Jörg Albrecht, geboren 1981 in Bonn, veröffentlichte Romane, Essays, Texte für Theater und Performance. Hörspiele produzierte er unter anderem zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk. Seit 2018 arbeitet er als Gründungsdirektor und Künstlerischer Leiter von Burg Hülshoff – Center for Literature (CfL), dem Programmbetrieb der Annette von Droste zu Hülshoff-Stiftung.
»In 20 Jahren heißt Literatur: lesen und lesen lassen.
In 20 Jahren ist Literatur also nicht nur: still lesen.
In 20 Jahren ist Literatur auch nicht nur: laut vorgelesen bekommen und stumm zuhören.
In 20 Jahren lesen Menschen verschiedener Generationen miteinander laut und leise an Orten der Literatur.
In 20 Jahren laden Institutionen an diesen Orten zum Mitlesen, Mitgehen, Mitmachen ein.
In 20 Jahren sind Zugänge so stark und vielfältig, dass viel mehr Menschen als heute teilnehmen und teilhaben können.
In 20 Jahren arbeiten die Institutionen dennoch weiter gegen Barrieren an.
In 20 Jahren sind Texte auf Buchseiten, auf Websites, an den Wänden eines Raumes, in Parks, in Kopfhörern, in Apps, in Gebärden gleich präsent und gleich wertvoll.
In 20 Jahren sind Texte in Gebärdensprache so selbstverständlich wie Texte in Schrift- und Lautsprache und Teil der Programme literarischer Institutionen.
In 20 Jahren sind Audiodeskriptionen für Bücher und Ausstellungen Standard.
In 20 Jahren geben Institutionen und Festivals ihren Besucher:innen Schlüssel in Einfacher Sprache an die Hand.
In 20 Jahren genießen die Menschen die Komplexe Sprache von Literatur einfach.
In 20 Jahren gehört die Literatur allen, nicht mehr nur dem Bildungsbürgertum.
In 20 Jahren sind Literaturhäuser Häuser, in denen verschiedene Texte und Sprachen wohnen.
In 20 Jahren ist die Literatur im deutschsprachigen Raum eine Literatur vieler Sprachen.
In 20 Jahren sind Texte aller Gattungen verfasst von Autor:innen aller möglichen Geschlechter.
In 20 Jahren gibt es Orte für Literaturvermittlung in ländlichen und in städtischen Räumen gleichermaßen.
In 20 Jahren sind die Netze zwischen Büchereien, Literaturhäusern, Museen und Schulen eng und vielfältig.
In 20 Jahren lernen Menschen von klein auf, sich für Sprache und Sprachen zu begeistern.
In 20 Jahren ermutigen Schulen die jungen Menschen, zu lesen. Texte zu lesen, einander lesen zu lernen und darüber zu sprechen und zu schreiben.
In 20 Jahren ist Lesbarkeit nicht mehr das Wichtigste an einem Leben. Denn was wäre sonst mit den schwer lesbaren Leben, den unlesbaren?
In 20 Jahren heißt Literatur auch: lesen, was unlesbar ist, um zu leben, was lebbar ist.«
Aufgezeichnet von Sarah Heppekausen