Es war die große Zeit der Friedensbewegung. Hunderttausende gingen auf die Straßen, um gegen das Wettrüsten und den NATO-Doppelbeschluss zu demonstrieren. Damals, Anfang der 1980er Jahre, begann Boris Becker, sich jenem grauen, groben, unwirtlichen Motiv zuzuwenden: Bunker, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg zu Hunderten in deutschen Städten stehengeblieben waren. Schon als Student in Berlin hatte er sich dafür interessiert, und mit dem Wechsel in die Fotoklasse von Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie ging er das Thema ab 1984 mit viel Ehrgeiz und Ausdauer systematisch an. Der Professor und seine Frau Hilla hatten es vorgemacht mit ihrem strengen fotografische Blick auf die schwindenden Zeugnissen der Industrialisierung: Silos, Hochöfen, Fördertürme…
Hintergründe über Standorte und die Geschichte
Beckers Weg war ähnlich, als er die Funktionsbauten aus der Zeit des Nationalsozialismus ins Visier nahm. Über fünf Jahre reiste er herum, suchte und erforschte jene Fremdlinge in der befriedeten Umgebung. In 45 westdeutschen Städten zwischen Aachen und Wuppertal fotografierte er Hochbunker, komplett und in Details. An die 900 Aufnahmen sind nun versammelt in einem dicken Katalogbuch. Die Ausstellung in der Photographischen Sammlung der Kölner SK-Stiftung zeigt einen Querschnitt und legt neben die Bilder an den Wänden Schriftstücke in eine Vitrine. Beispielhafte Briefe, wie Becker sie zu hunderten geschrieben haben muss, um in jener Zeit vor dem Internet Informationen über Standorte und die Geschichte der Bauwerke zu sammeln.
Erschwert wurde die Recherche gewiss durch die Tarnkünste dieser Architekturen. Denn ganz anders als die von den Bechers abgelichteten Industriebauten, die ihre Funktion offen zur Schau stellen, versucht der Bunker seinen Zweck zu verbergen. Dabei nimmt er zum Teil bizarre Formen an, was der Kölner Ausstellung einen gewissen Kick verleiht. So fand Becker in Hannover einen Bunker, der einer Kirche ähnelt, in Köln schaut er aus wie ein Wasserturm. Beim Münchner Modell denkt man an Schlossarchitekturen, und in Düsseldorf gibt die militärische Schutzanlage vor, ein Gutshof zu sein. Bremen tarnt den Bunker als Bergfried, Leverkusen gibt ihm den Anschein eines Gewerbebetriebs. Becker hält diese teils skurrilen Bauwerke in ruhigen Schwarz-Weiß-Ansichten fest, veranschaulicht ihre Statik; ohne jede Dramatik.
Botschaften aus der Spraydose
Die meisten der abgelichteten Bunker wurden in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs eilig hochgezogen. Doch weisen sie nicht nur in jene finstere Zeit zurück. Oft haben sie auch etwas über die 1980er Jahre zu erzählen, etwa wenn parkende Autos, Plakatwände und Botschaften aus der Spraydose ins Spiel kommen. Oder wenn die Bunker neue Bestimmungen als Büro, Wohnhaus oder Getränkemarkt gefunden haben. Richtig bunt wird es im letzten Raum der Ausstellung, wo die Bunkermauer als Leinwand herhält. Die malerischen Verschönerungsversuche der 1970er und 1980er Jahre dokumentiert Becker ausnahmsweise in Farbe: Regenbogen, Sternenhimmel, Fußballspieler oder Fachwerkbalken machen sich auf den Betonwänden breit. Bremen widmete einen seiner Bunker 1984 per Wandbild »Den Gegnern und Opfern des Faschismus«. Seit drei Jahren steht die großflächige Malerei unter Denkmalschutz – und bewahrt den Bunker vor der Abrissbirne.
PHOTOGRAPHISCHE SAMMLUNG DER SK-STIFTUNG, KÖLN
BIS 9. FEBRUAR 2020