Am schönsten war es, wenn alles eskalierte. Wenn Christine Westermann und Götz Alsmann mit Claude-Oliver Rudolph matrosenbemützt unter dem Esstisch lagen und »Das Boot« nachspielten, indem sie Rollschuhe, auf denen Schlangengurken geschnallt waren, als Torpedos verschossen. Als sich in der letzten »Zimmer frei«-Sendung Mary Roos lachtränenverschmiert durch ein riesiges Bällebad grub, um Einzelteile von Maskottchenkostümen zu finden. Oder wenn beim kollektiven Schlagerraten alle Gäste wild umeinanderschnatterten, so dass Assistentin Nina resolut dazwischengehen musste.
Nina Windisch, die Frau, die »Assistentin Nina« war, sitzt im Café Funkhaus am Kölner Wallrafplatz, ist hauptberuflich Spieleentwicklerin und bugsiert vorsichtig einen schaschlikgroßen Spieß mit rustikalen Ingwerstücken aus ihrem Teeglas. Neun Jahre lang hat sie bei »Zimmer frei« gearbeitet, hat sich mit Kollegen Spiele für die Sendung ausgedacht und war jene Assistentin, die im Glitzerkostüm und fanfarenumtost das Studio enterte, um die Spiele zu erklären und aufzupassen, das alles seine Ordnung hatte. Bei »Zimmer frei« sei die Spieleentwicklung eigentlich recht einfach gewesen, sagt sie ironisch lächelnd. »Am Ende gewinnt Götz. Das war die Spielregel.«
»Es war nicht wichtig, wer am Ende gewinnt«
Der
Weg dorthin war alles andere als gerade – Spieleentwicklerin ist
schließlich kein Ausbildungsberuf. Man kann heute zwar Game-Design
studieren, das bezieht sich aber hauptsächlich auf Computerspiele.
Nina Windisch hat Germanistik, Philosophie und Romanistik studiert,
wollte aber immer »schon
was mit Medien«
machen; arbeitete bei der Kölnischen Rundschau, beim Radio und der
Oper Köln und landete nach dem Studium bei »Zimmer
frei«.
Von der Arbeit dort schwärmt Windisch heute noch: »Es
gab Dossiers mit Hintergrundinfos über die Gäste, daraus konnte man
sehr gut Spiele entwickeln. Da standen Dinge drin wie ›hat
als Kind immer Nudeln auf seiner Pizza haben wollen‹
und daraufhin hat man sich wilde Kombinationsspiele ausgedacht. Das
ist sehr dankbar, über Biografien an Spielideen zu kommen. Das Tolle
an der Spielentwicklung bei ›Zimmer
frei‹
war, dass es nicht wichtig war, wer am Ende gewinnt. Man hat gesehen,
dass alle eine Menge Spaß hatten. Das war schön.«
Die
Wahl-Kölnerin arbeitet projektbezogen und muss sich dabei mit den
externen Anforderungen herumschlagen: Wie hoch ist das Budget?
Spielen Prominente oder Nicht-Prominente, wird um Geld gespielt,
braucht man dafür Kostüme? Auf die Frage, ob es schwierig sei,
immer wieder auf frische Ideen zu kommen, zitiert sie nüchtern die
Bibel: »Es
gibt nichts Neues unter der Sonne! Auch wenn die Fernsehmacher das
gern sehen würden. Kreatives
Arbeiten ist immer auch Transformation, wo man etwas auf den Kopf
stellen und neu denken kann.«
Woher
kommt bei ihr die Inspiration für neue Ideen? »Meine
Inspiration ist ganz oft meine kleine Tochter«
sagt Nina Windisch und strahlt. »Sie
ist jetzt drei Jahre alt und spielt einfach immer. Ich denke dann
oft: Ach da hatte ›Schlag
den Raab‹
das her! Damals stand sie vor ihrem Gitterbett und ihr Teddy lag noch
darin. Sie konnte ihn aber nicht herausziehen und hat dann versucht,
durch die Stäbe zu fassen und ihn nach oben zu ziehen. Dinge durch
ein engmaschiges Gitter zu bugsieren – das wird regelmäßig in
TV-Shows gespielt! Oder sie stapelt plötzlich Dinge, wo man denkt,
wie kommt sie jetzt da drauf?«
Mediale Hypes aus dem Internet seien aber ebenso inspirierend: »Da
gibt es dieses Video, wo ein Vater seiner Tochter mit dem Staubsauger
einen Zopf macht. Daraus haben wir damals für ›Das
ist Spitze!‹
ein Spiel gemacht! Oder diese Live-Hack-Videos aus Russland, wo man
sieht, wie man sich eine Coladose durch Unterdruck am Kopf befestigen
kann. Oder Eiertrennen mit einer Flasche, so etwas. Physikalische
Dinge, die einen Wow-Effekt erzeugen.«
Neben »Zimmer frei« arbeitete Nina Windisch auch für die Puppen-Latenight »Die Wiwaldi-Show« von Martin Reinl, für das »Neo Magazin Royale« und, in Zusammenarbeit mit der Kölner Produktionsfirma »make it move«, für Sendungen wie »Das ist Spitze!«, einer »Dalli Dalli«-Adaption. »Das war toll. Da gab es wie im Original immer die legendären 60 Sekunden Spielzeit, dann ging die Musik an und es gab Vollgas und Party. Was ich da immer sehr gemocht habe, waren diese wahnsinnigen Bauten, die das Studio Hamburg errichtet hat. Kletterhindernisse, große Torten. Wir als Spielentwickler saßen am Produktionstag oft selbst da drin, wie in der riesigen XXL-Kaffeemühle, um Kaffeepäckchen an die Spieler auszugeben. Technisch wäre so etwas viel zu aufwändig.«
Keine Kindergeburtstage für Erwachsene
Sind
solche Sendungen nur Kindergeburtstage für Erwachsene? Für Nina
Windisch steckt viel mehr dahinter: »Oft
ist es so, dass Spiele als Gegenteil von Arbeit gesehen werden, als
das Gegenteil von Ernst. Als Dinge, die in der Freizeit stattfinden.
Das glaube ich nicht. Ich finde, Spielen ist das Gegenteil von Sorge.
Man darf Fehler machen, man kann sich, ohne an Konsequenzen zu
denken, ausprobieren und sich als Mensch frei fühlen. Wir sind so
oft getrieben von Sorgen. Im Spiel kann man die oft vergessen;
spielen gibt mir bewusst nicht das Gefühl der Sicherheit.«
Mit
ihrem Kollegen Hakan Avci hat sie in der Nähe von Frankfurt die
Firma »into
games«
gegründet, ein kreatives Kollektiv für die angewandte
Spieleerfindung. In der Hauptsache beschäftigen sie sich mit Escape
Room-Konzepten, gestalten mobile Escape Games, entwickeln Spiele und
Rätsel. Escape Rooms sind thematisch eingerichtete Räume, in denen
Teams gemeinsam und gegen die Zeit Aufgaben lösen müssen, um wieder
herauszukommen – etwa in einem Labor, das kontaminiert wurde und
der Anti-Virus gefunden werden muss. Für Nina Windisch sind diese
Räume »analoge
Computerspiele«,
mit einer eigens entwickelten Chronologie und passenden Requisiten.
Als
der FC Schalke 04 eine Dauerkarte vergeben wollte, durften sie dafür
einen Raum voller Rätsel aus der blau-weißen Fußballwelt bauen. Es
gab eine Röhre mit Bällen, die man nachladen konnte,
Schalke-Spieler wurden nach speziellen Kriterien ausgewogen und die
Teams mussten eine Kabelrolle von zusammengenähten Fanschals
abrollen, um das Rätsel zu lösen. Für einen großen
Telefonanbieter haben Windisch und ihre Kollegen direkt das ganze
Firmengelände zum Escape Room erklärt, hunderte von Mitarbeitern
per Whatsapp Infos auf das Smartphone geschickt, um die vorgeblich
verschwundene Chefin wiederzufinden. Vorteil solcher Aktionen: Die
Mitarbeiter lernen sich anders kennen und merken, dass der
Vorgesetzte genauso auf dem Schlauch stehen kann wie der Praktikant.
Können
Virtual Reality und VR-Brillen diese Art von Spielen ergänzen oder
gar ersetzen? »Ich
bin für vieles offen und finde das durchaus faszinierend«
sagt Nina Windisch. »Aber
was
Spiele angeht, bin ich sehr analog. Bei unserem Spielen sollte man
den Gegenüber schon persönlich sehen.«
Das ist auch mal eine Strategie: Bei aller Fantasie mehr Realität
wagen.