Der gebürtige Düsseldorfer Kay Voges hat von 2010 bis 2020 überaus erfolgreich das Schauspiel Dortmund als Intendant geleitet, in dieser Zeit als Regisseur viel mit digitalen Techniken auf der Bühne experimentiert und den Anstoß zur Gründung der Akademie für Theater und Digitalität gegeben. Im Moment ist er Intendant des Volkstheaters in Wien. 2025 übernimmt er die Leitung des Schauspiels Köln.
»Ich definiere das Theater als einen Ort des Widerstandes gegen Menschenfeindlichkeit, und für einen Ort wie diesen muss man kämpfen. Dabei ist der Kampf für das Theater immer auch ein Kampf für Freiheit und Gleichheit, also für unsere Demokratie. Zugleich kommt dem Theater im Kampf für unsere demokratische Ordnung und unsere humanistischen Ideale eine besondere Bedeutung zu. Auf der Bühne können wir verschiedene Perspektiven einnehmen und so komplexere, dreidimensionale Denkweisen ermöglichen. Unsere Aufgabe ist es, auf die Herausforderungen, die sich unserer Gesellschaft im Moment und in Zukunft stellen, mit komplexen, vielschichtigen Erzählungen zu reagieren. Das Theater ist eben keine moralische Anstalt, in der von der Kanzel herunter gepredigt wird. Wenn das Theater selbst nur eindimensionale Antworten gibt, macht es sich klein und verschwendet die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, sobald echte Menschen auf der Bühne und im Zuschauerraum zusammenkommen.
Diese Form von Live-Erlebnis schafft eine Gegenwärtigkeit, die das Theater von allen anderen Künsten absetzt. Die ungeschönte Körperlichkeit, die Teil einer jeden Aufführung ist, übt in Zeiten von digitalen Deep Fakes und mittels Photoshop manipulierten Hochglanz-Bildern einen besonderen Reiz aus. Die Bühne ist mittlerweile einer der wenigen Orte in unserer Welt, an denen wir mit der Realität unserer Körper, dem Dreck, dem Schweiß und dem Unperfekten konfrontiert werden. Auf ihr erleben wir das Fehlerhafte, das Teil des Menschseins ist. Das Theater, und das sieht man gerade besonders deutlich in den Arbeiten von Florentina Holzinger, kann den menschlichen Körper in ein komplexes Verhältnis zur Technologie und zu anderen Körpern setzen. Ein Verhältnis, das uns viel über unsere Zeit und unsere Welt erzählt. Die Digitalisierung ist für uns eben nicht nur ein Werkzeug, sie ist auch ein zentrales Thema, das in den kommenden Jahren noch viel wichtiger werden wird. Ja, wir leben in einem digitalen Zeitalter, und wo könnten wir besser als auf der Bühne von dem Kampf erzählen, der sich zwischen unserem verwelkenden Fleisch und einer sich wirklich immer mehr beschleunigenden virtuellen Welt abspielt? Deswegen war es auch so wichtig, die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund zu gründen. Schließlich müssen wir herausfinden, wie es für das Theater und für uns als Gesellschaft weitergehen kann. Ich bin überzeugt, dass das Analoge auf der Bühne eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Aber das heißt nicht, dass wir das Digitale über Bord schmeißen werden. Das werden wir gar nicht mehr können. Wir müssen lernen, mit ihm umzugehen, und wir müssen die Hoheit über die Werkzeuge behalten, um sie dann weiterentwickeln oder auch kritisieren zu können.«
Aufgezeichnet von Sascha Westphal