Das kann doch niemand überlebt haben! Eine Schädeloperation mit nichts als einem Stein? So war das damals, vor rund 7000 Jahren. Das verdeutlichen der scharfe Achat und der spitz behauene Flint in der ersten Vitrine im Medizinhistorischen Museum Köln. Doch, meint Manuela Mirschenz, überlebt hätten die Patienten schon, das würden archäologische Funde belegen. In welchem Zustand sie sich allerdings danach befunden hätten, das könne man heute nicht mehr sagen. Gegenübergestellt hat sie den beiden Steinen ein Feldarzt-Besteck aus dem Zweiten Weltkrieg, mit dem Notoperationen auf dem Schlachtfeld durchgeführt wurden – ebenfalls unter unvorstellbaren Bedingungen.
Aus solchen Zusammenhängen erzählt Manuela Mirschenz ihre Geschichten zur Geschichte der Medizin – entweder mit dem Audioguide oder persönlich bei einer Führung. Auf nur 100 Quadratmetern in der Kölner Altstadt nimmt sie die Besucher*innen mit auf einen Rundgang von der Reiseapotheke der Gletschermumie Ötzi bis zu den Pandemien heutiger Tage. Dabei hat sie gar nicht viele Stücke, davon auch nur wenige Originale. Dafür aber hat die Archäologin sich genau überlegt, welche Aspekte sie beleuchten möchte. Sie knüpft an allgemein Bekanntes an und geht dann in die Tiefe: Am Beispiel des berühmten Ötzi erklärt sie natürliche Heilmittel. Vom Hippokratischen Eid hat jeder schon einmal gehört, aber wer außer Ärzten hat ihn gelesen und weiß, dass er Abtreibung, Sterbehilfe und Schweigepflicht behandelt – aber auch die Behandlung von Blasensteinen verbietet? Für medizinische Laien ist das kleine Privatmuseum in der Altstadt eine Wissens-Fundgrube. Aber auch Fachleute gehören zum Publikum: Ärzte schätzen den anderen Blick auf ihren Beruf und Pflegefachschulen oder Uni-Seminare buchen Gruppenführungen. Die allerdings müssen getrennt herumgeführt werden – mehr als zwölf Personen gleichzeitig sind in dem Kellergeschoss nicht gestattet.
Das war in den 1970er und 80er Jahren mal die Diskothek Kauri-Keller – nur das Treppengeländer mit den eingearbeiteten Noten erinnert noch daran. »Als Archäologin habe ich es nicht übers Herz gebracht, dieses Zeitdokument des Gebäudes entfernen zu lassen«, meint Manuela Mirschenz. Das Beste, was von den Vorbesitzern übriggeblieben wäre, sei aber die marmorne Tanzfläche. Die hat sie inspiriert zur griechischen Abteilung, mit den zentralen Stars Äskulap und seiner Tochter Hygeia vor der blauen Wand, die den griechischen Himmel symbolisiert.
Salbgefäße und Heilsteinkunde
Eine Ausstellung ganz nach ihren eigenen Vorstellungen zu verwirklichen war ein Wunsch, den Manuela Mirschenz schon seit einigen Jahren hatte. »Das ließ mich nicht los und dann habe ich darauf hin gespart«, erzählt sie. Im September 2021 wurde das private Museum eröffnet, davor arbeitete sie im LVR Landesmuseum Bonn und betreute und leitete Forschungsprojekte, zum Beispiel zum Rhein als europäische Verkehrsachse. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über die Römer und Germanen. Jetzt also Medizin. »Als Archäologin kann man sich in jedes Thema einarbeiten«, ist sie überzeugt, »ich habe aber schon im Studium gehofft, dass Medizin zum Schwerpunkt wird. Schon im zweiten Semester habe ich chirurgisches Besteck analysiert«.
Der Zusammenhang zwischen Naturwissenschaft und Archäologie ist Manuela Mirschenz besonders wichtig, das wird in der Ausstellung deutlich. Früher hätte die Archäologie den Historikern zugearbeitet und mit der Interpretation eines Fundes aufgehört. Heute, so betont sie immer wieder, könne man alle Funde mit neuen Methoden wissenschaftlich analysieren. Eigentlich müsse man alle archäologischen Stücke, die je gefunden wurden, noch mal untersuchen – und es wirkt so, als wolle sie sofort damit beginnen.
So zum Beispiel beim Doppelsalbgefäß, einem Originalstück aus der Römerzeit, in dem sich noch ein Rest des Inhalts befindet. Das Gefäß ist aus Glas, damit man den Inhalt besser sehen kann, aber auch, weil es so leichter in der Hand aufzuwärmen ist und die Salben mit dem noch vorhandenen Spatel besser entnommen werden können. Der Form nach stammt das Salbgefäß aus dem östlichen Mittelmeerraum, würde man den Inhalt jetzt wissenschaftlich analysieren, so Mirschenz, könne man jetzt überprüfen, ob es auch dort befüllt wurde.
Von der Medizin im Imperium Romanum geht es weiter zur Klostermedizin. Im Lorscher Arzneibuch stehen insgesamt 482 Rezepte gegen sehr konkrete Leiden. »Da haben die Leute total Spaß, darin rumzublättern», erzählt Manuela Mirschenz, »und man braucht einen Moment, um herauszufinden, wie es geordnet ist: Es geht vom Kopf bis zu den Füßen«. Die allseits bekannte Hildegard von Bingen markiert das Ende der Klostermedizin, sie aber hätte dem schon lange bekannten Wissen eigentlich nichts Neues hinzugefügt. Nur die Heilsteinkunde sei eine Neuerung gewesen – und Mirschenz ist anzusehen, was sie davon hält. Trotzdem hat sie die Edelsteine in einer Vitrine ausgestellt – bis auf den Diamanten. Der war dann doch zu teuer für die private Sammlung.
Gerne würde sie die ausweiten auf weitere Etagen des Hauses. Oder das kleine gegenüberliegende Gärtchen mitnutzen. Die Rahmenbedingungen für die Gründung des Museums aber waren schwierig, erst ein zweiter Corona-Winter und nun die steigenden Energiekosten. »Der Break Even Point hat sich sehr weit nach hinten geschoben«, stellt Manuela Mirschenz fest. Ohnehin könne sie nicht mehr als eine Kostendeckung erreichen, denn sie bekäme keine Förderung und könne die Eintrittspreise auch nicht unbegrenzt anheben. »Aber ich habe mir gesagt: Wenn ich das nicht probiert habe, werde ich es mir nicht verzeihen.« Begeistert erzählt Mirschenz, wie viele unterschiedliche und vor allem junge Leute sie mit ihrem Thema erreicht: »Es gab kaum etwas Erfüllenderes, was ich in meinem Leben gemacht habe.«