Streifzug durch die Stadtgeschichte: Im K-West Verlag erscheint ein Buch über Dortmunder Kunst im öffentlichen Raum.
Gelassen, ja, geradezu entrückt steht sie da und blickt mit einer unendlichen Ruhe auf den großen Lärm um sie herum. Denn der Standort von Gerhard Marcks »Fortuna« ist laut, sehr laut sogar. Im Sekundentakt rasen Autos auf dem Hiltropwall an ihr vorbei. Doch wer in einer Ampelpause den Blick schweifen lässt, kann die goldene Skulptur von 1954 unverhofft an der Fassade eines ehemaligen Bundesbankgebäudes entdecken. So ist es mit Kunst im öffentlichen Raum ja eigentlich oft: Wir kommen täglich an ihr vorbei, ohne meist allzu viel über die Werke am Wegesrand zu wissen. Insofern ist ein neuer Sammelband über Dortmunder Kunstwerke nun eine schöne Einladung, genauer hinzuschauen. Denn jedes hat natürlich seine eigene Geschichte.

Mehr als tausend (!) Skulpturen, Plastiken, Wandreliefs, Gedenktafeln, Brunnen, Bodenarbeiten, dreidimensionale Kunstobjekte am Bau und architektonisch gestaltete Denkmäler wie Obelisken und Gedenksäulen gibt es allein im Dortmunder Stadtgebiet. »Legt man eine engere Definition des Begriffs ‚Kunstwerk‘ zugrunde, so könnte man immer noch auf etwa 250 kommen«, schreibt Jacques Heinrich Toussaint (hier geht’s zu einem Interview mit ihm), der den Band initiiert und 35 Arbeiten, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, ausgewählt hat. Dass der Kunsthistoriker eine Stabsstelle für Kunst im öffentlichen Raum leitet, die beim Museum für Kunst und Kulturgeschichte angesiedelt ist, ist eine Dortmunder Besonderheit. Denn längst nicht in allen Städten sind die Zuständigkeiten für die Bestände, die oft im kommunalen, seltener im privaten Besitz sind, so eindeutig geregelt. Toussaints Ressort existiert seit 2012 und dokumentiert die Werke nicht nur, sondern begleitet Ausschreibungen wie zuletzt zu einem Gastarbeiter*innen-Denkmal oder organisiert Touren durch die Stadt.
Durch Stadtteile, Stile und Zeiten
Denn auch das zeigt dieser Band sehr schön: Ausgehend vom meist üblichen Personenkult des 19. Jahrhunderts, wurden die Werke im Laufe der Zeit immer autonomer und ungegenständlicher. Kunst im öffentlichen Raum spiegelt nicht nur ein Stück weit die Erinnerungskultur eines Ortes wider, sie ist auch Teil der Stadtentwicklung, Seismograf für gesellschaftliche Veränderungen, manchmal auch für Politik. Das Buch wandert mit Fotos und erklärenden Texten von der City aus durch Stadtteile, Stile und Zeiten. Es macht Halt an Stationen des Emscherkunstwegs wie der »Vogelfrau« in Richtung Phoenix-See von Lucy und Jorge Orta (2016) oder an der begehbaren Skulptur »Zur kleinen Welle« von Raumlabor. Und es blickt auf die wunderbare »Röhrenlandschaft« von Friedrich Gräsel und auf Norbert Krickes »Wasserherz«, die beide 1969 zur Bundesgartenschau für den Westfalenpark entstanden sind.
Natürlich schaut es auch auf Werke, die es so nur in Dortmund gibt: Zur Kulturhauptstadt entwickelte der Künstler Adolf Winkelmann eine Film-Installation für das heutige Kunst- und Kulturzentrum des U. Liebevolle, schön-schräge, leicht surreale Mini-Erzählungen, die seitdem über den Köpfen der Menschen flimmern. Errichtet wurde die Union Brauerei schon 1926. Zu erzählen hätte sie allein aus der Stadtgeschichte so einiges – seit 2010 tut ihr Turm das nun tatsächlich.

Kunst im öffentlichen Raum. 35 Kunstwerke in Dortmund. Hrsg. von Jacques Heinrich Toussaint, K-West Verlag, 120 Seiten, 14,95 Euro
Weitere Dortmunder Kunstwerke finden sich auch digital auf www.dortmund.de/kunst-im-oeffentlichen-raum