Die Blüte der Samt- und Seidenweberstadt Krefeld zeigte sich auch in ihren Bauten. Die Industrie schätzte die kompromisslos vorwärtsgewandte Architektur der Moderne und beauftragte große Namen. Etwa Mies van der Rohe, der für die »Verseidag« 1931 die Fabrikanten-Villen Haus Esters und Haus Lange entwarf. 1956 folgte ein Verwaltungsgebäude von Egon Eiermann. Wenige Jahre später, 1961, profilierte sich dann auch die Bayer AG mit einem Auftrag an die Architektengemeinschaft Hentrich, Petschnigg und Partner (HPP). Ein architektonisch hochwertiges »Speisehaus« sollte das Betriebsklima der Farbenfabriken positiv beeinflussen. So wurde das Kasino nicht auf dem Werksgelände, sondern öffentlich zugänglich in der Nähe des Haupteingangs am Rheinufer platziert.
Der eingeschossige, unterkellerte Stahlbau bekam rundum eine filigran wirkende Aluminium-Glas-Fassade. Das Sockelgeschoss wurde mit weit zurückspringenden, blau glasierten Ziegeln verkleidet – so entstand ein »schwebender Pavillon im Grünen«, wie es später in der Baubeschreibung von HPP hieß. Führungspersonal und Gäste kamen über eine Treppe vonseiten des Werksgeländes herein, Arbeiter und Angestellte durch das Untergeschoss, wobei die hierarchische Organisation der Innenräume angesichts der modernen Struktur überraschte.
Umgeben von alten Bäumen, mit Blick in die Rheinauen
Das Kasino steht direkt am Uerdinger Rheinufer. In einer Anlage mit alten Bäumen, die vom Düsseldorfer Gartenarchitekten Roland Weber gestaltet wurde und direkt in die Rheinauen übergeht. Flussaufwärts liegt heute auf dem ehemaligen Bayer-Gelände der »Chempark Krefeld-Uerdingen«. Unter anderem ist hier auch der Sitz des Polycarbonat-Herstellers Covestro, der das Kasino 2015 von der Bayer Real Estate (BRI) übernahm. Für dessen Abbruch hatte die BRI bereits 2013 einen Antrag gestellt, denn das Gebäude stand leer, geschätzte Sanierungsmaßnahmen sowie tatsächlicher Unterhalt sind teuer, ohne dem Eigentümer einen Nutzwert zu bieten. Doch der elegante Pavillon hatte sachkundige Freunde, die über das architektonische Erbe der Nachkriegszeit wachten. Als Reaktion auf den Abbruchantrag erstellte das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland ein Gutachten und führte darin architekturgeschichtliche, gartengeschichtliche, städtebauliche, ortsgeschichtliche und sozialgeschichtliche Gründe zum Erhalt auf – 2015 stellte es die Stadt Krefeld unter Denkmalschutz.
Diskutiert wurde seitdem über das Kasino viel und auch vor Gericht gestritten. Nun scheint am Ende die sogenannte »Seveso-III-Richtlinie« schwerer als alles andere zu wiegen. Sie besagt, dass in unmittelbarer Nähe zu Chemiewerken, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten, an eine kulturelle oder gastronomische Nutzung nicht zu denken ist. Und ein Denkmal ohne Nutzen hat, so sieht es auch die Denkmalpflege selbst, keinen Wert. So kann es passieren, dass auch ein denkmalgeschützter Bau zurückgebaut wird. Doch dem aktuellen Schweigen der Stadt Krefeld könnte man mit etwas Optimismus entnehmen, dass das letzte Wort in der »Causa Kasino« noch nicht gesprochen ist.
Seit 2014 steht das Stadthaus leer
Zumal es ein weiteres schwebendes Verfahren in Sachen Nachkriegsarchitektur in der Stadt gibt. Das zehnteilige Stadthaus von Egon Eiermann, zu dem auch ein neungeschossiges Hochhaus gehört, hatte die Verseidag schon 1977 aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Die Stadt erwarb den Komplex, auch um den Konzern zu unterstützen, und baute ihn unter Erhalt großer Teile der Substanz bis 1982 zu einem städtischen Verwaltungsgebäude um. Doch das inzwischen partiell denkmalgeschützte Ensemble litt weiterhin an seinen nie auskurierten Kinderkrankheiten und der Sanierungsbedarf stieg so immens, dass große Teile der Technischen Stadtverwaltung das Gebäude 2014 verließen.
Seitdem steht eine Sanierung im Raum – begonnen wurde sie noch nicht. Zumal das Eiermann-Stadthaus trotz seiner herausragenden baukünstlerischen Qualitäten auch nur ein Fall von vielen ist. Ein Bau, der zu seiner Zeit äußerst modern, von all der Schwere des Vergangenen befreit, zum Gegenstand einer Grundsatzdiskussion wurde, die heute von vielen als Ballast betrachtet wird. Kann das Denkmal so erhalten werden, dass darin unter zeitgemäßen technischen und klimatischen Bedingungen gearbeitet werden kann? Rechtfertigt der Anspruch der Nachhaltigkeit einen Abbruch und Neubau oder bedingt er Erhalt und Sanierung und unter welcher Prämisse – Kosten, Klima oder Denkmalschutz?
Die Zukunft der Krefelder Fabrikantenvillen sichert derzeit ihre museale Nutzung, ein Glücksfall, der leider nicht als Musterlösung herhält. Was das Bayer Kasino und das Stadthaus nun brauchen, sind, neben den entsprechenden finanziellen Mitteln, Kreativität und Sachverstand. Und der Wille, um Architektur und Nutzung auf einen gemeinsam vertretbaren Nenner zu bringen.