Seit mehr als 13 Jahren ist das Wasser im Bonner Viktoriabad abgelassen, der Strom abgestellt, Leitern und Toiletten sind abmontiert. Leere und Funktionslosigkeit lassen die Schwimmhallen mitten in der trubeligen Bonner Innenstadt fast unheimlich wirken. Wäre da nicht dieses bunte Fenster, das sich über die gesamte Länge des Schwimmerbeckens erstreckt. 30 Meter lang, 8 Meter hoch, besteht es aus 296 Platten aus glasfaserverstärkten Polyester, die in schlanken Aluminiumrahmen sitzen. Zusammen ergeben sie das abstrakte Bild einer »Geysirlandschaft«. Aus bewegten blauen Linien entsteht ein Raster auf hellopakem Grund, die Flächen dazwischen füllen kleine grau-blaue Wellen. An drei Stellen durchstoßen in leuchtendem Gelb, Orange und Rot plötzliche Eruptionen das strenge System, die Sonne, blutrot und kreisrund, hängt unter dem Sturz. Wie ein Tartan den Charakter der schottischen Landschaften in Karomuster übersetzt, wird die Fensterfläche zur abstrakten Kulisse – entworfen, um die Badegäste des schnöden Hallenbades in eine magische Szenerie zu versetzen.
Mit dem Lauf der Sonne, der Intensität des Lichts wandelt sich das Bild, es strahlt. Früher ließen die Glasfenster farbige Punkte auf dem Wasser tanzen. Bei Tageslicht ist dieses Lichtspiel heute von außen kaum noch zu vermuten, das große Fenster schlicht mit hellem Naturstein gefasst. Bei Nacht allerdings kehrt sich das Spektakel um, dann wird die mit Schattenfugen von den Nachbarn abgesetzte, aber sauber in den Blockrand eingefügte Schwimmhalle zum Leuchtkasten. Man mag etwas Sakrales darin vermuten, allein, weil die Tradition die Kunst der Glasmalerei dort verortet hat. Doch der Künstler Wilhelm Jungherz, der das Fenster 1970 entworfen hat, wagte die Übertragung ins Profane. Er griff zu seinerzeit neuartigen Materialien und ersetzte Glas mit 3,5 Zentimeter starken Kunstharz-Sandwichplatten. Und sprengte mit der 240 Quadratmeter großen Fensterfläche jeden Maßstab.
Aus der Nähe betrachtet, erkennt man ihre handwerkliche Herstellung, nicht überall ist die in der Mitte eingeschlossene Farbschicht gleichmäßig intensiv, manche der Flächen erscheinen – sehr passend! – wie mit Wasserfarbe gemalt. Angefertigt wurden die Platten von der Kölner Glasmalerei Botz + Miesen, die in der Region unzählige traditionelle Kirchenfenster hergestellt und restauriert hat. Die Umsetzung des Jungherz-Entwurfs mit dem neuen Material war eine große technische Herausforderung, denn die Fassade musste neben der Statik auch bauphysikalisch den damaligen Anforderungen einer Schwimmhalle entsprechen.
Zeitgleich hatte Gottfried Böhm in Köln-Lindenthal die Kirche Christi Auferstehung gebaut und war den Schritt vom Glas zum Kunstharz mit Wilhelm Jungherz gegangen, der zu der Zeit künstlerischer Mitarbeiter im Büro Böhm war.
Während die von Gottfried Böhm mit leuchtend roter Zeichnung und ornamentalen Einschlüssen von Nägeln und anderen Kleinteilen hergestellten Kirchenfenster heute noch in einem erfreulichen Zustand sind, ist die »Geysirlandschaft« im Bonner Schwimmbad allerdings weniger gut gealtert. Witterung, starke Sonneneinstrahlung und Schmutz haben auf der Außenseite Mikrorisse erzeugt, in die sich Feinstaub eingelagert hat, die Scheiben wirken trübe, die Farben matt. Man kann von Glück sagen, dass die Fassade schon 2013, als es erste, nach einem Bürgerbegehren inzwischen verworfene Pläne für die Überplanung des Viktoriakarrees gab, unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Doch zur Restaurierung dieses mit seinen 50 Jahren noch recht junge Denkmals und seiner modernen Werkstoffe gibt es kaum Erfahrungen und keine erprobten Lösungen. Nun wird es mit einer vom LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland (LVR-ADR) in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg und der Stadt Bonn gestarteten Machbarkeitsstudie, in der mögliche Konservierungsmethoden erprobt werden, selbst zum Pilotprojekt.
Heute hat die Fensterfront drei Fehlstellen, die Scheiben sind im Labor. Sollte es dort gelingen, das Kunstwerk wieder strahlen zu lassen und zugleich resistenter gegen Umwelteinflüsse zu machen, ist der nächste Schritt entscheidend: Wenn der Bestand schon unbedingt abgerissen werden muss, dann kann es bei dem Nachfolgebau nicht darum gehen, hinter der Fassade stumpf das Raumprogramm durchzuballern. Damit das Fenster wirken kann, braucht es den Raum, den Abstand, neues Denken. Wie wunderbar das wirkt, haben die mit großem Aufwand realisierten Zwischennutzungen wie zuletzt etwa des Bonner Beethovenfestes gezeigt.