…das wissen vor allem sie: die Buchhändler*innen in NRW. 2005 hatte Beate Scherzer mit Peter Kolling einen Laden in der Essener Innenstadt eröffnet. Nicht irgendeinen – sondern so einen, wie sie ihn sich selbst immer gewünscht hatten: Gut sortiert, gemütlich, nicht nur mit einer Auswahl an deutschsprachiger und internationaler Literatur, sondern auch mit einer Abteilung zu klassischer Musik. Seitdem ist »proust wörter + töne« ein wichtiger Anlaufpunkt für die Literaturszene (nicht nur) des Reviers. Spezialisiert hat sich die ehemalige Schauspielerin auf osteuropäische und jüdische Literatur. Beate Scherzer plant und moderiert, sie berät und empfiehlt Bücher – auch auf Deutschlandfunkkultur. 2021 wurde sie in die Jury des Deutschen Buchpreises berufen. Im selben Jahr bekam sie mit ihrem Geschäftspartner den Ehrenpreis zum Literaturpreis Ruhr, mehrfach wurde »proust« mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet – seit einer Weile suchen beide eine*n Nachfolger*in.
Beate Scherzer: Mein Lieblingshörbuch oder wie ich einmal von Essen nach Karlsruhe fuhr und dabei den ganzen Peter Kurzeck hörte
Im Herbst 2007 fuhr ich mit einem Freund nach Süddeutschland, um alte Wirkungsstätten zu zeigen, Freundinnen zu besuchen und Wein in der Pfalz einzukaufen. Im Gepäck einige neuerschienene Hörbücher, um die Fahrt zu verkürzen, aber auch um die CDs – bei Gefallen – im Laden gut verkaufen zu können. Auf eine traf das im Nachhinein besonders zu: »Ein Sommer der bleibt. Peter Kurzeck erzählt das Dorf seiner Kindheit.« Wenn ich es richtig erinnere, haben wir eigentlich nur diese vier CDs gehört. Seitdem ist diese Hörbuchschachtel die meistverkaufte bei »proust«. Immer wieder findet sich jemand, der sie noch nicht kennt. Von Peter Kurzeck hatte ich einige Romane gelesen, wir hatten ihn bereits als Autor nach Essen eingeladen. Nun erzählte er seine Kindheit in den Nachkriegsjahren in Staufenberg. Vergleichbar mit der improvisierten Vortragskunst der legendären schwarzen Bluessänger, die er in den 1960er Jahren in hessischen Army-Clubs gehört hat, gerät Kurzeck aus dem Gespräch mit Klaus Sander heraus ins Erzählen und so finden die beiden zu einer neuen Form des Romans: ein Text, der erst während der Rede, während der Aufnahme, im Schnitt entsteht, ohne Buchvorlage oder Manuskript – eine Beschwörung. Seitdem sind weitere Aufnahmen von Kurzeck erschienen. Der Verleger Klaus Sander hat andere Autorinnen und Autoren zum Gespräch gebeten. Hören und Sprechen nicht als Derivat des Geschriebenen zu begreifen, sondern ihm als eigenständiger Form Gehör zu verschaffen – das war von Anfang an das besondere Anliegen von Sanders Verlag supposé. Nun haben wir Klaus Sander eingeladen. Er unternimmt eine kleine akustische Reise durch sein Verlagsprogramm, von den historischen Originaltonaufnahmen – Fichte, Heisenberg, Planck, Schrödinger –, mit denen der Verlag begann, bis zu den jüngsten Publikationen: Trotzdem Mutter. Drei Frauen erzählen. Nominiert für den Deutschen Hörbuchpreis 2023.
Klaus Sander liest im Leseraum neben Proust am 1. Dezember aus »Stimmen hören«.