»Die Welt und die Körper der anderen sind hinter eine Scheibe gerückt«. Diesen Satz aus der Ankündigung der Ausstellung »Screen Time« im Kunsthaus NRW in Kornelimünster kann sicher jeder Mensch unterschreiben, der am Smartphone kommuniziert, am Laptop arbeitet, oder schon mal mit Smartphone und Laptop in der Hand ferngesehen hat – also fast alle. Der Schau im tollen Kunsthaus nahe der belgischen Grenze beschert das große Erwartungen, Antworten auf die Fragen: Was macht sie aus, die neue, digitale Wirklichkeit? Und wohin wird sie uns bringen? Große Erwartungen, die fast nur enttäuscht werden können.
Marcel Schumacher, der das Museum in der ehemaligen Reichsabtei seit 2015 leitet und neu aufgestellt hat, hat 18 Positionen von vor allem in Köln und Düsseldorf arbeitenden Künstler*innen zusammengestellt, die – laut Ankündigung – »die Grenzen digitaler Techniken ausloten und die Frage nach der Wirklichkeit der virtuellen Welten«. Und sie sollen die immer engere Kooperation von Mensch und Maschine reflektieren. Das Problem dabei ist, dass sie die Grenzen der aktuellen Technik mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln hinterfragen – und selbst gut geförderte, freie Künstler*innen haben in der Regel nicht die Möglichkeiten eines Elon Musk oder James Cameron.
So bleiben an einem gewöhnlichen Öffnungstag im Ausstellungs-Parcours, der durch das Untergeschoss des Haupthauses und die Bibliothek verläuft, einige Bildschirme schwarz – die Fenster, durch die man blicken und Aufschluss über die neue Wirklichkeit erlangen möchte, also blind oder stumm. Dann gibt es Arbeiten wie von Julia Weißenberg: Im Video »To make you feel comfortable« erzählt sie von der Bewohnerin einer Smart City, also dem weitergedachten Smart Home, in dem alle Dinge – und auch der Mensch – in ein System digitaler Planung integriert sind, das Komfort und Sicherheit garantiert.
Die Zukunftsvision des Lebens im Smart Home wird seit Jahren oder mittlerweile sogar Jahrzehnten auf allen Technik-Messen gewälzt – Kino und Streaming-Anbieter haben mit intelligenten und optisch überwältigenden Filmen wie »Her« längst darauf reagiert. Da kann eine künstlerische Arbeit zumindest technisch fast nur hinterher hinken – auch wenn sie die Vision in eine interessante, auch absurd-komische Dystopie wendet.
Camilo Sandoval und Vered Koren aus Kolumbien und Israel, die in Köln leben und arbeiten, versuchen optisch erst gar nicht mit aktuellen grafischen Möglichkeiten mitzugehen. Sie haben ein Computerspiel entwickelt, das in einer an die 1980er Jahre erinnernden Arkade-Maschine steckt und auch von der Programmierung her an das Jahrzehnt erinnert. Die Spieler*innen versuchen Figuren wie den »Anden-Bauern« oder »Bananenpflücker« beim Schießen zu unterstützen. Es gibt eine tiefere, Konflikte der kolumbianischen Gesellschaft thematisierende Botschaft dahinter, die niemand verstehen wird, der nicht einen Text zur Arbeit liest. Interessant ist aber, dass man das Spiel zu zweit an der Konsole spielen muss und also noch vor der Scheibe Kontakt zu einem richtigen Menschen aufnehmen – gute, alte Zeit.
Die Informationen zu den einzelnen Werken, auch das ist ein interessanter Widerspruch des Ausstellungskonzepts, bekommen die Besucher*innen nicht etwa über QR-Codes auf ihre Smartphone-Bildschirme oder die Internetseite des Kunsthauses. Sie liegen als gedruckter Text auf Zetteln in den jeweiligen Räumen aus und am Ende hält man ein flatterndes Konvolut in den Händen. Ein sehr haptisches Erlebnis.
Tatsächlich zeichnen sich die besten Arbeiten dadurch aus, dass interessant ist, was vor den Bildschirmen passiert. Das Duo Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten etwa, Absolvent*innen der Kunstakademie Münster, die in Dortmund arbeiten und im dortigen Hartware MedienKunstVerein im März ihre erste Einzelausstellung bekommen, zeigen mit ihrer Installation »in the flood«, was hinter dem Bildschirm passiert, wenn man etwas im Internet bestellt.
Die Besucher*innen betreten einen geschlossenen Raum mit unangenehm grellem Arbeitslicht, Lagerregalen und Paketrollbändern. In solch einer Umgebung sind Menschen gezwungen ihre Tage zu verbringen, die als letztes, lebendes Rädchen in einem digital-maschinellen System, das über Corona so stark gewachsene Segment der Liefer-Logistik am Laufen halten. Es ist eine nachdenklich stimmende, immersive Erfahrung, den Raum zu betreten. Dem roboterhaften Singsang der Avatare auf den drei Monitoren (ein proletarisches Musical soll das ergeben) und den dazu gehörigen (unfreiwillig?) einfachen Grafiken zu folgen, motiviert hingegen eher dazu, wieder hinaus auf den Flur zu treten.

Da geht es weiter mit den disparaten Erlebnissen: Tim Gorinski aus Bergisch Gladbach bringt in »Computer 1/2« zwei Desktop-Computer mit externen Lautsprechern und Mikrofonen auf Ständern dazu, sich zu unterhalten. Er hat allerdings Fehler bei der Sprachsteuerung oder -Erkennung einprogrammiert. So wirken die Technik und das Ergebnis ihres Wirkungsgrads so historisch wie das Stille-Post-Spiel der Menschen.
Auch die in Düsseldorf lebende Kölnerin Alex Grein spielt für »Neptun Technologies« mit der Technik-Historie. In unregelmäßigen Abständen schickt sie über das World Wide Web aktuelle Fotos ihres jeweiligen Aufenthaltsorts an einen Drucker im Kunsthaus. Der druckt das Foto ganz altmodisch (die wenigsten Smartphone-Bilder werden heute noch materialisiert) aus und es fällt in die Flüssigkeit einer Fotolaborschale, wo es sich langsam auflöst. Hier überzeugen sowohl das Konzept als auch das performative und quasi skulpturale Ergebnis der Druckbilder, die zum abstrakten Farbensee werden. Mensch-Maschinen-Kunst von ihrer besten Seite.
Screen Time – digitale Wirklichkeiten
bis 26. März
Kunsthaus NRW, Aachen-Kornelimünster