Vinyl und Ruhrpott – das passt irgendwie. Vinyl gilt als Oldschool-Tonträger, auf den Musik-Liebende nichts kommen lassen, weil er Haptik mit Knistern, Knacken, Rauschen, mit Nostalgie und wundervoller Nichtperfektion verbindet. Alles Dinge, die man letztlich auch dem Ruhrgebiet als Industrieregion zuschreiben kann. Hier wurde einst die erste große Metal-Szene des Landes losgetreten und machte eine Band wie Kreator aus Essen zu Weltstars, deren Scheiben bis heute zigfach nachgepresst werden. Hier jagt seit jeher der schnelle und räudige Punk durch Hallen und Clubs. Ein Streifzug durch die Szene – zu außergewöhnlichen Labels, Clubs und Läden.
Wo sich die Musikszene trifft
Christian und Carmen Fischer betreiben mit »Sunny Bastards« ein Vinyl-Label und einen eigenen Club.
Als Christian Fischer Ende der 90er Jahre seiner Frau Carmen alte Musikdokus auf DVD und VHS zeigen wollte, stellte er fest, dass die Qualität recht bescheiden war. Kurzerhand gründeten beide »Sunny Bastards«, um alte Streifen wieder neu aufzulegen und selbst Konzerte abzufilmen. 2022 feiert das einstige Video- und Filmlabel »Sunny Bastards« nun 20. Geburtstag. Bis heute haben die Fischers über 280 Tonträger veröffentlicht, davon 148 Vinylplatten. Zudem gehört ihnen mit dem »Don’t panic« in Essen ein eigener Club, in dem die selbst verlegten Bands auftreten können. Neuerdings widmen sich die beiden sogar dem sogenannten Vinyl-Broking. »Wir haben jahrelange Erfahrung mit Presswerken, arbeiten mit zwei von ihnen als Partner zusammen und lassen bei ihnen auch Alben von Bands pressen, die nicht zu unserem Label gehören.« Sogar Major-Labels – also die, bei denen die Stars der (Mainstream-)Branche unter Vertrag stehen – fragen bereits wegen Kooperationen an. »Aber uns ist wichtig, dass keine Band als Produkt behandelt wird«, sagt Christian Fischer. Es gehe nicht darum, »was gerade angesagt ist«, sondern dass die jeweilige Band authentisch sei und ihre Vorstellungen verwirklichen könne, wenn es an die Gestaltung der eigenen Platte gehe. Die Ausstattung soll hochwertig sein. Doch leider sind spezielle Platten-Artworks – farbiges Vinyl, Klappcover, große Booklets im Innern, Besonderheiten wie Poster, sogar Kartenspiele und vieles mehr – oftmals nicht wirklich zu bezahlen. »Gerade bei kleinen, limitierten Auflagen – wir pressen meist nur 500 bis 1000 Platten, darunter nochmal wenige Unikate – ist das unbezahlbar.« Für so etwas gebe es dann eben eine spezielle Sunny-Bastards-Lösung: »Wir machen das im Do-it-yourself-Stil: Die Band kommt abends auf ein Bierchen vorbei – und wir basteln dann selbst.« Aber warum eigentlich Vinyl? Die Musik sei darauf wertiger – »weil man sie besonders wahrnimmt und zelebriert. So wird sie nicht zum Fahrstuhlmedium.«
Club »Don’t panic«: Punk- und Rock-Konzerte, Bar; Essen | Viehofer Platz 2
dontpanicessen.de; sunnybastards.de
Vinyl zum Lesen
In Dortmund wird das Vinyl-Magazin »Mint« herausgebracht.
Manchmal kann man auch in einer Nische ein komfortables Plätzchen finden – so wie das Dortmunder »Mint«-Magazin. Wobei: Ist die Beschäftigung mit Vinyl überhaupt noch eine Nische? Irgendwie ja, weil es nach wie vor um eine Sache geht, mit der sich vor allem Liebhaber und Sammler auseinandersetzen. Irgendwie aber auch nicht, weil nicht nur das Vinyl ein Revival erfahren hat. Sondern weil auch das »Mint« – erstmals erschienen Ende 2015 – längst einen festen Platz im Zeitschriftendschungel und seine feste, nicht unbedingt kleine Leserschaft hat. Hervorgegangen ist es aus dem Magazin »Visions«, in dem es um die seit jeher stark Vinyl-affinen Genres Punk, Indie, Alternative mit all ihren Sub-Spielarten geht. Der Begriff »Mint« steht für noch ungespieltes Vinyl. Im Magazin werden inzwischen sämtliche Sparten der Musik behandelt. Weil Vinyl eben auch wieder fast überall zum Einsatz kommt. Neben stilsicheren Kauf-Tipps und Qualitätseinschätzungen in Sachen Neupressungen besticht das Magazin vor allem mit Reportagen und Hintergrundtexten. Wer »Mint« liest, erfährt von Schallplattenbörsen. Von Sammelnden, die ihre Buden bis unters Dach mit LPs vollgepfropft haben. Von Labels. Von ganz besonders wertvollen Platten.
Eine Lounge für Plattenfans
In Essen vertreibt Stephan Wiehe Klassik und Jazz.
Klassik und Jazz. Und das auch noch auf Vinyl. Mehr Spezialisierung geht fast nicht mehr. »Man braucht schon Stehvermögen, wenn man sich in dieser Nische befindet«, sagt Stephan Wiehe, der in Essen seine »Vinyl-Lounge« eröffnet hat. Der passionierte Vinyl- und Klassikfan würde es dennoch jederzeit wieder genauso machen. Denn: Einen Plattenladen, der seine Wünsche und Interessen abdeckte, den habe er zuvor vermisst. Die Regale der »Vinyl-Lounge« sind entsprechend voll mit Jazz- und Klassikscheiben. Gut 20.000 Exemplare hat er im laufenden Bestand – aus allen Epochen. Keine Neupressungen wohlgemerkt, sondern gut erhaltene gebrauchte Exemplare. Für Experten: Zustand von »very good+« bis »near mint«. Und möglich ist drumherum alles bei Wiehe: stöbern, in Platten reinhören, lesen, einen Kaffee trinken und mit Gleichgesinnten im Vinyl-Kosmos fachsimpeln. Gefragt ist bei seiner Kundschaft vor allem das, was zur Zeit des Pressens nicht unbedingt für den Massenmarkt produziert wurde – und somit für Sammelnde interessant ist. Manchmal kommen gar DJs bei ihm vorbei, um Samples – kleine Ausschnitte aus Stücken – für ihre Shows zu suchen. Ganz zu schweigen von Gästen aus Übersee. Das Internet ist eben so weit und groß, dass man auch Tausende von Kilometern entfernt einen einzigartigen Laden wie diesen entdecken kann.
Essen | Kahrstr. 54
»Die Schallplatte«
In einem Laden in Duisburg gibt es LPs seit dem »Wunder von Bern«.
Dieser Laden hat alles überlebt: die CD, die Kassette, die MP3-Dateien. Denn in der Duisburger »Schallplatte«, dem 1954 eröffneten und somit wahrscheinlich ältesten Plattenaden Deutschlands, zählt das Vinyl. Das Sortiment reicht von Rock und Pop über Jazz bis hin zu Klassik und Special Interest. Wer es ganz außergewöhnlich mag, der kann sogar in audiophile High-End-LPs reinhören.
»Die Schallplatte«, Duisburg | Pulverweg 33