Am Schauspiel Köln inszeniert Pouitiaire Lionel Somé die deutschsprachige Erstaufführung von Alexandra Badeas »Aus dem Schatten: Thiaroye«.
Verzerrte, geschickt manipulierte Filmbilder flackern über die Projektionsflächen auf Marion Schindlers dreigeteilter Bühne. Bilder von einem monströsen Wesen, die von Aufnahmen eines westafrikanischen Kolonialsoldaten, eines Senegalschützen, überlagert und verdrängt werden. Der Soldat macht eine Handbewegung, als bitte er jemanden außerhalb des Bilderkaders, zu ihm zu kommen. Es sind albtraumhafte Aufnahmen, die an düstere Visionen erinnern.
Zugleich sind es auch die Bilder, die Amar, ein großenteils in Frankreich aufgewachsener Senegalese, im Jahr 1970 Nacht für Nacht in seinen Träumen sieht. Der namenlose Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg verfolgt ihn und lässt ihm keine Ruhe. Selbst Nina, seine große Liebe, kann ihn nicht beruhigen. Gelegentlich scheint zwar die Last der Vergangenheit von den beiden abzufallen. Doch letztlich ist das Erbe, das auf Amar lastet, zu schwer. Er verlässt Nina und den gemeinsamen Sohn, um nach seinem verschwundenen Vater, einem der Senegalschützen, zu suchen.
Glücklose Romanze
Alexandra Badea vermischt in ihrem Stück »Aus dem Schatten: Thiaroye« auf eine faszinierend komplexe Weise Zeiten und Ort. Im Zentrum steht die so hoffnungsvoll beginnende und doch fast zwangsläufig scheiternde Liebesgeschichte von Nina und Amar, die in Pouitiaire Lionel Somés Kölner Inszenierung von Katharina Schmalenberg und Serge Fouha verkörpert werden. Auch auf der Bühne, die in ihrer Mitte von einem Doppelbett beherrscht wird, in dem Katharina Schmalenberg voller Enthusiasmus von einem Leben ohne Vergangenheit träumt und Serge Fouha doch immer wieder von ihr eingeholt wird.
Der glücklosen Romanze stehen zwei weitere parallel verlaufende Erzählungen zur Seite, die in den Jahren 2005, 2006 spielen. Da ist auf der linken Bühnenseite Régis (Glenn Goltz), ein nicht mehr ganz junger Lehrer an einer sogenannten Problemschule in einer der zahlreichen französischen Banlieues, der sich um seinen Großvater kümmert und schließlich dessen düsteres Vermächtnis erbt. Auf der rechten Seite verliert sich der erfolgreiche Banker Biram (Leon Burkhardt) in Partys und Drogen. Nur kann nichts die Leere in ihm ausfüllen.
Verbunden sind diese drei Stränge durch das Massaker, das die französische Kolonialarmee am 1. Dezember 1944 in der Festung Thiaroye an wahrscheinlich hunderten Senegalschützen, die dort nach ihrer Rückkehr aus Frankreich interniert waren, verübt hat. Statt den westafrikanischen Soldaten ihren ausstehenden Sold auszuzahlen und sie in ihre Heimat zurückkehren zu lassen, befahl die Kolonialbehörde ihre Ermordung. Die Gründe für dieses Kriegs- und Kolonialverbrechen liegen bis heute im Dunkeln.
Dieser dunkle Abgrund der Kolonialgeschichte gebiert in Badeas Stück transgenerationale Traumata, die sich durch die Familien der Opfer wie der Täter immer weitervererben. Die bösen Geister der Kolonialherrschaft lassen in diesem Stück und in Pouitiaire Lionel Somés Inszenierung niemanden los. Somés fast schon filmische Montage der Szenen überbrückt nicht einfach die Sprünge zwischen den Zeiten. Sie deutet eine Gleichzeitigkeit an, die aus dem geteilten Trauma erwächst. So verdichtet er Badeas Ideen und Thesen noch einmal. Erst am Ende, wenn neben Amar und Nina auch die Enkel eines der Erschossenen und eines der damaligen Schützen am Ort des Massakers zusammenkommen, deutet sich ein Ausweg an. Im Schatten eines stilisierten, aus Pappmaché gefertigten Baobab-Baums inszeniert Somé ein authentisches westafrikanisches Begräbnisritual. So können die Geister und die Lebenden zur Ruhe kommen.
»Aus dem Schatten: Thiaroye«
1. Februar 2025, Depot 2