Die Stadt Köln hat sich etwas getraut. Sie hat ein neues Historisches Archiv gebaut, das ein deutliches Zeichen setzt: Denn dieses Haus ist ein Solitär, es wurde nicht wie andere große Kulturbauten sauber eingepasst in eine Lücke im Blockrand, denken wir hier an Kolumba von Peter Zumthor oder das Wallraf-Richartz-Museum von O.M. Ungers. Es will auch nicht eine eigene Stadt sein wie das Museum Ludwig von Busmann + Haberer, das Innen und Außen verschmilzt oder das Römisch-Germanische Museum von Röcke und Renner, das man auf dem Weg durch die City einfach durchlaufen kann. Das neue Historische Archiv des Darmstädter Büros Waechter + Waechter präsentiert sich als bronzene Skulptur, die eine sehr einfache Botschaft in den Stadtraum sendet: Hier stehe ich.
Dass das Schatzhaus der Stadt Köln auch zugleich ein Schutzhaus sein muss, wurde nach dem Einsturz des Vorgängerbaus in der Severinstraße von allen Beteiligten zutiefst verinnerlicht. Das Loch, das heute noch nach zwölfeinhalb Jahren dort in der Straße klafft, ist für viele Kölner*innen weit mehr als nur eine Baustelle, es ist eine öffentliche Wunde, die nur sehr langsam von den Rändern her, wo saniert, neu- und wiederaufgebaut wurde, heilt. Dass es immer noch keine würdige Gedenkstätte gibt, wie sie der Verein »Köln kann auch anders« mit konkreten Planungen fordert, hilft dabei nicht.
So ist der Neubau, der etwa 1,5 Kilometer weiter westlich am Saum des Grüngürtels am Eifelwall steht und Anfang September feierlich eröffnet wurde, auch als eine Form der Wiedergutmachung zu betrachten. Wiedergutmachen und Bessermachen. Denn das Gedächtnis der Stadt, die vielen einzelnen Dokumente, die sich beim Einsturz auf 30 Regalkilometer summierten, die 62.000 Urkunden und Testamente, 2000 Handschriften, Originale von Albertus Magnus bis Konrad Adenauer und rund 70 Architektennachlässe, brauchen nicht nur eine Hülle, die den komplexen konservatorischen Ansprüchen gerecht wird, sie verdienen ein Haus mit Haltung.
Das Kölner Modell
Das nach einem Entwurf von Fritz Haferkamp gebaute Historische Archiv in der Severinstraße war im Juli 1971 eröffnet worden und der dritte Standort dieser bereits 1406 gegründeten Institution. Mit der natürlichen Klimatisierung der Magazinräume nach dem sogenannten »Kölner Modell« bot es ideale Bedingungen für die Archivalien und galt als Vorbild für zahlreiche Archivneubauten. Mit seiner massiven Granitfassade und den schmalen Lichtschlitzen zeigte es Passanten jedoch ein abweisendes Gesicht. Obwohl die Kapazität für eine Nutzungsdauer von 30 Jahren konzipiert wurde, war sie 1996 schon ausgeschöpft. Am 3. März 2009 stürzte das Archiv ein, Nachbargebäude, darunter eine Schule, wurden stark beschädigt, zwei Menschen starben. Die Ursache für den Einsturz waren Fehler bei Tiefbauarbeiten für die neue Nord-Süd-Stadtbahn unmittelbar vor dem Gebäude.
Das Bürger*innenarchiv
Es hatte wohl schon vor dem Einsturz Überlegungen gegeben, das Archiv sichtbarer zu machen. Es sollte nicht nur ein sicherer Ort für die Verwahrung wichtiger Dokumente sein, sondern ein Ort, der eine unmissverständliche Einladung aussprechen sollte, diese auch zu nutzen. Nicht nur an ein Fachpublikum adressiert, sondern an die gesamte Stadtgesellschaft, jede und jeder soll ohne Schwellenangst in diesem Wissensspeicher die eigene Geschichte recherchieren und Antworten finden können. So bot der Neuanfang am Eifelwall der Direktorin des Archivs, Bettina Schmidt-Czaia, die Möglichkeit, die von ihr schon lange gewünschte Idee des Bürgerarchivs umzusetzen. Denn damit meint sie nicht nur einen attraktiven Lesesaal, sondern auch ein attraktives und abwechslungsreiches Programm mit Ausstellungen und Vorträgen zur Geschichte der Stadt.
Doch die gewünschte Öffnung stellte die an dem 2011 ausgelobten Wettbewerb für das neue kulturelle Schatzhaus teilnehmenden Architekturbüros vor einen Widerspruch: gewünscht war, ein einladend-offenes und gleichzeitig sicher-unzerstörbares Gebäude zu entwerfen. Waechter + Waechter versuchten nicht das Unmögliche, sondern trennten die Funktionen und setzten die beiden Baukörper nach dem Haus-im-Haus-Prinzip zusammen. Im Zentrum des Neubaus steht nun das Schatzhaus, auf dessen sieben Etagen fast 65 Regalkilometer und 460 Planschränke Platz finden, in denen die Archivalien sicher verwahrt werden. Diesen mit dunkel changierender Baubronze rundum verkleideten Quader umgibt eine dreigeschossige Mantelbebauung, in der die Büros und Werkstätten der rund 200 Mitarbeiter*innen liegen sowie die öffentlichen Bereiche, das große Foyer und der Lesesaal. Während das Schatzhaus also vollkommen introvertiert ist, orientieren sich die Nutzungen der Mantelbebauung nach außen, suchen den Kontakt zur Stadt.
Auch hier haben Waechter + Waechter Baubronze für die Fassade verwendet. Schaut man an der 126 Meter langen Flanke vorbei, lassen die tiefen, dicht getakteten Brise Soleil die Ansicht geschlossen wirken. Das große Ganze erscheint als abstrakte Figur, als Skulptur im Stadtraum, die weder gefällig noch gewöhnlich ist. Und doch sind die großen Fenster auch Schaufenster, die zeigen, dass ein Archiv so viel mehr ist als ein Bunker, der auch im Nirgendwo der Peripherie stehen könnte. So spricht das Archiv zwar mit großer Geste, wohl aber mit vielen schönen Zwischentönen. Gerade die Publikumsbereiche, das Foyer im Erdgeschoss und der Lesesaal im 1. Obergeschoss, die in dem der Luxemburger Straße zugewandten Gebäudekopf platziert sind, überraschen mit einer lichten und freundlichen Atmosphäre, mit Einblicken und Durchblicken, begrünten Höfen und sorgsam detaillierten Möbeln und Ausbauten aus weiß geöltem Douglasienholz.
Für Vorgestern und Übermorgen
Wie groß der technische Aufwand ist, wie intelligent das Energie- und Klimakonzept des hochkomplexen Gebäudes mit seinen neun Klimazonen nachhaltig zu betreiben, sehen die Besucher*innen nicht. In der Tradition des in der Severinstraße etablierten »Kölner Modells« halten auch hier passive Maßnahmen die Betriebskosten niedrig. Der zweischalige, hinterlüftete Fassadenaufbau des Magazins mit umlaufender Hüllflächenkühlung unter dem Bronzewellenkleid schirmt die Archivalien von den klimatischen Schwankungen der Außenwelt ab. Zu betreten sind die Magazine nur über Klimaschleusen. Auf ein Löschsystem konnte verzichtet werden, da die Räume beim Verlassen stromfrei sind. Verborgen hinter der hohen Attika des Magazins liegen Solarpaneele, unter dem größeren Lichthof ein 400.000 Liter fassender Eisspeicher zur Energiegewinnung. Auch die Quellluftwände in den Publikumsbereichen sind holzverkleidet und fügen sich harmonisch in die Reihe der Regale ein.
Ab Oktober werden die Bestände nach und nach ihr neues Quartier beziehen, bis die durch den Einsturz beschädigten und zerstörten Dokumente restauriert sind, werden wohl noch weitere 30 Jahre vergehen, immerhin stehen 18 Prozent davon inzwischen wieder zur Verfügung. Und auch mehr Grün wird es geben, eine Reihe von Bäumen am Eifelwall und einen Park im Bereich des Grüngürtels.
Wohin mit der Kunst- und Museumsbibliothek?
Nur die Kunst- und Museumsbibliothek KMB ist nicht, wie zunächst geplant, mit in den Neubau am Eifelwall gezogen, sondern muss weiter an ihren fünf Standorten im Interim verharren. Mit dem nun ein Geschoss niedrigeren Archivneubau sparte die Stadt 20 Millionen Euro, bekannte sich aber inzwischen doch zum Fortbestand der KMB. Offen ist allerdings noch, wo die in Zukunft zu finden sein wird. Nun wird das Haus des Hauptsitzes in der Kattenbug vom Eigentümer generalsaniert, der Mietvertrag konnte bis Ende 2023 verlängert werden, während die Stadt ein geeignetes, zentral gelegenes Gebäude zur langfristigen Anmietung sucht. Dort sollen dann die gesamten Bestände, rund eine halbe Million Bände, die Werkstätten und der Lesesaal zusammengeführt werden. Dazu braucht die KMB nicht nur eine große Fläche, sondern auch eine den hohen Lasten angemessene Statik – kein einfacher Umzug also. Direktorin Barbara Purpus hat einen großen Wunsch: mehr Sichtbarkeit für ihre wissenschaftliche Spezialbibliothek, die große Bedeutung hat. Weit über Köln hinaus.