45 Grad. Sobald ein männliches Glied diesen Winkel erreicht, wird es kritisch. Oder wenn die inneren Schamlippen einer Frau erkennbar sind. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist es ein Porno und muss, laut deutscher Rechtsprechung, entsprechend deklariert werden. So auch die »Jungs-« und »Giddyhefte« aus Erftstadt, mit denen Nicole Rüdiger und Elke Kuhlen zweimal jährlich die Ödnis pornografischer Postillen aufmischen. Neben den zu Tode retuschierten, ewig gleichen Hochglanz-Models aus dem »Playboy« und den übriggebliebenen Erotikheftchen in der hinteren Kiosk-Ecke ist schließlich noch viel Platz.
Das erste »Jungsheft«, das »Pornoheft für Mädchen«, war 2005 erschienen, wenig später kam das »Giddyheft – Porno für Jungs« hinzu. Zu sehen sind darin nackte Menschen mit Brustwarzen, Penissen und Schamlippen, ganz so, wie es die Anatomie vorsieht. Auf die Abbildung von »Interaktionen« und gegenseitigem Beiwohnen wird verzichtet, stattdessen werden jeweils vier normale, interessantschöne Frauen und Männer mit Indie-Charakter inszeniert. Hier wird sich nicht an fernen Gestaden in der Brandung geräkelt, hier dienen Altbauwohnungen, Retromöbel und Waldesgrün als Location.
So posiert der »Lecker Junge« Markus vor pittoresker Abbrucharchitektur, die Fotostrecke von Phillipe hingegen feiert etwas überinszeniert den klassischen Feinripp vor Oma-Tapete und Kaffeekränzchentisch. Jonathan, seines Zeichens Student der Japanologie, wirkt da wesentlich lässiger zwischen Birkenwald und Badesee. Mary Lyan posiert in einem »Giddyheft« hingegen mit direktem Blick und Perlenkette, ein paar Seiten weiter irritiert Vicky mit Kurzhaarfrisur selbstbewusst die gängigen Klum-Klischees.
Porno und Popkultur
Dazwischen stehen Texte, Reportagen und Interviews über Sex, Porno und Popkultur. Offensiv geschrieben, ohne Schleifchen und aufgesetzte Rücksichtnahme. Ist ja schließlich auch ein Pornoheft. Neben Interviews, unter anderem mit der Sängerin Jennifer Rostock gibt es »Klassiker der erotischen Literatur« als Comic, Texte über Sex während der Menstruation, Filmtipps und die Produkt-Tipps »Schnickes, den wir brauchen«. Wer ein Geschenk sucht – vom DJ-Pult aus Lego über Sextoys bis zu Speichenreflektoren im Pac-Man-Design ist alles dabei .
Die Texte sind zwar durch kleine Grafikspirenzchen teils etwas schwer zu entziffern, das ist aber nicht weiter schlimm. Die beiden Herausgeberinnen machen einfach ihr Ding; ihre Idee eines Pornoheftes, im Eigenverlag und ohne viele Anzeigen. Radikal und offen in Sprache und Bild, teils auf den eigenen Meta-Ebenen herumkletternd, etwa wenn sie einen Text über das Thema Indie Porn drucken, in dem Diedrich Diederichsen das ganze Phänomen wie folgt zusammenfasst: »Authentizitäts-Porno«. Genau.