Der Hartware MedienKunstVerein in Dortmund widmet sich mit einer überraschenden Ausstellung der Warteschleife als Metapher für das Leben in Mustern und Systemen, die niemand mehr komplett überblicken kann.
Beim Begriff »Warteschleife« denken die meisten Menschen wahrscheinlich an ermüdende Versuche, ihre Telefongesellschaft – oder neuerdings auch ihre Fachärztin – zu erreichen und dabei endlos lange nur Wartemusik zu hören. In die Ausstellung »Holding Pattern – Warteschleifen und andere Loops« im Hartware MedienKunstVerein Dortmund (HMKV) haben diese konkreten Situationen allerdings keinen Einzug gefunden. Der britische Schriftsteller und Kurator Tom McCarthy sieht die Warteschleife sinnbildlich für unser Leben, das oft in Mustern abläuft, die wir nicht komplett verstehen oder überschauen können.
Die Besucher*innen im dritten Stock des Dortmunder U-Turms werden von einem Summen empfangen. Es gehört zur Videoarbeit »Ambient Air« von Susan Philipsz. Sie hat eine Kunstaktion auf dem stillgelegten Flughafen Tegel in Berlin dokumentiert, bei der sie selbst in einem zweisitzigen Flugzeug über das Gelände kreiste, dabei Brian Enos Ambient-Klassiker »Music for Airports« über Kopfhörer hörte und mitsummte. Ihr Summen war in die leeren Flughafenhallen übertragen worden – und bildete auch den einzigen Ton des Videos, das in der historischen Super-8-Technik, also ohne Ton, aufgenommen wurde.
»Air ist das englische Wort für Luft, aber auch für Radio-Frequenzen – und auch die Opern-Arie stammt von diesem Begriff«, sagt Tom McCarthy und eröffnet damit den Assoziationsraum für Philipsz‘ Videoinstallation. Er findet: »Aus dieser Arbeit könnte ein neues Berliner Denkmal werden.« Ganz so weit muss man vielleicht nicht gehen, aber zumindest berührt die mit dem Turner Prize ausgezeichnete Künstlerin mit ihrem Werk einen Kern des Ausstellungsthemas, denn der englische Begriff des »Holding Pattern« meint zuerst die Taktik, mit der Fluglots*innen mehrere Flugzeuge über einem Flughafen in der Luft halten, ohne dass diese sich in die Quere kommen und im schlimmsten Fall abstürzen.
Menschen im Schwebezustand
Fast jeder etwas weiter gereiste Mensch wird genau diese Situation einmal erlebt haben, dass im Flugzeug die Durchsage kommt, dass leider noch keine Landeerlaubnis erteilt wurde und man noch eine Schleife drehen müsse. Das kann das Gefühl noch verstärken, dass das eigene Leben in fremden Händen liegt, man gerade ferngesteuert funktioniert, dass menschliche Schicksale heute auch eng mit den Kreisläufen von Technologien verbunden sind. Aber das Thema taucht nicht erst in der hochtechnisierten Welt von heute auf: »Auch in der Antike können wir es entdecken«, sagt Tom McCarthy: »König Ödipus zum Beispiel ist seit seiner Geburt in einem Muster gefangen, das er nicht versteht. Er bekommt eine Weissagung, was ihm alles Schlimmes widerfahren wird, und was er auch versucht, er entkommt den Mustern nicht.«
Tom McCarthy, 1969 geboren in London, ist eigentlich Autor und lebt mittlerweile in Berlin. In seinen Romanen, die in über 20 Sprachen übersetzt und fürs Kino, Theater und Radio adaptiert wurden, geht es oft um Menschen, die sich in einem Schwebezustand befinden, in Schleifen oder Loops, die in auch in technische oder Informations-Systeme eingebettet sein können. Weil er schon lange mit HMKV-Direktorin Inke Arns bekannt ist, konnte er sein literarisches Lebensthema jetzt zusammen mit Anne Hilde Neset kuratorisch umsetzen.
Dabei hat er Spannendes aus verschiedenen Zeiten zusammengesammelt. Schon historisch ist etwa die 12-Kanal-Videoinstallation »Deep Play« des 2014 verstorbenen Filmemachers Harun Farocki. In einem Halbkreis aus Röhrenfernsehern laufen hier synchronisiert verschiedene Aspekte des Finales der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im Berliner Olympiastadion. Man sieht das Spiel selbst, man sieht es in Vektoren von Ball- und Spielerbewegungen oder Angriffskorridoren und dynamischen Diagrammen dargestellt, aus denen Expert*innen herauslesen wollen, was passieren wird – oder woran es gelegen hat.
Eine Kamera filmt quasi die Götter des Olymp, also FIFA-Funktionäre, die das Spiel an einem Konferenztisch betrachten. Eine Polizeikamera überwacht einen Tunnel auf dem Stadiongelände. »Hier scheint die Drohung von Gewalt auf«, sagt Tom McCarthy, »aber geschehen ist sie dann auf dem Spielfeld – mit Zidanes Kopfstoß.« Steht man in der Mitte des Halbkreises, dann hört man nur eine Kakophonie. Tritt man an die einzelnen Fernseher heran, kann man ihren Ton isoliert wahrnehmen und sich einen Überblick über eine weitere Ereignis-Welle verschaffen. Aber es bleibt doch der Eindruck zurück, dass man alle Aspekte des Systems, das um ein derart breit wahrgenommenes Fußballspiel gesponnen wird, wohl nie ganz auffassen oder durchblicken kann.

Im Rahmenprogramm der Ausstellung läuft jeden Freitagabend im Juni und Juli ein Film oder Video von Harun Farocki im Programmkino Sweet Sixteen im Depot. »Die erste Farocki-Filmreihe in Dortmund«, wie Inke Arns anmerkt.
Die besten, sinnlichsten Arbeiten dieser Ausstellung warten in den hinteren Räumen, die man durch dunkle, nur mit einzelnen Lichtpunkten erhellte Gänge erreicht: Stefan Panhans und Andrea Winkler haben mit »Freeroam À Rebours« ein Werk geschaffen, in deren Kern zwar auch ein Video läuft, aber drumherum haben sie eine spannende Rauminstallation aufgebaut, die mit Leitplanken, Motorradhelmen und Bühnenelementen auf das Computerspiel Grand Theft Auto verweist. In diesem Spiel gibt es einen sogenannten Freeroam-Modus, wo Spielende keiner Handlung folgen müssen, sondern einfach die Umgebung der animierten Welt erkunden können.
Im Multispieler-Modus kommt es dabei zu unmotivierten Szenen. Man cruist durch die Gegend, plündert, prügelt sich oder steht einfach herum. Der Computer zeigt mit merkwürdigen, sich wiederholenden Bewegungen an, dass die Spielfigur noch am Leben ist. Das Künstlerduo aus Hattingen und Zürich hat Schauspieler*innen diese Eigenheiten und auch Fehler der Software nachspielen und sie mit Tänzer*innen in Dialog treten lassen. Entstanden ist ein merkwürdiger, aber super interessant zu betrachtender Hybrid aus analoger und digitaler Welt, eine Übertragung der digitalen Fehlerschleifen ins richtige Leben.
Im (je nach Wegesverlauf) letzten oder vorletzten Raum wartet eine der Arbeiten, wie aktuelle Ausstellungsbesucher*innen sie lieben werden: In einem Raum mit Sofas und Sitzsäcken kann man einfach rumhängen und Musik-Loops genießen, die Musiker*innen einer fiktiven Jamsession spielen. Der kanadische Künstler Stan Douglas hat sie 2013 im legendären Columbia 30th Street Studio in New York initiiert und »Luanda-Kinshasa« genannt, wie zwei gerade unabhängig gewordene afrikanische Hauptstädte. Afrikanische Musiker*innen spielen also in den USA Jazz und Funk, Musikstile, die eine enge Beziehung zur Politik und Befreiungsbewegung der Schwarzen haben. Geschehen ist diese Session bisher nur im Raum der Kunst – aber sie sollte auch im realen Möglichkeitsraum liegen, oder nicht?
Diese sinnlichen Erfahrungen machen jedenfalls schnell vergessen, dass es in der Ausstellung auch sperrige Arbeiten wie die 8-Kanal-Videoinstallation von Elizabeth Price gibt, »The Teachers«, die auf rätselhafte Weise das Ende des englischen Kohlebergbaus, Disco-Kultur, Geheim-Kult und Frauenmode zusammendenkt. Dem sowieso schon sehr textlastigen Werk ist noch ein extra Raum mit Fußnoten hinzugefügt. Vielleicht schafft man es nach ein wenig Chillen in der Jamsession, sich ihm noch zu widmen.
»Holding Pattern – Warteschleifen und andere Loops«
HMKV Dortmund
bis 27. Juli