälle?
KÖNIG: Nein, das war das erste Mal. Ich hatte eher damit gerechnet, dass das Bild nachts von Schwulenhassern übersprüht wird, aber nicht von den eigenen Leuten. Stimmt, die, die mir das vorwerfen, haben vermutlich noch nie einen Comic von mir gelesen, obwohl es die in französischer Übersetzung gibt. Die sind jung, die wissen gar nicht mehr, wer ich alter Sack bin und wofür ich mit meinen Geschichten stehe. Gegen den wirklichen Rassismus in der Welt kommt man nur schwerlich an, da ist es einfacher, sich auf Comicfiguren zu stürzen. Da hat man auch gleich den Täter, nämlich den Zeichner. Es gibt solche Diskussionen auch bei Asterix oder Lucky Luke. Ich kann dem nicht folgen. Ich habe als Kind begeistert Lucky Luke gelesen und sicher keine rassistischen Einstellungen über Indianer und Chinesen davongetragen. Ich habe ihnen geschrieben, sie können das Bild von mir aus übermalen, wenn sich wirklich jemand beleidigt oder verletzt fühlt. So besprüht und mit einem erklärenden Schild versehen, macht es doch ohnehin nicht mehr viel Spaß.
kultur.west: Gab es so etwas wie eine Einigung?
KÖNIG: Mein letzter Stand ist, dass man eine Plakette anbringen will, die auf die »Problematik« hinweist. Klar wäre es schade, wenn es doch übermalt werden würde. Ich kriege immer noch Fotos von gut gelaunten Schwulen gemailt, die sich vor die gezeichnete Figur Paul stellen und – wie er – das T-Shirt hochheben. Aber das sind natürlich weiße Cis-Männer, die haben angeblich weniger Probleme.
kultur.west: In »Stehaufmännchen«, Ihrem neuen Comic-Band, trifft der frühmenschliche Australopithecus Flop in der Savanne auf ein gegenwärtiges, ignorantes Urlauber-Ehepaar. Das ist Ihre ganz persönliche Version der Evolution, »eine humane Tragödie«. Warum so pessimistisch – war es ein Fehler, aufrecht zu gehen? Hätte es uns eine Menge Ärger erspart, wenn wir auf den Bäumen geblieben wären?
KÖNIG: Na ja, die Frage mag müßig sein, aber die stellte ich mir eben. An welchem Punkt der Evolution sind wir falsch abgebogen und haben uns von den natürlichen Kreisläufen entfremdet? Da kann man vom Faustkeil bis zur Herstellung von Plastikmüll eine direkte Linie ziehen. Uns fallen mit diesem großen Hirn Dinge ein, die unser Leben zwar bequem machen, aber das geht immer auf Kosten der Umwelt. Ich bin wie Flop Kulturpessimist, weil ich nicht sehe, wie wir noch die Kurve kriegen können: Artensterben, Erderwärmung, Überbevölkerung, Massentierhaltung, so unendlich viele Probleme. Und unsere Alphamännchen heißen Trump und Bolsonaro!
kultur.west: Haben die Brüsseler Ereignisse Ihre Arbeit an »Stehaufmännchen« beeinflusst?
KÖNIG: Nein. Die besagte Mail kam erst nach Abgabe, und die Übersprühung hatte ich nach der ersten Empörung schulterzuckend zur Kenntnis genommen. Ich hoffe ohnehin, dass diese neuen Empfindlichkeiten nie Einfluss auf meine Dialoge und Geschichten haben. Im Gegenteil, ich denke über ein Buch über dieses Thema nach. Und ich bin froh, dass ich schwul bin! So wie ich mit Sexualität umgegangen bin, immer aus der Testosteron-Perspektive, das konnte ich nur machen, weil es allermeistens um Männer unter Männern ging. Wenn ich solche Geschichten mit Frauen als Objekt der Begierde gezeichnet hätte, wäre ich längst der Sexist der Nation.
kultur.west: Auf dem Cover von »Stehaufmännchen« ist der mürrische Erec abgebildet, in dessen früher Version sein großer Hodensack zu sehen war. Von der Verlagsseite her musste das Motiv geändert werden. Warum? Das Buch ist voll mit prächtigen Hoden?
KÖNIG: Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie auch von den Medien alles gleich aufgeplustert wird. Der Vertrieb bei Rowohlt hatte angemerkt, dass man mit dem Buch womöglich Leser anspricht, die zum Beispiel meinen »Prototyp« mochten, meine Version der biblischen Schöpfungsgeschichte, die wären vielleicht abgeschreckt von dem großen Hodensack. Ich war von der Arbeit an »Stehaufmännchen« so abgenervt, dass ich nicht protestiert habe, ich hab nur seufzend diesen brennenden Ast drüber geklebt und gut war’s. Bis ich diese Anekdote im Nebensatz einem Journalisten erzählt hatte. Prompt hieß die Headline »Ralf König streitet mit Rowohlt-Verlag über Hängehoden!« Aber es gab keinen Streit und schon gar keine »Hängehoden«! Das sind pralle, formschöne Eier!
kultur.west: Ist es anstrengend, wenn so eine Sache mit dem Wandbild mehr Beachtung findet, als Ihre aktuellen Arbeiten?
KÖNIG: Klar, etwas mehr Aufmerksamkeit für das Buch würde ich mir wünschen, immerhin hab’ ich da 14 Monate schwer dran gesessen. Aber heute ist etwas Neues für circa zwei Wochen der heiße Scheiß, dann gibt’s wieder was anderes und sowohl Comic als auch Wandbild sind von gestern.
Ralf König, 1960 in Soest geboren, studierte freie Grafik an der Kunstakademie Düsseldorf und veröffentlichte ab 1980 Comics in Gay-Magazinen. Bis heute erschienen zahlreiche Comic-Bände, darunter »Der bewegte Mann«, die in 18 Sprachen übersetzt wurden. Ausstellungen und Auszeichnungen folgten, wie der Max und Moritz-Preis sowie der Wilhelm-Busch-Preis für sein Lebenswerk. Ralf König lebt und arbeitet in Köln und Berlin.
Ralf König: »Stehaufmännchen«Rowohlt Verlag, 24 Euro
Lesung am 25. Oktober 2019 im Ballhaus im Nordpark, Düsseldorf