»Ich betrachte meine Kunst als Akte der Rebellion.« Nancy Spero ist Ende 50, als sie dieses Statement abgibt. Das Gefühl, außen vor zu sein und sich zur Wehr setzen zu müssen, war immer da und wird ihr Werk bis ans Ende bestimmen. Es zieht sich durch ihr Schaffen auf ganzer Linie. Und es schlägt sich nieder – überall und immer wieder. Schon zum Karrierestart widersetzte sich die 1926 geborene US-Künstlerin dem Zeitgeschmack: Während um sie herum der Abstrakte Expressionismus boomte, rückte Spero Mitte der 50er Jahre die menschliche Figur ins Zentrum ihrer Malerei. Später trat sie mit Stift und Farbe, Zorn und Energie etwa gegen den Vietnamkrieg oder für die Frauenrechte ein.
Zehn Jahre nach ihrem Tod zeigt das Folkwang Museum in Essen Spero nun in ihrer ersten europäische Retrospektive und schickt erwartungsgemäß den Hinweis voran, dass die Rezeption der zweimaligen Documenta-Teilnehmerin noch immer nicht ihrem Rang entspreche. Spero geht es nicht besser als den vielen anderen Kolleginnen, die der Kunstbetrieb erst in den letzten paar Jahren aus der Versenkung des Vergessens ins Rampenlicht gezogen hat. Allenthalben zeigt man sich bemüht, den weiß und männlich dominierten Kanon der Kunstgeschichte aufzubrechen.
Gerne heben Museumsleute heute denn hervor, wie sehr sie sich um die weibliche Seite der Kunstgeschichte kümmern. So auch Peter Gorschlüter, der als Direktor in Essen die Quote ordentlich steigert – im Juni hatte er gleich vier Frauen parallel mit monografischen Ausstellungen im Haus. Spero bietet ein besonders anschauliches Beispiel für die Situation von Künstlerinnen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch weil sie offenbar gelitten hat unter der mangelnden Beachtung und in ihrer Kunst erbittert gestritten hat für die Gleichberechtigung.
Ihre Wut wuchs im Stillen, nachts im Pariser Atelier. Weil sie sich mit ihrer Kunst in den USA keine Chancen ausrechnen konnten, waren Spero und ihr Ehemann, der Maler Leon Golub, 1959 hierher gezogen. Es ging ums »künstlerische Überleben«, wie Spero einmal sagte. Doch tat sie sich auch in der alten Kunstmetropole schwer, zumal mit drei kleinen Kindern. Spero kam erst spätabends zum Malen, entsprechend düster sind ihre großen »Paris Black Paintings«, die von grundlegenden Situationen des menschlichen Lebens handeln und am Beginn der Essener Ausstellung stehen. Männer, Frauen, Liebespaare, Mütter mit Kindern – sie scheinen beinahe mit der grau-braun-schwarzen Dunkelheit zu verschmelzen. Spero erklärte die eigenartige Ästhetik mit ihrem Gefühl der Isolation und Frustration: »Ich fühlte mich aus jedem praktischen Lebensbezug gerissen.«
Nach fünf Jahren kehrte die Familie heim, zurück in die Realität: Die Vereinigten Staaten verstrickten sich immer mehr in den Krieg in Vietnam, und die Künstlerin machte sich stark dagegen – nicht länger mit Ölfarbe im großen Format, sondern ausschließlich auf Papier. Es ist wohl nicht zuletzt Speros rebellischer Geist, der hinter dieser Wendung steckt: »Sollen die Männer sich doch auf ihren riesigen Leinwänden austoben! Meine Sachen sind zart und vergänglich, aber sie haben Biss.«
Auf Speros Bildern in der Essener Ausstellung sieht man Helikopter kreisen, Bomben explodieren. In den Kampf gegen den Krieg setzte sie über Jahre all ihre künstlerische Energie. Schnell, gezielt und radikal brachte sie ihre Ideen zu Papier, traktierte das Blatt dazu mit Fingern und mischte manchmal Spucke in die Farbe. Aggressiv wie die Methoden sind auch die Motive ihrer »War Series«: Köpfe kreisen, weit aufgerissene Münder scheinen zu schreien oder Feuer zu speien. Männliche Monster, Hakenkreuze, phallische Explosionspilze – bei Spero ist die Gewalt immer männlich. Nur manchmal mischen sich Frauen ein, verbunden mit Wörtern wie »Peace« und »Love« .
Kein Zweifel: Solche Arbeiten wollen gesehen werden, sollen wirken, sind gemacht, um aufzurütteln. Doch auch ihnen blieb das große Publikum verwehrt – nicht zuletzt, weil männliche Künstler damals die Szene dominierten und Frauen kaum vorgelassen wurden in die großen Galerien und Museen. »Ich war eine totale Außenseiterin im Kunstbetrieb. Das machte mich wütend, genauso, wie der Krieg mich wütend machte«, sagte sie später einmal.
In dem von seinen Zeitgenossen missachteten und weggesperrten Dramatiker Antonin Artaud sieht Spero einen Geistverwandten und einen Leidensgenossen dazu: Rebellisch und radikal war auch er, und ebenso wie sie selbst wurde auch Artaud von seinen Zeitgenossen ignoriert. Spero widmete dem Autor und seinen existenziellen Nöten zwei wichtige Werkgruppen, in denen sie Zitate aus seinen Texten mit eigenen Bildern kombinierte. Ihr nächster Schritt führte aus dem Selbstmitleid in die Offensive: 1972 gründete Spero gemeinsam mit anderen in New York die erste und bis heute aktive Galerie nur für Frauen, die A.I.R. Gallery. Erstmals hatte sie das Gefühl, sich aus der Isolation befreien zu können, und merkte, wie ihre Karriere Fahrt aufnahm.
In der Essener Schau und im Katalog begegnet einem eine Künstlerin immer wieder auf Fotos: hager, immer in Hosen, mit ratzekurzem hellem Haar. 1976 zog sie etwa bei einer Demo mit vor das Museum of Modern Art und protestierte für mehr Frauenkunst in den Ausstellungssälen. Sie selbst wehrte sich gegen die männliche Vorherrschaft, indem sie ihre Bilder fortan ausschließlich mit weiblichen Figuren bevölkerte. Das Folkwang Museum zeigte »Torture of Women«, ein feministisches Schlüsselwerk. Spero brachte hier mythologische Texte mit aktuellen zusammen, in denen etwa Amnesty International über schlimme Folterungen von Frauen berichtete. Hinzu kamen weibliche Gestalten aus Gegenwart und Geschichte, collagiert oder gestempelt auf einer Art Papierfries. Erstmals präsentierte sie diese fast 40 Meter lange Arbeit Mitte der 70er Jahre an den Wänden der selbstgegründeten Frauengalerie.
Die Technik blieb auch in den folgenden Jahren bestimmend: Spero druckte und stempelte Texte und Figuren auf Papierbahnen. Vor allem wohl, weil die Arthritis, mit der die Künstlerin seit den 60er Jahren zu kämpfen hatte, ihr mehr und mehr Schmerzen bereitete und das Zeichnen immer schwerer fiel. Dabei wuchs das Arsenal weiblicher Stempelwesen aus verschiedenen Epochen und Kulturen weiter auf über 400 – Griechisches und Altmexikanisches traf etwa auf Motive aus der Kunst der Aborigines. Nicht länger standen dabei Qual und Folter im Fokus. Die Akteurinnen wirkten im Gegenteil ganz selbstbestimmt. Heiter und hemmungslos sieht man sie durch die zunehmend bunte Bildwelt des Spätwerks tanzen und turnen. Göttinnen und Akrobatinnen, Models und Musikantinnen – Rebellinnen alle miteinander, wie Spero.
»Ich denke, sich als Außenseiter zu fühlen, setzt viel Energie frei«, meint im Essener Ausstellungskatalog Kiki Smith, selbst Künstlerin und gut bekannt mit der fast 30 Jahre älteren Spero. »Man muss für etwas kämpfen und kämpfen und kämpfen. Das kann einem eine ungeheure Kraft verleihen und einem deshalb letztendlich zugute kommen.« Mit Blick auf Spero hat sie damit sicher Recht.
MUSEUM FOLKWANG, ESSEN
BIS 25. AUGUST 2019
TEL.: 0201/8845000