Betonkopf, Betonwüste, Betonfußball. Das Material weckt keine guten Assoziationen. Auch wenn seit der Zinskrise »Betongold« Konjunktur hat und eine atemberaubende Karriere macht. Selbst »Betonkirche« klingt pejorativ. Und »Betondom«, da größer und mächtiger, erst recht. Aber so heißt er ja auch nicht, sondern »Wallfahrtskirche Maria, Königin des Friedens«, kurz »Mariendom«. Errichtet zwischen 1966 und 1968 in Velbert-Neviges, einer Kleinstadt im Bergischen Land, auf halber Strecke zwischen Wuppertal und Essen. Ein Dom aus unverschaltem Beton, Wallfahrtsort und Pilgerziel, mit sechstausend Plätzen die zweitgrößte Kirche im Erzbistum.
Aufragendes Zeltgebirge
Wie dieses Bauwerk aussieht, wie es da steht, sich kantig expressiv von seiner Umgebung abhebt und die Schieferidylle überragt, kann man auch als Demonstration dafür verstehen, was (nicht erst) heute mit Beton, dem Baustoff mit dem schlechten Ruf, alles geformt, gebildet und gestaltet werden kann. Ein Material der schier unbegrenzten Möglichkeiten. Eine aufgehängte Konstruktion, bei der sich Wand- und Deckenelemente gegenseitig stützen, hat eine gezackte Skulptur, kraftvoll und reich an Geheimnissen, entstehen lassen, ein schroff aufragendes Zeltgebirge, ein Architekturwunder, das sich kühn über alle Vorstellungen und Traditionen sakraler Baukunst hinwegsetzt.
Rote Rosen schmücken die Fenster
Auch der Innenraum bestätigt es: keine Ost-West-Achse, auf deren mächtigen Altar das Gebäude ausgerichtet ist, sondern ein polygonaler Grundriss, der eine Vielzahl von Emporen, Apsiden, Nischen, Erkern und Kapellen um eine Mitte anordnet, die wie ein Marktplatz (und wie der breite, zum Eingang hin ansteigende Platanenhof) gepflastert ist. Die Grenzen von Außen und Innen werden tendenziell aufgehoben, kein Ort für eine geschlossene Gesellschaft. Keine Lampen hängen von der verschachtelten Decke, als Leuchten stehen Straßenlaternen im Raum. Mystisches Dunkel beherrscht ihn und gibt ihm die suggestive Eindringlichkeit einer Höhle. Keine festen Bänke, die Bestuhlung ist beweglich. Die mächtigste Säule trägt die Predigerkanzel und verjüngt sich. Das Wort steht an vorderster Stelle. Rote Rosen schmücken die Fenster. Knallige Pop-Art. Wie in gotischen Kathedralen wird der Blick nach oben gelenkt.
Als erster Deutscher mit dem Pritzker-Preis geehrt
Es ist nicht das erste und auch nicht das letzte Gotteshaus, das der Kölner Kirchenbaumeister Gottfried Böhm, geboren 1920 in Offenbach, in seinem langen und überaus ertragreichen Architektenleben geschaffen hat; insgesamt siebzig, von der Kapelle Madonna in den Trümmern bis zur neuen Groß-Moschee in Ehrenfeld, umfasst das Werkverzeichnis. Aber es ist das größte, bedeutendste, außergewöhnlichste – sein Opus magnum, auf das frühere Werke, so St. Gertrudis in Köln (1961–63), schon hinweisen. Auch dafür wurde Gottfried Böhm, der den Beruf von seinem Vater Dominikus übernommen und an seine Söhne Stephan, Peter und Paul weitergegeben hat, 1986 als erster deutscher Architekt mit dem Pritzker-Preis, dem Nobelpreis für Architektur, ausgezeichnet.
Grau. Sichtbeton ist grau. Aber er bleibt es nicht. Auch das lässt sich in Neviges besichtigen. Denn die Dachhaut aus Blei, die der Architekt auflegen wollte, war der Kirche zu teuer. Wind und Wetter setzen dem Beton zu, verändern sein Aussehen, er verschliert, dunkelt nach, zeigt Flecken und Flechten – Lebenszeichen. Im Innern wird das zum Ereignis. Die Decke ist so schwarz, dass sie nicht mehr auszumachen ist und den Raum förmlich entgrenzt. Als hätte der Beton mitgebaut. Dafür, dass ihn viele Architekten ohne Fantasie verwenden, kann er so wenig wie das Papier für das, was darauf geschrieben steht.