1990 haben die »Impulse« zum ersten Mal stattgefunden. Seither haben sie sich als das wichtigste Festival der Freien Szene in Deutschland etabliert. Nun hat die Dramaturgin und Kuratorin Franziska Werner die künstlerische Leitung übernommen und gleich einige spannende Veränderungen vorgenommen.
kultur.west: In den vergangenen Jahren war es bei den »Impulsen« so, dass der Showcase immer komplett in einer der drei Festival-Städte stattgefunden hat und die Nebenprogramme in den anderen Städten. Nun wandern sie wie die anderen Programmreihen von einer Stadt zur anderen. Der erste Block findet in Mülheim an der Ruhr statt, der zweite in Köln und der dritte in Düsseldorf. Was hat Sie zu dieser Veränderung bewegt?
WERNER: Da sind mehrere Ideen zusammengekommen. Zunächst bin ich von meiner eigenen Besucherinnen-Erfahrung ausgegangen. Und ich muss gestehen, dass mich das immer ein bisschen gestresst hat, zwischen den Städten unterwegs sein zu müssen womöglich sogar noch innerhalb eines Tages. Ich glaube, es führt zu einer entspannteren Publikumserfahrung, wenn man sich nur auf eine Stadt konzentrieren kann. Außerdem geht es mir darum, dass in allen drei Städten in jedem Jahr die ganze Bandbreite des Festivals zu erleben ist, wenn auch natürlich nicht jede Produktion in jeder Stadt.
kultur.west: Ja, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Der Showcase zieht die größte Aufmerksamkeit auf sich.
WERNER: Genau, der Showcase ist natürlich das Hauptprogramm des Festivals und damit eine Art Priorität, auf die auch vor allem geschaut wird. Insofern ist es schade, wenn er nur alle drei Jahre in einer Stadt auftaucht. Also hoffe ich, dass unsere neue Herangehensweise die »Impulse« nochmal stärker in den Festivalkalendern der drei Städte verankert. Schließlich finden so jedes Jahr alle Programmlinien in jeder Stadt statt. Zudem erscheint mir die Idee, ein wanderndes Festival zu haben, charmant und irgendwie auch ein bisschen romantisch. Die »Impulse« sind jetzt so etwas wie ein Wanderzirkus.
kultur.west: Aber so ein Wanderzirkus bringt sicher auch logistische Probleme mit sich.
WERNER: Ja, natürlich ist die Organisation nicht gerade einfach, da wir als Festivalteam und die Künstler*innen nur wenig Zeit haben, um alles einzurichten, und dann zieht die ganze Karawane weiter. Ehrlich gesagt, bin ich total gespannt, ob und wie das aufgeht. Falls es funktioniert, freue ich mich, und falls nicht, justieren wir im kommenden Jahr nach.
kultur.west: Die drei Städte unterscheiden sich in vielen Punkten. Das gilt auch für die räumlichen Möglichkeiten, die sie den »Impulsen« bieten können.
WERNER: Insgesamt gesehen hat NRW viele gute Räume, gerade auch für die Freie Szene. Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder Raumprobleme. Obwohl wir in drei Städten Spielstätten zur Auswahl hatten, gab es teilweise Schwierigkeiten für die entsprechenden Produktionen die richtige Spielstätte zu finden. Aber das kennen alle Festivalmacher*innen. Man muss einfach mit dem Verfügbaren arbeiten. Das gilt für die Räume wie für die Termine der einzelnen Künstler*innen und Gruppen. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass das Programm sehr gut aufgeht. Wir haben überall eine schöne Mischung aus größeren und kleineren Produktionen: Man kann jetzt in jeder Stadt sozusagen jeweils ein kleines Festival genießen! Man kann das Programm aber auch in allen drei Städten zusammen als Gesamtfestival betrachten, was ich mir wünsche. Dann hat man nochmal einen ganz anderen Überblick und reist vielleicht doch auch einmal in eine der anderen Städte, aber womöglich entspannter.
kultur.west: Sie und Ihr Team haben im Lauf des Auswahlprozesses für den Showcase sehr viele Arbeiten im gesamten deutschsprachigen Raum gesichtet. Haben Sie das Gefühl, dass es im Moment einen größeren Trend in der Freien Szene gibt?
WERNER: Ich würde jetzt nicht sagen, dass es den neuen Trend gibt. Es fällt allerdings auf, dass viele Künstler*innen versuchen, auch ernste Themen mit eher unterhaltsamen Genre-Mixen zu bearbeiten. Das gibt es schon seit einiger Zeit. Aber wenn man Arbeiten wie Hendrik Quast »Hairkunft« (19., 20., 21. Juni in Mülheim) oder Joana Tischkaus »Ich nehm dir alles weg – Ein Schlagerballett« (18. & 19. Juni in Mülheim) sieht, ist schon bemerkenswert, wie sich hier Stand-up-Comedy und Performance, Nummernrevue und Showspektakel vermischen, und das immer aus einer kritischen Perspektive auf die politischen und sozialen Verhältnisse in Deutschland.

kultur.west: Haben Sie den Eindruck, dass die gegenwärtige politische (Welt-)Lage sich schon jetzt in den Inszenierungen niederschlägt?
WERNER: Ja, man merkt immer wieder, wie die politische Weltlage in die künstlerische Arbeit hineinragt. Nehmen wir etwa »Four Walls and a Roof« (21. Juni in Mülheim) von Lina Majdalanie & Rabih Mroué. Die beiden beschäftigen sich mit dem Verhör, dem Bertolt Brecht 1947 in den USA vor dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe ausgesetzt war. Zugleich geht es vor dieser Folie aber auch auf eine sehr komplexe und subtile Art um ihre eigenen Erfahrungen mit Themen wie Exil, Migration, Meinungs- und Kunstfreiheit. Und um noch ein anderes Beispiel zu nennen, Simone Dede Ayivis True-Crime-Performance »Autsch – warum geht es mir so dreckig« (27. und 28. Juni in Köln) kreist ganz klar auch um Fragen von Wohnungs- und Gesundheitspolitik. Genau das sind schließlich Bereiche, die gesellschaftspolitisch schlecht gelöst sind und zu einer Prekarisierung von Biografien und Menschen führen. Aber bei allem Ernst der Lage versuchen die Künstler*innen, doch irgendwie positiv mit all den Krisen umzugehen. Sie verhandeln diese Themen mit einer bewussten Leichtigkeit und Humor, um der allgegenwärtigen Düsternis etwas entgegenzusetzen.
kultur.west: Düsternis ist dennoch ein entscheidendes Stichwort. Überall stehen Sparmaßnahmen an, die die Freie Szene sehr konkret gefährden.
WERNER: Das stimmt leider. Auch ich habe gleich zu Beginn meiner Zeit als künstlerische Leiterin der »Impulse« ein entsprechendes »Willkommensgeschenk« erhalten. Das konnten wir jetzt mit vielen Gesprächen hoffentlich final abräumen und es wurde uns zugesichert, dass Köln doch den Beitrag für Impulse auch weiterzahlen wird und möchte. Was super ist, wenn es denn hoffentlich so kommt. Man merkt es ja aktuell, man kann überhaupt nicht sicher sein, dass es im nächsten Jahr immer noch so sein wird wie bisher. Ich rechne immer mit allem, gleichzeitig hoffe ich natürlich, dass sich alle bewusst sind, dass es ein unschätzbarer Wert ist, so ein Festival wie »Impulse« hier in NRW zu haben, das die gesamte Szene ins Bundesland bringt.
kultur.west: Aber selbst, wenn das Festival nicht direkt von Einsparungen betroffen sein sollte, bleibt doch die Frage, wie es in Zukunft aussehen wird, wenn für viele Gruppen und Künstler*innen entscheidende Förderungen wegbrechen.
WERNER: Ja, das ist etwas, das im Moment noch gar nicht absehbar ist. Denn natürlich basiert »Impulse« auf einer starken, freien Szene-Landschaft im deutschsprachigen Raum und damit in den verschiedenen Bundesländern. Wenn die Förderungen überall derartig zusammenbrechen, wie es jetzt in Berlin und leider ja auch in NRW der Fall ist, dann wirkt sich das unmittelbar auf das Festival aus. Aufgrund der fehlenden Fördermittel wird sehr viel wegbrechen, was für »Impulse« in Frage kommt und ich muss sagen, die Folgen sind noch gar nicht so richtig abzusehen, was das dann bedeutet: Letztlich geht es mit er Kunst ja auch um Existenzen!
kultur.west: Im schlimmsten Fall gäbe es ein Festival, aber praktisch kaum Produktionen, die auf ihm gezeigt werden könnten.
WERNER: Das möchte ich mir gar nicht vorstellen. Aber die Gefahr besteht natürlich. Trotzdem hoffe ich auf die Resilienz der Freien Szene. Sie hat schon immer Strategien gefunden, mit dem Mangel umzugehen. Aber irgendwann ist halt das Ende der Fahnenstange erreicht. Dann geht es nicht mehr auf Kosten von Machbarkeit, sondern am Ende auch auf Kosten von Gesundheit der Künstler*innen. Irgendwann wird es einfach zu prekär, das geht dann nicht mehr. Und gleichzeitig wird es wahrscheinlich dennoch spannende, hochqualitative Produktionen der Künstler*innen geben, aber eben viel, viel weniger. In diesem Jahr dürfen wir noch auf eine große Fülle blicken, das ist wunderbar, verspricht eine großartige Festivalausgabe und soll – nein, muss! – unbedingt so bleiben.
Impulse Festival
18. Juni bis 6. Juli
an verschiedenen Orten in Mülheim, Köln und Düsseldorf

Zur Person
Franziska Werner, die 1975 in Ost-Berlin geboren wurde und in Weimar aufgewachsen ist, hat in Berlin und Paris Theaterwissenschaften/Kulturelle Kommunikation, Kunstgeschichte und Europäische Ethnologie studiert. Danach arbeitete sie als freie Dramaturgin und Kuratorin der Produktionsleiterin in Berlin und deutschlandweit. Von 2011 bis 2023 war sie künstlerische Leiterin der Sophiensaele in Berlin. Seit September 2024 hat sie die künstlerische Leitung des Impulse Festivals inne.