Vorsicht. Denn der Begriff »Vielspieler« könnte leicht in den falschen Hals rutschen, vor allem, wenn damit ein Musiker gemeint ist. Man darf sorgenfrei den Pianisten Igor Levit als einen solchen »Vielspieler« bezeichnen und sollte doch in einem Atemzug noch eine Erklärung hinzufügen: Es gibt derzeit kaum einen Pianisten, ja überhaupt kaum einen der international führenden Musiker, der in so kurzer Zeit so rasant viele neue Werke lernen kann wie Levit – und, darin besteht die eigentliche Kunst, diese nie unter einem bestimmten Niveau präsentiert. Seinem Niveau. Dem Levit-Spiegel, wenn man so will.
Vergessen wir einmal den omnipräsenten Medienhype um ihn – den Talkshow-Gast, den grünen Wahlkämpfer, den Twitterer, den Podcastler: Levit hat es frühzeitig geschafft, das Wunderstudent-Image abzustülpen mit der Lässigkeit, wie man sich im warmen Wohnzimmer eines molligen Wintermantels entledigt. Er hat es einfach getan, ist sich treu geblieben und seinen Weg konsequent weitergegangen, als Solist, als Kammermusiker, sogar, wenn auch seltener, als Liedbegleiter.
Mit stereotypen Begriffen wie Shooting-Star hat Levit, der sich selbst, »je nach Tagesform, als eine Art Kaleidoskop betrachten« würde, nie viel anfangen können, er sieht sich als Künstler und Mensch, als kritischen Zeitgeist, der meinungsfreudig ist und gegen bestimmte politische Strömungen genauso vehement argumentieren kann wie gegen die Notwendigkeit, als Pianist auch die Musik von Chopin spielen zu müssen. Muss er nicht. Tut er nicht.
In Russland, genauer: in Nischni Nowgorod (ehemals Gorki) hatte alles begonnen. Seine Mutter, eine Enkel-Schülerin des großen Heinrich Neuhaus, hatte Levit die ersten Tastenübungen beigebracht, 1995 verließ die Familie ihre Heimat in Richtung Deutschland. Die weiteren Stationen sind schnell benannt: Studium in Hannover, Abschluss, Weltkarriere.
Schostakowitsch zur Selbsterkundung
In der Düsseldorfer Tonhalle hat Igor Levit in der Saison 2015/16 erstmals sämtliche 32 Klaviersonaten Beethovens live aufgeführt, mehrere Städte folgten. Nun kehrt er als »Artist in Residence« an den Rhein zurück: für sieben Konzerte in acht Monaten, wobei das erste bereits in der Vergangenheit liegt und gestreamt wurde, weil noch niemand wieder in die Konzertsäle durfte. Bei seinen nächsten Auftritten spielt er Konzerte von Beethoven und William Bolcom, er ist Teil eines Klavier-Duos, und er tritt als Solist auf: mit den Präludien und Fugen von Dmitri Schostakowitsch, einem der großen Klavierzyklen des 20. Jahrhunderts, um den die meisten großen Pianisten einen weiten Bogen schlagen. Levit nicht, er nimmt sich gern die dicken Brocken vor, die sperrigen, die unterschätzten. Für Levit stellt der zweieinhalb Stunden lange Schostakowitsch-Zyklus eine »Verbindung von Wärme, Unmittelbarkeit und purer Einsamkeit« dar: »Für mich ist das ein Ritual der Selbsterkundung und -entdeckung, das intimste Fragen verhandelt«.
Gehört diese so sensible Musik überhaupt in den Konzertsaal? Freilich! »Am Ende des Tages sind es immer meine persönlichen Geschichten, und die verändern sich, Tag für Tag«, hat Levit einmal gestanden. Schließlicht entsteht jede »Geschichte eines Werks auch mit dem jeweiligen Publikum, in dem jeweiligen Saal.« Soll heißen: Vorne auf der Bühne sitzt ein Mensch mit eigener Biographie, eigenen Emotionen, eigener Geschichte. Im Publikum sitzen Hunderte Menschen, ebenfalls mit eigener Biographie, eigenen Emotionen, eigener Geschichte – kein Wunder also, dass für Levit »jeder Mensch seine eigene Musik hört und sie für sich ganz persönlich interpretiert.«
Nächste Konzerttermine am 26. bis 29. November in der Tonhalle Düsseldorf. Mehr Infos unter www.tonhalle.de