Eine Ausstellung der Frauenrechtsorganisation medica mondiale im Rautenstrauch-Joest-Museum zeigt die Porträts 20 afghanischer Frauen, die sich in ihrer Heimat für ihre Rechte einsetzten und 2021 vor den Taliban fliehen mussten. Saina Hamidi will mit ihrer Geschichte anderen Frauen Hoffnung machen.
40 Augen blicken einen an. Forsch, neugierig, nachdenklich. Es sind die Augen 20 afghanischer Frauen. Manche tragen ein Kopftuch, andere einen Pferdeschwanz. Einige lächeln oder formen den Mund zum ernsten Strich. Eine Frau stemmt die Hand in die Hüfte, eine andere verschränkt ihre Arme vor der Brust. Doch was alle Gesichter eint: ihre feste Entschlossenheit. Sie alle sind 2021 vor den Taliban aus Afghanistan geflüchtet, um in Deutschland Sicherheit zu suchen.
Auf übergroßen Pappstelen begegnen uns im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln die von Lela Ahmadzai fotografierten Porträts der geflüchteten Frauen, mitsamt ihrer Biografie und einem Zitat: »Angst begleitet mich, seit ich denken kann«, »Ohne Hoffnung kann man nicht leben«, heißt es da, oder: »Lebt euer Leben – stolz und stark.« Die Frauen sind Aktivistinnen der Hilfsorganisation medica mondiale und haben sich in Afghanistan für Frauenrechte eingesetzt. Als die Taliban 2021 mit der Einnahme Kabuls die Macht in ihrem Heimatland ergriffen, waren sie allesamt in Gefahr. Medica mondiale gelang es trotz zahlreicher Hürden, ihnen zur Flucht nach Deutschland zu verhelfen. Die Ausstellung »Weil wir Frauen sind« zeigt ihre Gesichter, ihre Geschichten, ihre Fluchtwege. Neben den beeindruckenden Porträtfotos dieser außergewöhnlichen Frauen erzählen sie in Videosequenzen von ihrer Flucht, ihrem früheren Leben, ihren heutigen Sorgen und Hoffnungen. Keines dieser Leben ist das, das es mal war.
Stimme gegen das Schweigen
Eine der Frauen ist die 29-jährige Psychologin Saina Hamidi. Ihr Zitat: »Unter einer Burka kann man nicht atmen.« Ihr Blick: selbstbewusst, standhaft, siegessicher. In Afghanistan hat sie über Social Media und YouTube Informationsvideos über den weiblichen Zyklus geteilt. Obwohl sie sich damit in schwere Gefahr brachte, war die Aufklärungsarbeit für sie alternativlos: »Alles begann, als ich eines Tages einen Anruf meiner Freundin erhielt, die kurz vor ihrer Hochzeit stand. Sie hatte Sorge, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren und wusste nicht, was sie in der Hochzeitsnacht erwarten würde. Das war für mich unbegreiflich. Ich wusste, dass ich dem Thema der Sexualität, das in Afghanistan auch in den Schulen verschwiegen wird, eine Stimme entgegensetzen muss. Wenn etwas tabuisiert wird, habe ich gleich tausend Fragezeichen im Kopf und weiß: Darüber muss ich etwas lernen.« Neben ihrem Aktivismus in den Sozialen Medien veröffentlichte sie mithilfe ihres Mannes und Bruders ein Buch über die weibliche Sexualität.
Als Hamidi erfährt, dass die Taliban in der Stadt sind, liegt sie mit ihrem neugeborenen Sohn Hamza im Krankenhaus. Ihr ist sofort klar: Trotz Kaiserschnittnarbe und eintägigem Kind muss sie versuchen, die Stadt zu verlassen: »Die Straßen waren voller Menschen, die einen Weg suchten, zu fliehen. Ich bin zunächst nach Hause und erinnere mich genau an den Moment, als ich die E-Mail von medica mondiale mit den Informationen zur Ausreise erhielt. Ich habe nur einen Schluck von meinem Tee genommen und er schmeckte plötzlich ganz anders.« Das Bild der »schrecklichen Personen« mit ihren großen Waffen und langen Bärten auf der Straße hat sich eingebrannt. Nur ein paar Kleider, Milchpulver für ihr Kind und einen Lippenstift für sich kann Hamidi einpacken, bevor sie ihre frisch möblierte Wohnung verlässt. Doch der geplante Flug nach Deutschland schlägt zunächst fehl. Sie muss bei Verwandten unterkommen, die sie kaum kennt, hat starke Schmerzen von der Geburt und fühlt sich unwohl in der fremden Wohnung fernab von ihrem »Safe Space«. Ihr Sohn bekommt einen Infekt. »Das war eine schlimme Zeit.« Noch drei Monate soll es dauern, bis sie das Land verlassen kann. »Diese drei Monate haben sich für mich angefühlt wie 30 Jahre« erinnert sie sich. Kein Wunder, denn die Zeit war geprägt von Angst und Unsicherheiten. Die Ausreise wird ihrer Familie verwehrt, entweder fehlt ein Visum oder es ist zu gefährlich. Erst im Dezember 2021 gelingt es medica mondiale schließlich einen Flug nach Pakistan zu organisieren, von wo aus Saina Hamidi mit ihrer Familie nach Deutschland kommt. »Die Frauen, die für medica mondiale in Afghanistan gearbeitet haben, waren nie in Sicherheit, sie waren immer exponiert, mit ihren Namen und Telefonnummern bekannt«, erklärt Melina Kohr, Pressereferentin der Organisation in Deutschland. »Sie standen auf Listen, waren Drohungen und Anfeindungen ausgesetzt. Für uns war klar, dass wir sie schnellstmöglich in Sicherheit bringen mussten. Es war ein riesiges Chaos, viele Evakuationsversuche scheiterten. Bis heute beeindruckt mich am meisten, wie engagiert und hoffnungsvoll die Frauen dabei immer waren und immer noch sind.«
Hoffnungsvoll ist auch Saina Hamidi. Und das, obwohl sie zunächst zwei Jahre im Geflüchtetenlager mit quietschenden Matratzen, wenig Platz und dreckiger Küche leben muss und die Flucht vor den Taliban ihre Familie auf die ganze Welt verteilt treibt: »Aber wir waren in Sicherheit und das war die Hauptsache.« Jetzt wohnt sie mit Hamza und ihrem Mann in Rüdesheim, »einer kleinen, sehr schönen Stadt«, wie sie sagt. Am Anfang sei es nicht einfach gewesen – schon allein wegen der Sprache. Mittlerweile spricht Saina Hamidi fließend Deutsch und will unbedingt im Land bleiben, als Sozialarbeiterin arbeiten und anderen Frauen ein Vorbild sein: »Wir Frauen und Mädchen in Afghanistan waren nie sicher, wir mussten immer kämpfen.« Dieser Kampfesgeist mündete schließlich in der Motivation für die Ausstellung: »Es ist wahnsinnig berührend, wie die Frauen es schaffen, ihre Erfahrungen ins Positive zu drehen und anderen Frauen damit Kraft zu schenken«, findet Melina Kohr, »und hier setzt die Ausstellung an: Das Projekt erzählt nicht die Geschichten der Frauen, die Frauen erzählen ihre Geschichten selbst.« Für Saina Hamidi ist das genau das richtige Zeichen: »Ich will meine Geschichte erzählen, damit Deutschland erfährt, was wir in Afghanistan erlebt haben. Alle Frauen auf der Welt sollten zusammenhalten. Diese Einigkeit hat auch uns geholfen, die schweren Zeiten zu überstehen und aktiv zu werden. Sobald ich die Sprache besser beherrsche, möchte ich ein Buch schreiben. Es soll wie eine Umarmung sein für die Frauen dieser Welt. Außerdem habe ich mit Kolleginnen den Verein Hami gegründet als Anlaufstelle für gewaltbetroffene migrantische Frauen. Wir müssen zusammenhalten und gemeinsam unsere Stimmen erheben.«
»Weil wir Frauen sind«
Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln
bis 13. April 2025
Die Ausstellung kann auch digital erlebt werden: