Beethoven hat nur ein Oratorium geschrieben. Neben dem »Fidelio« ist »Christus am Ölberge« damit auch sein einziges Werk, das sich für die Opernbühne eignen könnte. Wobei sein Stück mit nur knapp einer Stunde Spieldauer nicht ganz abendfüllend ist. So kam am Theater Bonn die Idee auf, das Oratorium durch einen Prolog zu ergänzen. Als Text schlug Dramaturg Andreas Meyer »Ein Brief« von Hugo von Hoffmannsthal vor. In dem Prosastück von 1902 schreibt der fiktive Dichter Philipp Lord Chandros an den Philosophen Francis Bacon über seine eigene Schaffenskrise. Für die Vertonung wurde der renommierte Opernkomponist Manfred Trojahn gefunden.
Regisseurin aus dem Tanztheater
Durch die Kombination mit diesem sprachphilosophischen Vorspiel, wird der ohnehin bei Beethoven und seinem Librettisten Franz Xaver Huber sehr menschlich gezeichnete Christus selbst zu einer Künstlerpersönlichkeit. Christus, Chandros und Beethoven verschmelzen hier, zumal vor dem Schlusschor noch ein Text aus dem »Heiligenstädter Testament« verlesen wird. Sowohl Trojahns »Reflexive Szene« als auch das Oratorium bieten aber nur wenig dramatisches Material. Da mag es klug erscheinen, mit Reinhild Hoffmann eine Regisseurin aus dem Tanztheater verpflichtet zu haben. Sie ist auch ihre eigene Bühnenbildnerin und verengt die Szene mit einer grauen Rückwand. Zu Beginn wehen durch einen Schlitz Plastikblätter herein. Einziges weiteres Bühnenelement ist ein liegendes Buch in Doppelbettgröße, auf dem der Bariton Holger Falk sitzt und den Chandros singt. Er sinniert, dann steht er auf, dann nestelt er an dem roten Lesebändchen des Buches herum. Zwischendurch weht der Ventilator Blätter herein. Aufregendster Augenblick ist da ein Video (Frederik Werth), das Collagen barocker Bilder zeigt – »sehnte ich mich hinein in diese nackten glänzenden Leiber« heißt es dazu im Text. Zu Chandros Gedanken beim Schreiben scheint der Regie aber nichts eingefallen zu sein.
Auch Manfred Trojahns Komposition hält sich zurück. Holger Falk singt sich mit etwas enger Stimme tapfer durch eine von weiten Sprüngen geprägte Expressivität, die hart am Klischee der Neuen Musik entlang schrammt. »Vielleicht geht’s besser, vielleicht nicht, ich bin gefasst«, wird Beethoven auf dem Programmheft zitiert. Wie wahr. Immerhin sind in der zweiten Hälfte die Tänzer*innen des Folkwang Tanzstudios (FTS), das Hoffmann in den 70ern leitete, beteiligt. Das Bühnenbild bleibt aber unverändert, einzig das Buch ist gedreht und zeigt jetzt einen Goldschnitt.
Ein wunderbarer Christus
Der junge Tenor Kai Kluge singt einen wunderbaren Christus, Ilse Eerens einen lyrischen, in den Coloraturen sicheren Seraph. Dass sie im blauen Samtkleid aus dem Buch heraus auftreten und auch dahin zurück muss, sieht allerdings unfreiwillig komisch aus. Und die Choreographie? Mit einem Bewegungsvokabular, das aus der Mottenkiste des modernen Ausdruckstanzes stammt, werden die FTS-Tänzer*innen zum szenischen Accessoire degradiert und spätestens, wenn der Chor mit auf der Bühne ist, ist ohnehin zu wenig Platz, um sich noch groß zu bewegen. Sei’s drum. Musikalisch ist in der zweiten Hälfte des Abends alles gut, so dass der Jubilar nicht beschädigt wird. Aber offenbar war es keine gute Idee, »Christus am Ölberge« auf die Opernbühne zu hieven.
12. und 28. März, 5. und 11. April 2020, Theater Bonn,