Nichts in der Villa Hügel sollte älter sein als er selbst: Das war die Maxime von Alfred Krupp. Sein Wohn- und Repräsentationshaus ließ er 1870 bis 1873 daher mit modernsten technischen Errungenschaften errichten. Mehr Zeitgenossenschaft geht kaum als das, was der Industrielle, Erfinder und »self-made man« im Essener Stadtteil Bredeney aus dem Boden stampfen ließ.
Seine Vision eines »Wohnsitzes für die Zukunft« ist in diesem Tempel des Industrie-Zeitalters verkörpert. Dessen Konstruktion besteht aus Eisen – die Sandsteinfassaden waren für den Stahlbaron bloß Architekturkosmetik. Ein Zugeständnis ans Althergebrachte, wie es im Zeitalter des Historismus wohl noch schicklich schien. Den Erfordernissen zeitgemäßen Wohnens trugen etliche Gimmicks Rechnung, darunter ein Glasdach über der »Oberen Halle«, Speisenaufzüge, Heizung, Belüftung und Beleuchtung. Weshalb Krupp, der die Pläne für sein Luxus-Domizil selbst entworfen hatte, auch solche Dinge in die eigene Hand nahm. Ohnehin kümmerte sich der Perfektionist beim Bau der Villa Hügel beinahe um alles selbst. Standesgemäße Architekten duldete er allemal zum Abnicken der eigenen Ideen. Ging etwas schief – die Heizung beispielsweise, mehrfach umgebaut, funktionierte erst Jahre nach dem Umzug – empfand Krupp das als persönliche Schmähung.
Alfred Krupp war der Prototyp eines Pioniers, was in diesem Fall nicht ausschließlich als Kompliment zu verstehen ist. Einerseits sorgte er über das damals übliche Maß hinaus für die Arbeiter*innen seiner Gussstahlfabrik, beispielsweise mit Werkswohnungen und einer eigenen Krankenversicherung. Andererseits erwartete er bedingungslose Loyalität und blinden Gehorsam. Einerseits erwarb er sich große Verdienste um die Entwicklung der Fotografie: Schon 1861 rief er eine eigene Abteilung ins Leben (der im Historischen Archiv Krupp verwahrte Bestand umfasst rund zwei Millionen Aufnahmen), um die Errungenschaften seines Unternehmens weltweit ins beste Licht zu rücken. Andererseits bereitete seine mörderisch effiziente Waffenproduktion den Boden für den preußischen Militarismus, der 1870/71 im Deutsch-Französischen Krieg triumphierte und auf lange Sicht maßgeblichen Anteil am Desaster des Ersten Weltkriegs hatte.
Ein widersprüchlicher Charakter also, der am 10. Januar 1873 gemeinsam mit seiner Frau Bertha und dem Sohn Friedrich Alfred Einzug auf dem Hügel hielt. Das Bürgerschloss war – und ist – ein Ort der Superlative: 269 Räume, verteilt über 8100 Quadratmeter, umfasst der in ein »Kleines Haus« und ein »Großes Haus« untergliederte Koloss, in dem anfangs 66 Angestellte beschäftigt waren, später mehr als 600. Umgeben ist die Villa von einem weitläufigen, ebenfalls völlig neu angelegten Park, bei dessen alten Bäumen Alfred Krupp seiner Jugendstil-Devise ausnahmsweise untreu wurde: Weil er auch in Bezug auf Flora und Fauna klotzte, nicht kleckerte, kaufte er kurzerhand eine Reihe ehrwürdig-mächtiger Bäume und ließ sie vor Ort einpflanzen. Vom Park aus genießt man einen Panoramablick auf den Baldeneysee, der allerdings erst in den frühen 1930er Jahren angelegt wurde. Doch der »Hügel« ist nicht bloß ein herausragendes Zeugnis der Architektur und Gartenkunst. Er ist überdies Sinnbild der Industrialisierung sowie des Großbürgertums.
Und Schauplatz einer illustren und wechselhaften Familiengeschichte, die das Zeug hat, jede »Soap Opera« an die Wand zu spielen. Drei Generationen nehmen darin die Hauptrollen ein: Den Stammeltern, Alfred Krupp und Bertha, folgten Friedrich Alfred (1854-1902) und Margarethe Krupp (1854-1931): Mit Kegelbahn, Tennisplätzen und Bibliothek sorgten sie für mehr Komfort und mehr Gemütlichkeit. Das Szepter reichten sie weiter an die älteste Tochter Bertha Krupp (1886-1957) – sie heiratete den preußischen Diplomaten Gustav von Bohlen und Halbach (1870-1950). In ihrer Ägide ersetzten mächtige, beinahe erdrückende Holzvertäfelungen in den repräsentativen Sälen die gusseiserne Askese, die der Bauherr bevorzugt hatte. Historische Möbel, Familienporträts und gediegene Wandteppiche drückten der Inneneinrichtung den bis heute bestimmenden Stempel auf.
Ihr ältester Sohn, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967), war der letzte persönliche Alleininhaber der Krupp AG. Kurz vor seinem Tod rief er die nach ihm benannte Stiftung ins Leben, als »Ausdruck der dem Gemeinwohl verpflichteten Tradition des Hauses Krupp«. Weil das Unternehmen zu den wichtigsten Rüstungslieferanten der Nationalsozialisten gehörte (Hitler war zwischen 1935 und 1940 viermal zu Besuch in der Villa), saßen sowohl Gustav als auch Alfried Krupp von Bohlen und Halbach beim Nürnberger Prozess auf der Anklagebank. Übrigens sind die NS-Verstrickungen des Konzerns, der in großem Stile Zwangsarbeiter einsetzte, Gegenstand eines eigenen Forschungsprojekts der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Die Ergebnisse sollen im Laufe des Jubiläumsjahrs vorgestellt werden.
1945 beschlagnahmten die Amerikaner das gesamte Anwesen und machten es zum Sitz der Alliierten Kohlenkontrollkommission. 1952 gelangte die Villa Hügel wieder in den Besitz der Krupps – gewohnt aber hat dort seitdem kein Familienmitglied mehr. Die erste Kunstausstellung im Jahr 1953 läutete den Wandel der Villa zu einem Schauplatz von Kunst und Kultur ein – eine Tradition, die bis heute anhält.
150 Jahre nach der Eröffnung der Villa Hügel feiert die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Hausherrin seit 1967, das Jubiläum mit einem Programm, das unter dem Motto »Transformation« steht. Wer zum runden Geburtstag allerdings eine international zugkräftige Blockbuster-Ausstellung erwartet, wer berühmte Künstlernamen erhofft hatte, mag enttäuscht sein. Heike Catherina Mertens und Volker Troche, die den Vorstand der Stiftung bilden, setzen andere Akzente. Sie wollen ein möglichst breites Publikum ansprechen und Berührungsängste abbauen, die das gut abgeschirmte, majestätisch-einschüchternde Hügel-Areal in der Tat hervorrufen kann. So gibt es denn zum Jubiläum eine eigene App (mit separater Kindertour), dazu das ganze Jahr hindurch Sonderführungen, Vorträge, Stipendien, Kinovorstellungen und Open-Air-Konzerte.
Lichtinstallation an den Fassaden
Das in Willich beheimatete Künstler*innen-Duo Eva-Maria Joeressen und Klaus Kessner (joeressen+kessner) steuert eine Lichtinstallation bei, mit der die Fassaden des Gebäudes sechs Wochen lang von Sonnenuntergang bis 22 Uhr in eine Multimedia-Schauwand verwandelt werden. Licht und Ton, inspiriert durch und generiert aus dem Historischen Archiv Krupp, bilden ein »immenses Bündel an Kontrasten«, so joeressen+kessner. Zudem sorgt ein Algorithmus dafür, dass die Projektion das Äußere der Villa durch ständig neue Bildkonstellationen verfremdet. Was die zeitgenössische bildende Kunst angeht, ist zudem Samson Youngs Video »Heterophony: July 1896« zu erwähnen. Der aus Hongkong stammende Medienkünstler, ehemaliger Stipendiat der Krupp-Stiftung, greift eine exotische Episode aus der Hügelgeschichte auf: 1896 war Li Hongzhang, General des Kaiserlichen Chinesischen Reiches, in diplomatischer Mission unterwegs in Deutschland. Dabei machte der »Bismarck des Ostens«, wie er genannt wurde, auch Friedrich Alfred Krupp seine Aufwartung. Das festliche Abendessen in der Villa Hügel vergegenwärtigt Li Hongzhang aus der Perspektive eines Musikers, der an diesem Abend aufspielte.
»Anfangen im Kleinen, Weitermachen in Schwierigkeiten, Streben zum Großen«: Im Geiste dieses Zitats von Alfred Krupp will ein Förderprogramm im Jubiläumsjahr 1,5 Millionen Euro verteilen. »150 Jahre Villa Hügel – 150 Projekte für das Ruhrgebiet« hat sich auf die Fahnen geschrieben, Chancengleichheit zu fördern, jungen Menschen eine Starthilfe zu geben und Kreativen, die »Großes« vorhaben, finanziell unter die Arme zu greifen – mit maximal 25.000 Euro pro Projekt. Ideen kann man bis Ende September einreichen (über die Website der Stiftung: krupp-stiftung.de).
Pars pro toto für unzählige Führungen sei auf die Reihe »Nie gesehene Räume« verwiesen:»Geheimnisvolle Archivschätze«, »Geheimnisvolle Schranktür« oder »Geheimnisvolles Kaiserbad«, so lauten die Titel der Rundgänge, die mit der Lust an der Schlüsselloch-Perspektive spielen. Was Sie schon immer über die Krupps wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten – Antworten gibt es in diesem Jahr zuhauf.
Infos zum Jubiläumsprogramm: villahuegel.de