Im November gehen mit der Les.Art in Dortmund und dem Essener Literaturdistrikt gleich zwei interessante Festivals an den Start. Bei beiden ist Elina Penner dabei, die mit ihren Romanen »Nachtbeeren« und »Migrantenmutti« für Aufsehen sorgte und nun ein neues Buch herausgebracht hat: »Die Unbußfertigen« hält der Online-Kommentarwut den Spiegel vor.
»Die Unbußfertigen« startet gemächlich: Zunächst werden zehn Figuren einzeln vorgestellt, die sich nach und nach zu einem ominösen Treffen auf den Weg machen. Sie alle haben online eine Einladung bekommen – doch wofür eigentlich? Keiner weiß so richtig, wohin die Reise eigentlich geht. Ein Shuttle sammelt sie an einem kleinen Bahnhof ein und fährt sie zu einem Herrenhaus, wo sie von der Außenwelt abgeschirmt ein Wochenende verbringen sollen. Richtig interessant wird der Roman erst, als auch die Figuren langsam begreifen, wo sie gelandet sind: in einer Art Reality Game.
Bald entdecken sie überall Kameras und es dämmert ihnen, dass es um mehr geht als um einen hohen Rang in einem sozialen Netzwerk. Nach und nach kommt dazu noch heraus, dass sie ihre Rechte abgetreten haben und nun unfreiwillig Teil einer Reality-TV-Show geworden sind – aus der plötzlich einer nach dem anderen verschwindet.
Was in Elina Penners neuem Roman »Die Unbußfertigen« wie eine Satire über Reality TV beginnt, entwickelt sich zu einem Kammerspiel über Scham, Schuld, Shitstorms und digitale Übergriffigkeit. In ihrer Romanwelt hat die Regierung Regulierungsversuche im Netz längst aufgegeben, die Autorin selbst nennt das Setting »dystopische Gegenwart«. Im Herrenhaus geraten derweil die Dialoge zwischen den Figuren zu Duellen. Wer bleibt übrig und geht es hier eigentlich überhaupt ums Gewinnen? Ob mit ihren eigenen Postings oder in der Kommentarspalte: Die Figuren hatten sich online nach Anerkennung gesehnt, nun stehen sie sich persönlich gegenüber und gehen gnadenlos miteinander ins Gericht.

Mit feministischem Nachdruck und popkulturellen Witz hält der Roman diverse Anspielungen bereit, etwa auf die »Truman Show« und viele weitere Fernsehformate. Wer sie entdeckt, kann noch ein paar Ebenen mehr lesen. Elina Penner, die bei Minden in Ostwestfalen lebt, formuliert es bei ihrer Buchvorstellung auf dem eigenen Instagram-Kanal so: »Das Buch ist fantastisch für Millenials, die auf Reality TV stehen.« Doch auch ohne Reality-TV-Kenntnisse ist ihre Auseinandersetzung mit dem Umgang mit öffentlichem Fehlverhalten sehr lesenswert: »Die Unbußfertigen« ist weniger an einem klassischen Spannungsbogen interessiert. Analog zum TV-Format geht es in kurzen Abschnitten und reichlich Cliffhangern voran. Eine der weiblichen Figuren, Natasch, stiehlt den anderen mit ihren schlagfertigen Statements zu Frauenhass und digitaler Gewalt die Show. Die Männer in ihrer Nähe wirken da nur noch wie bloße Stichwortgeber, die rasch und emotional zusammenbrechen. Nicht alle Cliffhanger werden am Ende aufgelöst. Aber auch das passt zu diesem Buch, in dem viele Fragen zu Moral und medialer (Selbst-)Verwertung aufkommen. Auf die es vielleicht auch einfach keine simplen Antworten gibt.
8. NOVEMBER, LESERAUM IN DER AKAZIENALLEE, ESSEN (LITERATURDISTRIKT)
11. NOVEMBER, ROTO THEATER, DORTMUND (LES.ART)
13. NOVEMBER, MANULIT, KÖLN
ELINA PENNER: »DIE UNBUSSFERTIGEN«, AUFBAU, 352 SEITEN, 22 EURO






