So kennt man sie. Die bösen Alten. Wie sie glotzen, drängen, grapschen. Dunkel und dumpf die Gesichter, begierig ihre Blicke auf die schöne junge Frau, deren Körper uns hell und quasi nackt entgegenstrahlt aus den Bildern von Reni oder Rembrandt, Rubens und van Dyck. Susanna und immer wieder Susanna ist es, die dem Erpressungsversuch widersteht, und lieber sterben würde, als sich den fiesen Richtern hinzugeben. Über Jahrhunderte und quer durch alle Gattungen zieht sich die biblische Story als Topthema durch die Kunstgeschichte. Zum ersten Mal nimmt sich jetzt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum dem Stoff an und versammelt dazu Kunstwerke aus rund 700 Jahren.
Den Background liefern in Köln drei Papyrus-Fragmente aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus. Darauf geschrieben ist die erste überlieferte Fassung jener alttestamentarischen Geschichte von der standhaften Susanna: »Wir sind voll Begierde nach dir: Sei uns zu Willen und gib dich uns hin!«, so steht es in der Bibel-Übersetzung. »Weigerst du dich, dann bezeugen wir gegen dich, dass ein junger Mann bei dir war.« Susanna wehrt den Erpressungsversuch ab und wird darauf verleumdet. Die Todesstrafe scheint ihr sicher, doch deckt der scharfsinnige Prophet Daniel die Lüge auf, lässt statt Susanna die beiden Bösen hinrichten und das Gute siegen.
Von der frühen Quelle aus verfolgt die Ausstellung das Bildthema durch die Jahrhunderte. Sie zeigt mittelalterliche Handschriften und belegt den sagenhaften Susanna-Boom im Barock mit schönen Stücken. Jüngere Beispiele von Interpreten wie Delacroix, Corinth, Manet sind zu sehen und auch eine »Moderne Susanna« von 1886, die sich als Kellnerin in einer Kneipe gegen zwei zudringliche Gäste wehren muss. Ein eigenes Kapitel widmet sich Alfred Hitchcocks Susanna-Verweis beim »Psycho«-Mord unter der Dusche. Und mit Blick in die Gegenwart tun sich in Köln erstaunliche Parallelen zwischen Susanna und der MeToo-Debatte auf.
Frauenverachtendes Sujet
Angesichts der zeitlosen Relevanz könnte es einen wundern, dass Susanna bisher noch nie Ausstellungsthema war. Ein wesentlicher Grund ist sicher der schlechte Ruf des Sujets als geradezu frauenverachtend. Die biblische Geschichte sei in der Kunst zum bloßen Vorwand für die Zurschaustellung weiblicher Nacktheit verkommen, so beklagen vermehrt seit den 1980er Jahren feministisch orientierte Kunsthistoriker*innen. Die moralische Botschaft falle unter den Tisch, stattdessen trete in den Susanna-Bildern vergangener Jahrhunderte die sexuelle Ausbeutung vor Augen – ein Thema, das der meist männlichen Kunst-Kundschaft entgegenkomme, die sich denn auch instinktiv eher mit den Bösewichten als mit der weiblichen Heldin identifiziere.
Gewiss ist etwas dran an solchen Vorbehalten. Kurator Roland Krischel kennt etliche banale, ärgerliche oder sogar empörende Susannen-Darstellungen. Bezeichnend auch, dass die meisten Künstler*innen unter einigen möglichen Szenen am liebsten die Episode im Bade wählten – als eine Art Alibi für die Darstellung der quasi nackten Schönheit. Dass die bösen Worte der Alten in den stummen Bildern oft zu Handgreiflichkeiten werden, steigert die Spannung und bestimmt auch die Schaulust. Sex sells.
Alle Susannen als verkappte Pin-ups in einen Topf zu werfen, wäre aber falsch. Und so geben sich die Kölner Schau und der zugehörige Katalog einige Mühe, die offenbar festgefahrene Deutung aufzubrechen. Und die Breite der Bildlösungen aufzufächern – »zwischen moralischer Erbauung und sündigem Vergnügen«, wie Kuratorin Anja K. Sevcik es mit Blick auf die Flut barocker Susannen formuliert. Übrigens fanden schon damals auch Malerinnen Gefallen an Susanna. Ein prominentes Beispiel bieten in Köln etwa Artemisia Genteleschi (1593-1654), die Susanna wieder und wieder in Szene setzte, wohl auch, um das eigene Schicksal als Vergewaltigungs-Opfer zu verarbeiten.
Auch die Kundschaft für Susannen-Bilder war keineswegs durchweg männlich. Manch ein weiblicher Auftraggeber ist auszumachen. Außerdem zeigt die Ausstellung etwa Hochzeitskästchen und -truhen für frisch Vermählte. Dass die zur Zier angebrachten Susannen-Motive an dieser Stelle sicher eher der moralischen Mahnung zu Treue als dem Voyeurismus dienen sollten, steht außer Frage. Manchmal muss man eben genau hinschauen, um zu erkennen, was alles hinter Susanna steckt.
Die Bibel sagt nicht viel über diese Frau – was sie denkt, was sie fühlt, was sie erleidet. Das alles bleibt im Dunkel. Auch erscheint Susanna erstaunlich passiv in der ganzen Geschichte. Mehr erfährt man von den alten Richtern, die als Autoritäten systematisch ihre Macht missbrauchen und damit aktuelle MeToo-Muster vorwegnehmen. Was heute bewegt, war schon in der biblischen Geschichte entscheidend: Sie zielt ab auf den Machtmissbrauch, der sich in sexualisierter Gewalt äußert.
Dieser Aspekt klingt sehr wohl an in vielen Werken der Ausstellung. In Grafiken noch mehr als in den meist zurückhaltender inszenierten Gemälden. Doch auch auf der Leinwand geht es nicht allein um Sex and Crime. Die Alten Meister*innen ergreifen Partei. Allein schon, indem sie die Richter als grobe, schmierige, gierige Gesellen charakterisieren – sicher keine Figuren, mit denen Mann sich gerne verkumpelt. Und selbst wenn er ganz gerne mal hinschauen würde, könnten ihm das Beispiel der widerwärtigen Stalker leicht den Spaß daran verderben. Auch Susanna ist nicht bloß schön und nackt im Bade. Immer wieder reagiert sie angeekelt widerstrebend auf das Drängen. Wenn sie sich wehrt oder gar den Mund zum Schrei geöffnet hat, soll das Mitleid wecken. Das Unrecht anklagen. Dabei schaut Susanna zuweilen geradewegs aus dem Bild heraus, dem Betrachter entgegen, der sich schwerlich entziehen kann. Eine Rolle, in der die Heldin zwar aufreizend wirken mag, aber sicher auch moralisierend.
Susanna siegt
Neu in diesem Zusammenhang ist die Kölner Beobachtung, dass in einigen Kompositionen mit Susanna und den Alten die berühmte antike Laokoon-Gruppe aus den Vatikanischen Museen anklingt: Wie der Priester und seine Söhne sich im Todeskampf den Schlangen zu entwinden suchen, so wehrt sich nun Susanna gegen die Übergriffe der schlangengleich gezeichneten Angreifer. Anders als Laokoon wird sie sich retten. Und anders auch als Eva, die auf die teuflische Schlange hörte, wird Susanna standhaft bleiben und siegen.
In der Geschichte schon. Und in der aktuellen Wirklichkeit? Auch das 21. Jahrhundert ist in der Kölner Ausstellung mit spannenden Stücken vertreten. Da hängt etwa ein Cover-Motiv, das Chris Ware 2018 für »The New Yorker« entwarf. Wer all die Susannen im Wallraf gesehen hat, dem kommt Wares junge Frau im roten Kleid bekannt vor. Wie sie dasitzt mit verschränkten Armen und mit Beinen, die sie wie zur Abwehr übereinanderschlägt. Nicht auf der Mauer im Bade, sondern auf der Couch im schicken Büro hat diese neue Susanna Platz genommen. In den Bildern des Barock verbergen die Alten sich oft im Gebüsch, um ihr Opfer auszuspähen. Dem Filmproduzenten in Wares Neuauflage des Susanna-Themas reicht dagegen das Smartphone als Versteck. Sein Screentest scheint abgeschlossen, die rote Pausentaste auf dem Handy-Display leuchtet. Und der fiese Alte schreitet zur Tat: Am Rand des Bildes sieht man, wie er das Rollo vor den großen Fenstern herunterlässt. Das reicht schon, um sich den Rest denken zu können.
Es ist die alte Geschichte. Für die niederträchtigen Richter in der Bibel hatte sie böse geendet. Harvey Weinstein sitzt gerade erneut vor Gericht.
»Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis Metoo«
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
bis 26. Februar 2023