Was die lokale Zeitungslandschaft in Essen angeht, herrscht ziemliche Langeweile am Kiosk. Große Medienhäuser wie die Funke-Gruppe bestellen das Feld der Tageszeitungen und der Lokalberichterstattung, hinzu kommen die kostenlosen Anzeigenblätter. Ein Titel aber fällt aus dem Schema – nicht nur optisch: die »Werdener Nachrichten«.
»Für Stadt und Land« frakturt es kantig vom blau-weißen Kopf des Blattes, das etwas Besonderes ist. Seit 1850 existiert diese Zeitung, die seitdem zwar einige Namenswechsel hinter sich hat, sich aber immer noch in ihrer Berichterstattung auf einen einzigen Stadtteil konzentriert: Essen-Werden. Gelegen im grünen Süden der Stadt, direkt an Ruhr und Baldeneysee und ausgestattet mit starkem Selbstbewusstsein der Bürger*innen. Da das Viertel erst 1929 eingemeindet wurde, begreift man sich immer noch eher als Werdener*in statt als Essener*in.
Neue und alte Stadtansichten
Das könnte auch die Verbundenheit der Leser*innen mit ihrer »eigenen«, wöchentlich erscheinenden Zeitung erklären, die konsequent auf das Lokale setzt. Bereits auf der Titelseite werden entsprechende Zeichen gesetzt, etwa mit dem »Wetter im Ruhrtal« – wen juckt es in Werden, ob im Essener Norden die Sonne scheint? Im Inneren des Blattes nimmt man sich auch schon mal eine ganze Seite Platz für Themen, die von Interesse für die Leser*innen sind. Ebenso groß angelegt ist die Foto-Seite »Was in Werden geworden und geblieben ist«, auf der historische und gegenwärtige Stadtansichten verglichen werden. Laut einer Leser-Umfrage ist das mit Abstand die beliebteste Rubrik der Zeitung, was Chefredakteur Gordon Strahl auf die Bewohner*innen des vergleichsweise bürgerlichen Stadtteils zurückführt, die geschichtlich interessiert und auf eine positive Art heimatverbunden seien. So wird auch weniger dem Sport, dafür umso mehr der Kultur Platz im Blatt eingeräumt – kein Wunder, da Essen-Werden Spielort des Klavierfestivals Ruhr ist und mit der Folkwang Universität der Künste und dem Bürgermeisterhaus zwei Konzertbühnen hat.
Die Auflage der »Werdener Nachrichten« lag im Februar 2020 bei 2091 Exemplaren, laut IVW ist sie in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich 3,8 Prozent pro Jahr gesunken, hat sich aber weitgehend stabilisiert. Trotz aller Tradition – stehenbleiben wollen die drei Journalist*innen der Redaktion auf keinen Fall. Seit einiger Zeit wird die Zeitung auch digital als E-Paper angeboten. Es gab eine Serie über Aktivist*innen der Werdener Klima-Initiative, über die auch junge Leute die Zeitung wiederentdeckten. Und dann ist da die regelmäßige Kolumne im Werdener Dialekt »Waddisch«. In anderen Blättern würde solch ein Text von einem pensionierten Deutschlehrer verfasst, hier ist es der 25-jährige Marc Real, der sich für den Dialekt interessiert und ihn so weiterträgt.
Auch wenn im Jahr 2000 dann doch die WAZ-Mediengruppe, heute Funke, die »Werdener Nachrichten« übernommen hat, hat man sich unten im Ruhrtal eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt. Konzentriert lokal, traditionsbewusst, gleichzeitig im steten Wandel und offen für Neues – ein Rezept, dass auch in zunehmend digitalen Zeiten funktionieren könnte.