Wie sehr die Artistik-Show Urbanatix mit Bochum verbunden ist, konnte man sogar während der Corona-Zeit erleben: Da drehte das Team wegen fehlender Auftrittsmöglichkeiten den Film »Home« und die Stadt öffnete ihm auf der Suche nach spektakulären Drehorten alle erdenklichen Türen. Sogar auf den Schuttbergen des ehemaligen Opel-Werksgeländes durften die Street-Artist*innen tanzen und Kunststücke machen. Die neue Urbanatix-Show findet nach 13 Jahren allerdings erstmals in Essen statt. Das ist ein Wagnis für alle Beteiligten.
Christian Eggert ist das kreative Mastermind hinter Urbanatix. Er hat die Show im Kulturhauptstadtjahr 2010 gegründet und ist Regisseur der Bühnenprogramme, die immer in der Jahrhunderthalle Bochum stattfanden. Als es an die Planungen für die neue Ausgabe, die erste seit der Corona-Zwangspause ging, stand er jedoch plötzlich ohne Veranstalter da: »Die Bochumer Veranstaltungs-GmbH wollte das nicht mehr machen, das finanzielle Risiko nicht mehr tragen«, sagt er. Weil das Team Unsicherheiten nicht allein übernehmen konnte und auch keine Kapazitäten hat, sich um Dinge wie Ticketing und Werbung zu kümmern, musste es auf die Suche nach einem neuen Veranstalter gehen.
Die Verzögerung im Ablauf, die dadurch entstand, sorgte schließlich dafür, dass die Jahrhunderthalle zum traditionellen Zeitraum der Show gegen Ende des Jahres nicht mehr freigehalten werden konnte. »Das ist alles ganz freundschaftlich und einvernehmlich geschehen«, betont Christian Eggert. Auch der Bochumer Oberbürgermeister Thomas Eiskirch habe ihm versichert, dass niemand böse ist, dass die Show jetzt mal einen Durchlauf in Essen probiert.
Mit dem neuen Veranstalter Grandezza Entertainment geht Urbanatix in einen geschichtsträchtigen Ort in der Nachbarstadt: die Grugahalle, in der seit Ende der 1950er Jahre schon unzählige Legenden aus Rock, Pop und Jazz (auch die Beatles 1966) aufgetreten sind. Und nicht nur der Ort ist neu, auch der Termin. Die Street-Artist*innen, Tänzer*innen, Biker, Live-Musiker*innen und Schauspieler*innen treten zehnmal zwischen dem 26. und 31. Dezember auf – also in der Zeit zwischen den Jahren, die in der Halle früher für die berühmte Show »Holiday on Ice« reserviert war.
So ähnlich wie die Beatles ihr neues Album im Jahr 1968, das in vielerlei Hinsicht einen künstlerischen Neuanfang darstellte, einfach »The Beatles« nannten, nennt das Team die neue Show schlicht »Urbanatix«. »Nach drei Jahren ist es wichtig, dass wir den Namen wieder featuren. Und das Ding erfindet sich ja auch ein Stück weit neu«, sagt Christian Eggert. Als Regisseur freut er sich über die neuen Möglichkeiten in der Grugahalle: »Es wird eine Hauptbühne vor Kopf geben, von der aus ein 14 Meter langer Steg ins Publikum geht. An seinem Ende steht dann eine sieben mal sieben Meter große Mittelbühne. Da sitzen die Leute dann drum herum. Das Publikum sieht das andere Publikum gegenüber, die Menschen können sich gegenseitig befeuern. Und dann gibt es ja auch noch die Draufsicht von den Tribünen.«
Die Klaviatur der Artistik erscheint bei jeder neuen Urbanatix-Show immer wieder in anderem Licht, die Künstler interagieren mit anderen Requisiten und erzählen zwischen den Kunststücken andere Geschichten. Dieses Mal geht es um die digitale Welt und wie die analoge Welt mit ihr verschmilzt. Protagonist ist Remi Martin, der seit Beginn mit der Show verbunden ist. Er ist Chinese-Pole-Artist, Physical-Theatre-Darsteller und Spezialist für subtile Komik. Für das neue Programm hat sich der Deutsch-Franzose einen Weg einfallen lassen, wie er live Bilder auf den großen LED-Leinwänden schaffen kann – und also mit der digitalen Welt interagieren.
Insgesamt werden 50 Artist*innen am Werk sein – internationale, aber auch Eigengewächse aus dem Ruhrgebiet. Es gibt einen Trampolin-Wall, ein Schleuderbrett, große Tanzchoreographien mit bis zu 16 Beteiligten. Natürlich sind wieder Biker dabei, die über die Bühne fliegen. Die Basketballtruppe Dunking Devils reist aus Slowenien an und das Duo Johann und Katharina an den Strapaten wird sicher besonders gut in Szene gesetzt, weil die Halle eine große Höhe hat und das Publikum ihre Darbietung auch aus der Draufsicht beziehungsweise Augenhöhe erleben kann.
Christian Eggert wirkt einerseits gespannt, wie sich seine Show am neuen Ort beweisen wird. Immerhin rund 2000 Plätze gilt es pro Vorstellung zu verkaufen. Der Vorverkauf laufe allerdings gut. Auf der anderen Seite wirkt er aber auch froh und gelöst, dass er das Team überhaupt über die schwierige Corona-Zeit retten konnte, in der Menschen im Kunst- und Kulturbetrieb auf einmal als »nicht systemrelevant« galten. »In der Zeit habe ich viele junge Künstler erlebt, die kurz vor der Depression standen«, erinnert er sich. »Ich glaube, dass uns auch viele verloren gegangen sind, die ihre künstlerische Selbstständigkeit an den Nagel gehängt und umgesattelt haben. Viele haben Angst bekommen und auf einmal klingelte der Satz von Opa im Ohr: ‚Mach was Vernünftiges.‘«
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass die Pläne, eine Artisten-Akademie zu eröffnen etwas ins Hintertreffen geraten sind und Urbanatix nun einmal (wo)anders stattfindet als gewohnt. Ein wichtiges Standbein bleibt allerdings gleich: Der Trainingsort OpenSpace besteht weiterhin in Bochum und ist offen für alle jungen Menschen, die sich in urbanen Künsten ausprobieren möchten. Außerdem ist für den Februar eine Show im Schauspielhaus Bochum geplant – »Urbanatix: Essence« wird sie heißen. Das Team bleibt Bochum also gleich in doppelter Hinsicht treu.
Urbanatix – The Show 2023
26. bis 31. Dezember
Grugahalle, Essen