Der »Weg zur Platte« ist als Wohnstraße im Essener Nobel-Viertel Bredeney nicht sehr still, wurde doch an deren Ende Mitte der 1960er Jahre ein kleiner Wildpark errichtet, zu dessen Besuch an Wochenenden die Familien gefahren kommen. Zehn Jahre zuvor muss es hier friedvoller gewesen sein. Damals entsteht unter der Hausnummer 37 ein Neubau; am Hang gelegen, mit kompliziertem Grundriss, vorn zeigt er ein, hinten zwei Geschosse. Die Außenwände werden hell verklinkert, der Baukörper bekommt ein niedriges Walmdach aus Kupfer aufgesetzt. Zum Garten hin sind große, versenkbare Fenster vorgesehen, denn der Blick bietet freie Sicht auf den Baldeneysee und die Villa Hügel.
Architekt des Wohnhauses ist Ferdinand Streb, Schöpfer des Alster-Pavillons in Hamburg, Bauherr die Fried. Krupp AG. Doch der künftige Bewohner nimmt ganz nach Erbauerart Mitspracherechte wahr: Es ist der Erdöl- und Versicherungsmanager Berthold Beitz, seit 1953 Generalbevollmächtigter von Krupp. 1955 beziehen er und seine Familie das neue Heim.
Engster Vertrauter
1953 war Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Alleininhaber der Krupp AG, vorzeitig aus der Haft entlassen worden, zu der er nach Kriegsende in Nürnberg wegen des Einsatzes von Zwangsarbeitern verurteilt worden war. Auch sein beschlagnahmtes Vermögen hat man ihm zurückerstattet, erneut tritt er die Leitung seiner Firma an. Doch an eine Fortsetzung der »Waffenschmiede des Reiches« ist nicht mehr zu denken, als Zeichen des Neubeginns engagiert Krupp den damals vierzigjährigen Berthold Beitz, den er kurz zuvor kennengelernt hatte. Der mutige Judenretter im besetzten Polen wird engster Vertrauter des Nazi-Kriegsverdienstkreuzträgers Erster Klasse.
60 Jahre später ist von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet so gut wie nichts mehr geblieben. Die Firma Krupp hat nur überlebt, indem sie mit Thyssen fusionierte. Aus dem Generalbevollmächtigten Beitz ist der Kuratoriumsvorsitzende der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung geworden, in die das Privatvermögen des letzten, 1967 verstorbenen Krupp überging. Diese Stiftung, die ein Viertel der Thyssen-Krupp-Aktien hält, ist gemeinnützig; im Laufe von Jahrzehnten schüttet sie Millionen für Wissenschaft und Kunst aus. Sie finanziert den Umbau des Essener Saalbaus zur Philharmonie und schenkt – die letzte gute Großtat Beitz’ – der Stadt den Neubau des Museums Folkwang.
Fast 60 Jahre in Bredeney
Am 30. Juli 2013, kurz vor seinem 100. Geburtstag, stirbt Beitz. Ein Jahr später folgt ihm seine Frau Else. Da hat das Ehepaar fast 60 Jahre in seinem Domizil in Bredeney gelebt. Thyssen-Krupp bietet das Haus den Erben zum Kauf an; die lehnen ab – bei einem Preis von, wie man hört, bis zu 15 Millionen Euro nur zu verständlich. Was soll nun werden aus dem Bau?
Zunächst einmal tritt die Behörde auf den Plan. Die Namen Streb und Beitz sind Grund genug, dass das Institut für Denkmalschutz und Denkmalpflege der Stadt Essen, als Untere Denkmalbehörde gesetzlich zuständig, ein Prüfverfahren eröffnet, ob das Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen ist. Als beigeordnetes Fachamt gesellt sich das LVR Amt für Denkmalpflege im Rheinland hinzu; Bauakten werden geprüft, im November 2014 gibt es eine Besichtigung. Und eine Überraschung: Die Leiterinnen beider Denkmalschutzämter, Petra Beckers, Essen, und Helmtrud Köhren-Jansen, Landschaftsverband Rheinland, sind vom Entwurf und von den Dimensionen des Baus enttäuscht. Sie vermissen Originalität und Großzügigkeit, ihnen kommt vor, als könne das Haus sich zwischen Tradition und Moderne nicht entscheiden, so Köhren-Jansen. Auch im Œuvre des Architekten Ferdinand Streb bilde es kein Glanzlicht. Zudem sei der parkgroße Garten nicht gestaltet. Vor dem Hintergrund dessen, dass es zahlreiche weitaus gelungenere Beispiele modernen Villenbaus an Rhein und Ruhr aus den 50er Jahren gebe, kann das Fazit nur lauten: nicht denkmalwürdig. Was nichts anderes bedeutet als Abriss. Denn auf dem gewaltigen Grundstück könnte man bis zu zehntausend Quadratmeter Exklusiv-Wohnraum neu bauen. Leicht vorzustellen, wie sich die Investoren die Lippen lecken.
Auch der Bund Deutscher Architekten, Kreisgruppe Essen, bestreitet die mangelnde architekturhistorische Güte nicht rundheraus. Dennoch bringt ihn die Entscheidung der Denkmalschützer auf die Palme: Ein Haus, in dem Essens einziger Ehrenbürger (nach 1949) so viele Jahre lebte, könne man nicht einfach dem Abriss überantworten. Es sei ein Identitäts-Träger, habe, wenn auch vielleicht nicht so hohen bauhistorischen, so doch hohen allgemeinhistorischen Wert.
Die Villa: großzügig, transparent, herausragend
In dieser Ansicht unterstützt wird der BDA von Joachim Käppner, dessen »Berthold Beitz« als Standard-Biografie des Ausnahme-Industriellen gilt. Nicht nur sieht der Redakteur der Süddeutschen Zeitung den Beitz-Geist in dem Streb-Haus dauerhaft verkörpert, nicht nur hätten hier Personen der Zeitgeschichte wie Honecker oder Sukarno verkehrt. Er findet auch, dass der Erhalt des Hauses von grundsätzlicher Bedeutung ist: als Ausdruck eines verantwortlichen Umgangs mit dem historischen Erbe. Anders als Beckers und Köhren-Jansen hat er die Villa als großzügig, transparent und herausragend erlebt.
In der Tat sieht das nordrhein-westfälische Denkmalschutzgesetz die Möglichkeit vor, ein Gebäude unter Schutz zu stellen, wenn es »bedeutend für die Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse« ist, wie es dort heißt. Der Passus besagt, dass die architekturhistorische Qualität eines Bauwerks nicht der einzige Bewertungsmaßstab zu sein hat. Darauf beziehen sich die Architekten vom BDA – die Replik der Denkmalschützerinnen aber ist eindeutig: Die unzweifelhafte Bedeutung der Person Beitz sei eben leider nicht an seinem Privathaus abzulesen. »Wir gehen von Steinen aus«, so formuliert es Petra Beckers, »die dann sozusagen eine Geschichte erzählen müssen. Für das Dokumentieren eines Baudenkmals benötigen wir nicht die Idee, die einem Objekt zugrunde liegt, sondern die Materie.« Und die Geschichte Beitz werde in der Materie, dem Haus Beitz, nicht – oder nicht mehr – erzählt. Sie kenne kein einziges Gebäude in NRW, fügt Köhren-Jansen hinzu, das unter Schutz gestellt worden sei, weil es einzig eine orts- oder überregionalgeschichtliche Bedeutung hatte – jedoch keine architektonische. Und darin habe die eine oder andere Gerichtsentscheidung ihrer Behörde bislang Recht gegeben.
Der Ball liegt beim Eigentümer
Bleibt nur, wenn einem der Abrissbagger auf dem Weg zur Platte nicht einerlei ist, eine Lösung jenseits des Denkmalrechts. Und das propagieren die beiden Denkmalschutzdamen energisch als Alternative. Die ehemaligen Domizile von Willy Brandt in Unkel bei Bonn, eines der Wohnhäuser Adenauers – sie alle und mehr seien aus ähnlichen Gründen nicht denkmalgeschützt, aber erhalten. So lautet ihr Argument. Womit der Ball im Feld von Thyssen-Krupp liegt, dem Eigentümer. Die Stadt Essen, so Käppner, wäre gut beraten, den Konzern dahingehend zu beeinflussen, die Villa zu erhalten. Man müsse ja keinen »Holy Shrine« daraus machen, aber vielleicht eine Begegnungsstätte, ein Archiv oder sonst etwas.
Thyssen-Krupp jedoch, sagt eine Sprecherin, hat keinen Bedarf für so etwas. Der Erhalt der Villa würde auch zu viel Geld verschlingen. Für die Firma sei der Ort der unzweifelhaft wichtigen Erinnerung an Berthold Beitz nicht sein Privathaus, sondern das Gebäude der Krupp-Stiftung sowie die Villa Hügel, wo es auch bereits eine Ausstellung gebe. Das ist wie mit den Gründerzeithäusern, seufzt Käppner. Die wurden früher auch der Reihe nach niedergelegt. In ein paar Jahren, da ist er sicher, werde man den Abriss der Beitz-Villa bitter bereuen.
Infos zum aktuellen Stand rund um die Beitz-Villa finden sich hier: https://www.moderne-regional.de/beitz-villa-nicht-denkmalwuerdig/