Adolf Winkelmanns "Fliegende Bilder". Foto: Ressort KiöR/Jürgen Spiler
Streifzug durch die Stadtgeschichte: Im K-West Verlag erscheint ein Buch über Dortmunder Kunst im öffentlichen Raum.
Gelassen, ja, geradezu entrückt steht sie da und blickt mit einer unendlichen Ruhe auf den großen Lärm um sie herum. Denn der Standort von Gerhard Marcks »Fortuna« ist laut, sehr laut sogar. Im Sekundentakt rasen Autos auf dem Hiltropwall an ihr vorbei. Doch wer in einer Ampelpause den Blick schweifen lässt, kann die goldene Skulptur von 1954 unverhofft an der Fassade eines ehemaligen Bundesbankgebäudes entdecken. So ist es mit Kunst im öffentlichen Raum ja eigentlich oft: Wir kommen täglich an ihr vorbei, ohne meist allzu viel über die Werke am Wegesrand zu wissen. Insofern ist ein neuer Sammelband über Dortmunder Kunstwerke nun eine schöne Einladung, genauer hinzuschauen. Denn jedes hat natürlich seine eigene Geschichte.
Fortuna von Gerhard Marcks. Foto: Ressort KiöR/Jürgen Spiler
Mehr als tausend (!) Skulpturen, Plastiken, Wandreliefs, Gedenktafeln, Brunnen, Bodenarbeiten, dreidimensionale Kunstobjekte am Bau und architektonisch gestaltete Denkmäler wie Obelisken und Gedenksäulen gibt es allein im Dortmunder Stadtgebiet. »Legt man eine engere Definition des Begriffs ‚Kunstwerk‘ zugrunde, so könnte man immer noch auf etwa 250 kommen«, schreibt Jacques Heinrich Toussaint (hier geht’s zu einem Interview mit ihm), der den Band initiiert und 35 Arbeiten, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, ausgewählt hat. Dass der Kunsthistoriker eine Stabsstelle für Kunst im öffentlichen Raum leitet, die beim Museum für Kunst und Kulturgeschichte angesiedelt ist, ist eine Dortmunder Besonderheit. Denn längst nicht in allen Städten sind die Zuständigkeiten für die Bestände, die oft im kommunalen, seltener im privaten Besitz sind, so eindeutig geregelt. Toussaints Ressort existiert seit 2012 und dokumentiert die Werke nicht nur, sondern begleitet Ausschreibungen wie zuletzt zu einem Gastarbeiter*innen-Denkmal oder organisiert Touren durch die Stadt.
Durch Stadtteile, Stile und Zeiten
Denn auch das zeigt dieser Band sehr schön: Ausgehend vom meist üblichen Personenkult des 19. Jahrhunderts, wurden die Werke im Laufe der Zeit immer autonomer und ungegenständlicher. Kunst im öffentlichen Raum spiegelt nicht nur ein Stück weit die Erinnerungskultur eines Ortes wider, sie ist auch Teil der Stadtentwicklung, Seismograf für gesellschaftliche Veränderungen, manchmal auch für Politik. Das Buch wandert mit Fotos und erklärenden Texten von der City aus durch Stadtteile, Stile und Zeiten. Es macht Halt an Stationen des Emscherkunstwegs wie der »Vogelfrau« in Richtung Phoenix-See von Lucy und Jorge Orta (2016) oder an der begehbaren Skulptur »Zur kleinen Welle« von Raumlabor. Und es blickt auf die wunderbare »Röhrenlandschaft« von Friedrich Gräsel und auf Norbert Krickes »Wasserherz«, die beide 1969 zur Bundesgartenschau für den Westfalenpark entstanden sind.
Natürlich schaut es auch auf Werke, die es so nur in Dortmund gibt: Zur Kulturhauptstadt entwickelte der Künstler Adolf Winkelmann eine Film-Installation für das heutige Kunst- und Kulturzentrum des U. Liebevolle, schön-schräge, leicht surreale Mini-Erzählungen, die seitdem über den Köpfen der Menschen flimmern. Errichtet wurde die Union Brauerei schon 1926. Zu erzählen hätte sie allein aus der Stadtgeschichte so einiges – seit 2010 tut ihr Turm das nun tatsächlich.
Kunst im öffentlichen Raum. 35 Kunstwerke in Dortmund. Hrsg. von Jacques Heinrich Toussaint, K-West Verlag, 120 Seiten, 14,95 Euro
Die »Sex Now«-Ausstellung im Düsseldorfer NRW-Forum ist bunt, explizit und sexy – und keine bloße Effekthascherei. Bis 3. Mai regieren hier Dildos, Analplugs und stolze Vulven. Eintritt ist ab 18 Jahren.
Die »Sex Now«-Ausstellung ist alles andere als subtil. Sie ist laut, frech und provokativ – aber nicht nur. Denn wo Sex zum Thema wird, darf auch seine politische Dimension nicht fehlen. Und so wird der Besuch im Düsseldorfer NRW-Forum zu einem informativen und intensiven Erlebnis in zehn thematischen Räumen mit rund 400 Objekten, darunter Illustrationen, Zeichnungen, Fotografien, Videos und Installationen.
Am Anfang steht die Vergangenheit: Unter dem Kapitelnamen #Sexpositivität nimmt die Ausstellung zunächst tradierte Rollenbilder und weibliche sowie queere Emanzipationen in den Blick und präsentiert dafür einen Querschnitt von Magazin-Covern: »So kriegt man einen Mann« lockt da etwa die Brigitte von 1959 mit den ultimativen Tipps und Tricks für die Single-Frau. Der Spiegel zeigte 1983 auf seinem ersten Titel zum Thema AIDS zwei mutmaßlich queere Männer – direkt daneben präsentiert die Ausstellung ein Plakat der Deutschen AIDS-Hilfe: »Mein Freund ist positiv – ich liebe ihn« steht darauf. Die Titelseiten rekonstruieren wandelnde Haltungen zu sexuellen Identitäten – von der Emma, über den Stern bis hin zu Parteiplakaten der Grünen und Die Partei (»Fickt euch doch alle«). Doch fällt die Konzentration auf die mediengeschichtliche Einordnung schwer, wenn vom eigentlichen Star des Raums plötzlich eine Fontäne losbricht: Denn dem gegenüber plätschert das Herzstück der Ausstellung vor sich hin: Die »Fleshie Fountain« (übersetzt: der fleischige Brunnen) der kanadischen Musikerin und Performerin Peaches. Überdimensionale wurstförmige Silikon-Sex-Toys spritzen aus ihren Vulven in regelmäßiger Taktung Wasserstrahlen. Auf der anderen Seite der pinken Silikonwürste strecken lustvolle Münder mit Zähnchen die Zungen heraus.
#Untenrum
Wer jetzt schon in Wallung geraten ist, kann sich in der #Fluffylibrary eine kleine Auszeit gönnen. Hier lädt eine Kuschellandschaft aus einer flauschig-fluffigen Figur, der geschlechtfluiden Fluffy, gespickt mit transfeministischer Literatur, zur angeregten Lektüre ein. Eine der interaktiven Stationen der Ausstellung, die der überraschend schon im November ausscheidende langjährige Künstlerische Leiter Alain Bieber mit Judith Winterhager kuratiert hat.
Von solchen Stationen gibt es einige – so etwa einen ASMR-Raum, in dem es flüstert, flutscht, klickt und raschelt. Oder eine kleine Schaumstoff-Oase hinter weißen Vorhängen, in die man sich hinlegen und über Kopfhörer erotischen Hörspielen von »Femtasy« lauschen kann. Das Thema #Untenrum wirft den Blick etwas genauer auf die primären Geschlechtsorgane und -identitäten. In der Vulva Galerie von Sam Hil Atalanta sehen wir Zeichnungen verschiedener Vulven, versehen mit Aussagen ihrer Besitzerinnen, die von Scham, verunsicherten Selbstbildern, aber auch Empowerment zeugen: »My vulva is beautiful no matter the amount of hair it has«, heißt es da etwa. Gegenüber der Vulvagalerie: eine Wand voller selbstbewusster Penisse. In der Gegenüberstellung der Geschlechtsorgane scheint bereits ein Machtgefälle mitzuschwingen. Und so wird auch der #MeToo-Bewegung ein eigener Raum gewidmet. Hier zu sehen ist unter anderem eine Videoaufnahme der Performancekünstlerin Deborah de Robertis, in der sie in einer Guerilla-Aktion Gemälde im Centre Pompidou Metz mit dem Schriftzug »Me Too« besprüht.
Besonders spicy wird es in den Themenräumen #SexualWellness und #Eroticissima, die sich Lust, Selbstfürsorge und der Zukunft von (digitalem) Sex widmen. Schonmal was vom Sumpfmonster-Silikon-Schuppen-Dildo gehört? Die Welt der Sextoys bringt uns weit über Beate Uhse hinaus – bis hin zu Dildos, die dem Auberginen-Emoji von WhatsApp nachempfunden sind und zu einer Folge »Sex and the City«, in der die sexpositive Samantha ein Massagegerät zur Masturbation nutzt. Und während man so an den Vibratoren-Vitrinen entlangflaniert, wummert der Beat: Derber Techno führt uns atmosphärisch in eine Kink-Szenerie ein, in der man den ein oder anderen Umschnallpenis anprobieren oder aber einen Fuchsschwanz-Analplug befühlen kann. »Schweiß hat uns einen Ort gegeben, so ne Art ultra-geilen Raum« raunt es aus dem Video »Schwitzen« von Matt Lambert. Und irgendwie passt alles zusammen in diesem »ultra-geilen« Raum, einem Kosmos, in dem sich manche schon voll Zuhause fühlen und andere eine ganz neue Welten entdecken.
Das Museum Haus Opherdicke präsentiert einen thematischen Parcours, der Werke der 1920er und 1930er Jahre zeitgenössischer Dokumentarfotografie gegenüberstellt.
»O Ihr Menschen. Ihr Menschen lernet doch von Wiesen Blümelein. Wie ihr könnt Gott gefallen und gleichwohl schöne sein«: Die titelgebenden Zeilen aus einem Gedichtfragment von Alfred Bauer Saar markieren den poetischen Ausgangspunkt einer Ausstellung in Haus Opherdicke. Was aber folgt, ist kein nostalgischer Blick zurück, sondern eine Befragung des Menschenbildes in der Klassischen Moderne und in der Gegenwart. Hierfür hat die Kuratorin Sally Müller Werke des frühen 20. Jahrhunderts (vor allem Zeichnungen, Druckgrafiken und Fotos) aktuellen Positionen gegenübergestellt – Fotos des Dortmunder index.kollektiv.
Typisch für die Kunst der Neuen Sachlichkeit war eine präzise, ja kühle und nüchterne Bildsprache. Ihr begegnet man in der Ausstellung beispielsweise im 1913 entstandenen »Frauenkopf« von Reinhold Rudolf Junghans, in József Batós »Badesee mit Figurengruppe« (1921), Alice Sommers Gruppenporträt »Drei Kinder« (1923), Oskar Kurt Döbrichs Zeichnung »Überm See« (1931) oder Ernst Bahns »Kakteen«-Stillleben. Allesamt Exponate, die aus renommierten Sammlungen stammen, Leihgaben der Galerie Julian Sander oder des Deutschen Tanzarchivs Köln sind.
Reinhold Rudolf Junghans: »Frauenkopf«, 1913. Foto: Thomas Kersten
Auf die historische Vorlage reagieren die index.kollektiv-Fotograf*innen mit Arbeiten, deren dokumentarischer Blick das Spannungsfeld zwischen individueller Erfahrung und gesellschaftlicher Wirklichkeit aufgreift. Carmen Körner etwa setzt in ihrer jüngsten Serie »Suze Tonic« die akkurate Bestandsaufnahme der Neuen Sachlichkeit in die heutige Lebenswelt um: Beobachtung, Distanz, aber auch eine Form der Empathie werden hier sichtbar, ohne in Pathos zu verfallen. Catharina Cerny nimmt in einer Reportage zum Braunkohlestreit um Lützerath politisches Engagement auf, während Oxana Guryanova mit der Fotostudie einer Pflanze am Fenster erneut Sachlichkeit und Intimität verbindet.
Auch Cynthia Ruf sucht mit Porträts von Flüchtlingsfrauen und Alltagsstudien nach der Balance zwischen Offenlegung und Zurückhaltung. Der fotografische Ansatz des Kollektivs bleibt damit eng an den Traditionen der Neuen Sachlichkeit orientiert, öffnet aber gleichzeitig neue Räume in einer Zeit, die von Umbrüchen geprägt ist.
»O IHR MENSCHEN – NEUSACHLICHER BLICK IN FOTOGRAFIE, DRUCK
UND ZEICHNUNG«, MUSEUM HAUS OPHERDICKE, HOLZWICKEDE,
Golfen in Oer Erkenschwick. Foto: Daniel Sadrowski
Die »Grand Snail Tour« von Urbane Künste Ruhr zeigt künstlerische Aktionen im öffentlichen Raum. Ein Gespräch mit Kurator Julian Rauter.
Wenn die Menschen vielleicht nicht gleich zur Kunst finden, kommt die Kunst eben zu den Menschen: Das ist die Idee hinter der »Grand Snail Tour«, die mit künstlerischen Aktionen im öffentlichen Raum in drei Jahren 53 Städte des Ruhrgebiets ansteuern will. Ein Drittel ist inzwischen geschafft – was ist als nächstes geplant? Ein Gespräch mit Kurator Julian Rauter, der als nächstes ein Hochhaus in Bönen und die Kirmes in Unna ansteuern will.
kultur.west: Herr Rauter, im Oktober macht die Schneckentour in Bönen und Unna Halt – was erwartet die Besucher*innen dort? JULIAN RAUTER: In Bönen kommt das Büro für außerordentliche Schreibangelegenheiten (BFAS) von Tim Holland mit der Übersetzerin und Autorin Eva Wemme zu einem Wohnblock in der Bahnhofstraße. Hier können Texte auf Rumänisch und Deutsch bei beiden in Auftrag gegeben werden. Wie schon bei der ersten Version des BFAS in Haltern gilt: »Anything goes« – von Gedichten, Beschwerden und Briefen bis hin zu Raptexten. Zudem packen wir zum letzten Mal in dieser Saison unser mobiles Minigolfset von Sowatorini Landschaft aus. Für unseren Tourstopp in Unna möchten wir den Künstler Paul Spengemann einladen, im Rahmen der Kirmes eine künstlerische Arbeit mit Laserprojektoren zu zeigen.
kultur.west:Im November und Dezember geht es dann nach Fröndenberg und Holzwickede – was ist dort geplant? RAUTER: Paula Erstmann und Lisa Klosterkötter, die die Grand Snail Tour vor gut einem Jahr in Xanten mit ihrem »Snail-Kiosk« eröffnet haben, sammeln Geschichten und Rezepte der Wochenmarktbetreiber*innen in Fröndenberg. Diese lassen sie auf Packpapier drucken und händigen sie beim Snacken auf dem Markt aus. Den Jahresabschluss unserer Tour planen wir, in Holzwickede mit einer Performance von Inga Krügerzu feiern, bei der ihre Stimme durch verschiedene Lokalitäten der Stadt mäandert. Zudem wird eine neu entstandene Leuchtschrift für unseren Trailer von der Bühnenbildnerin Anna Viehbrockeingeweiht. Das Lichtobjekt mit dem Titel »Heute Demnächst Ende« kann nach 17 Stationen in 2025 auch als Versprechen und Vorfreude auf die Fortsetzung unserer Tour im nächsten Jahr verstanden werden.
kultur.west: In diesem Jahr hat die Schnecke ein Drittel ihrer Stationen absolviert und sich dafür im nördlichen Ruhrgebiet fortbewegt. Wie geht es 2026 weiter? RAUTER: Die Schnecke schläft nicht und begibt sich in den ersten Monaten des Jahres nach Schwerte und Hagen auf eine Reise in den Ennepe-Ruhr-Kreis. In Hagen will die Künstlerin Rebecca Racine Ramershoven erstmalig unseren Trailer in einen »Wutraum« verwandeln, während in Schwelm eine Arbeit mit dem Trio Wellenbad und Chorwerk Ruhr geplant ist. Neben den neuen künstlerischen Arbeiten freuen wir uns im Team – wo gemeinsam mit der künstlerischen Leitung Britta Peters die Ideen für Formate entstehen und entwickelt werden – im neuen Jahr aber auch auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Künstler*innen, die unsere Tour seit Beginn begleiten – zum Beispiel Tunay Önder, Ari-Benjamin Meyers, Mona Schulzek oder Havîn Al-Sîndy.
Julian Rauter. Foto: Caroline Seidel
Zur Person
Julian Rauter arbeitet als Kurator Outreach für das dreijährige Projekt »Grand Snail Tour« von Urbane Künste Ruhr, das sich experimentell Fragen des Zusammenlebens widmet: Wem gehört der öffentliche Raum, und wie können wir Orte der Zusammenkunft schaffen oder bestehende Räume aktivieren? Zwischen 2023 und 2024 hat er an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden künstlerische Community-Projekte für das Outreach-Programm »Aktive Orte« konzipiert und realisiert. Er lebt und arbeitet in Gelsenkirchen und Leipzig.
ALS NÄCHSTES MACHT DIE SNAIL-TOUR AM 9. OKTOBER IN BÖNEN UND
AM 31. OKTOBER IN UNNA HALT.
HINTERGRÜNDE ZUR »GRAND SNAIL TOUR« GIBT ES AUCH IN UNSEREM
Drei Jahre lang war das Käthe Kollwitz Museum in Köln geschlossen. Mit »Kollwitz neu sehen« eröffnet das mitten in der Innenstadt gelegene Haus zum 40. Jubiläum neu.
Soziale Ungleichheit. Politische Umbrüche. Geschlechterrollen und das Leben von Frauen in schwierigen Zeiten. Die Themen der Künstlerin Käthe Kollwitz (1867-1945) waren niemals von gestern – so drängend wie heute jedoch waren sie aber selten. Es wird also höchste Zeit für die Wiedereröffnung des ersten Museums, das sich einzig Käthe Kollwitz widmete – das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin eröffnete drei Jahre später.
Katharina Koselleck arbeitet schon seit 2008 für das Kölner Museum, das sie heute leitet. In dieser Zeit, vor allem in den vergangenen Jahren, habe sich das Interesse an der Kollwitz vervielfacht, ablesbar an den Leihanfragen aus aller Welt, sagt sie. Straßburg, Zürich, das Städel in Frankfurt, das MoMA in New York, zuletzt Kopenhagen widmeten der Künstlerin Einzelausstellungen. »Allein für die Leihgesuche könnten wir eine eigene Stelle brauchen.«
Der Grund liegt für Koselleck auf der Hand: »Viele Häuser schauen auf die Zeit vor 100 Jahren zurück, als die Stimmung in Richtung Nationalsozialismus kippte, und da gehört Käthe Kollwitz mit ihren pazifistischen Plakaten und Positionen unbedingt dazu.« Doch es gibt noch einen anderen Grund, der die große Kollwitz-Welle befördert hat: die überfällige Stärkung weiblicher Kunst in vielen Museen.
Der Kunstmarkt liebt sie
Dabei ist die Berliner Künstlerin alles andere als eine »Quoten-Frau« der Kunstwelt. Schon zu Lebzeiten schrieb sich Käthe Kollwitz ein in die Riege bedeutender internationaler Künstler*innen. Sie war die erste Villa-Romana-Preisträgerin und 1919 als erste Frau Professorin der Preußischen Akademie der Künste. Auch der Kunstmarkt liebt sie: »Die Arbeiten der Kollwitz waren im Wert immer stabil, die Tendenz ging eher nach oben – aber heute erzielen sie noch einmal deutlich höhere Preise«, sagt Katharina Koselleck.
Umso besser für die Kreissparkasse Köln als Trägerin des Museums. Sie hatte die Sammlung 1983 angekauft, spendiert ihr nun ein energetisch saniertes und rundum renoviertes Zuhause – und investierte zudem in circa 20 neue Ankäufe, darunter eines der wenigen Ölgemälde der Künstlerin, ein Selbstbildnis. Dazu kommen zusätzliche Dauerleihgaben. Und so kann Koselleck mit ihrem Kuratorinnen-Team nun zu neuen Perspektiven auf die Jahrhundert-Künstlerin einladen.
Der Rundgang auf den beiden Ebenen der vierten Etage im neu so benannten »Kollwitz Forum« am Neumarkt verläuft noch immer chronologisch. Dennoch erkunden die Besucher*innen auf den 1000 Quadratmetern neue Wege durch das Werk – es reicht von Aktdarstellungen und zeitlebens geheim gehaltenen expliziten Liebesszenen über Selbstbildnisse und politische Grafiken bis zu den Themen Trauer, Tod und Verlust.
Gegliedert wird der Rundgang nach wie vor durch ihre großen Zyklen, »Ein Weberaufstand« und »Bauernkrieg«. Ein Fokus der aktuellen Ausstellung liegt dabei auf der Technik: »Man kann Käthe Kollwitz quasi beim Arbeiten über die Schulter schauen. Man erkennt, was sie zart, was mit mehr Nachdruck gezeichnet hat«, sagt Katharina Koselleck. In mehreren Schritten vollziehen Besucher*innen nach, wie die Künstlerin ein Plakat entstehen ließ – vom Entwurf über das Umdruckpapier bis zum fertigen Plakat.
Neue Werkstatt
Im Erdgeschoss konnte das Museum die langersehnte Werkstatt einrichten – endlich stehen eigene Vermittlungsräume bereit. An einem Technik-Tisch werden die verschiedenen Drucktechniken des Bauernkrieg-Zyklus digital erklärt. Dazu kommen eine historische Lithopresse und ein virtuelles Atelier. Hier kann man in den Arbeitsraum der Künstlerin eintauchen, der sich direkt neben der Arztpraxis ihres Mannes befand.
An einer Kreativ-Station kann man aus Kollwitz-Motiven und mit KI-Einsatz selbst Plakate gestalten. Hier zeigt sich besonders, wie aktuell die Themen der gesellschaftlich engagierten Künstlerin nach wie vor sind – etwa der damalige Streit um den Abtreibungsparagrafen, die Forderung nach mehr Spielorten für Kinder in der Stadt oder die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie.
Auch die analoge Ausstellung vier Etagen höher wurde digital erweitert: Mit QR-Codes gelangen Interessierte zu Filmen, vergleichenden Abbildungen oder gesprochenem Text und können so tiefer eintauchen in das Schaffen. Was die Arbeiten von Käthe Kollwitz so besonders macht, erleben viele jedoch ganz unmittelbar, auch ohne Vermittlung. »Aus den Häusern, die Kollwitz zum ersten Mal ausstellen, hören wir oft, dass die Mitarbeiter*innen plötzlich ungewöhnlich viel Kontakt mit den Besucher*innen haben«, sagt Koselleck. »Käthe Kollwitz‘ Kunst macht etwas mit den Menschen. Viele haben ein starkes Mitteilungsbedürfnis, einige weinen vor ihren Arbeiten.«
Ganz entgegen heutigen Rezeptionsgewohnheiten führt Kollwitz die Brutalität des Krieges oder der Armut nicht direkt vor Augen. »Sie zeigt die Folgen, das Damit-Leben-Müssen«, sagt die Museumsleiterin. »Mit wenigen Mitteln erzielt sie große Emotionen. Sie übersetzt das Urmenschliche in allgemeingültige Bilder. Das nimmt die Betrachter bis heute mit.«
Schon die Zeitgenossen von Käthe Kollwitz haben das erkannt. Max Lehrs, Direktor des Dresdner Kupferstich-Kabinetts, begann schon Ende des 19. Jahrhunderts, ihre Arbeiten zu sammeln – musste sich für die Investition in »weibliche Kunst« aber noch rechtfertigen. So schrieb er 1901: »Die Wirkung dieser durch den herben Ernst ihres Stimmungsgehaltes wie durch die freie und energische Handhabung der Radirnadel gleich ausgezeichneten Blätter war eine um so verblüffendere, als man erfuhr, daß sie von der Hand einer Dame herrührten. Nicht allein der Stoff, sondern die männliche Kraft der Charakteristik, die Kühnheit des malerischen Vortrages widersprachen so sehr Allem, was man bisher in der bildenden Kunst von Frauenhand kannte, daß man geradezu vor einem Räthsel stand.«
»KOLLWITZ NEU SEHEN«, KÄTHE KOLLWITZ MUSEUM KÖLN,
11. OKTOBER BIS 15. MÄRZ 2026.
11./12. OKTOBER: KOLLWITZ-FEST ZUR WIEDERERÖFFNUNG, EINTRITT FREI.
Daniel Madruga: »Libertad« (aus der Serie »Dulce ignorancia«). Foto: Galerie Frank Schlag & Cie., Essen
Alle sind willkommen, doch wendet sich die Essener Messe contemporary art ruhr (C.A.R.) vom 24. bis 26. Oktober in besonderer Weise an ein junges Publikum.
Mehr als 450 Künstler*innen sind bei der contemporary art ruhr (C.A.R.) mit ihren Arbeiten vertreten und machen die Messe zu einer Drehscheibe der Gegenwartskunst. In den Hallen A 5, A 6, A 12 und C 70 des Unesco-Welterbes Zollverein zeigen Galerien, Initiativen und Institutionen ein breites Spektrum künstlerischer Ausdrucksformen – von Malerei und Skulptur über Grafik und Zeichnung bis hin zu fotografischen Arbeiten. Im Fotografie-Sektor zeigt die Münchner Loft 11 Gallery Arbeiten von berühmten Künstler*innen wie Elliott Erwitt, Jimmy Nelson und Andy Warhol. Auch die Gallery Avivson aus London und die Duisburger Galerie Ahlemann setzen auf Fotografie, die sich durch unverwechselbare Konturen von der tagtäglichen Bilderflut abheben will.
Als neues Segment der Innovative Art Fair (so die Bezeichnung für die Herbst-Ausgabe der C.A.R.) hält der Bereich »New Spaces« Einzug. Hier sind vor allem Installationen und Videokunst konzentriert. Außerdem erwartet Fans des künstlerisch ambitionierten Bewegtbildes in der C.A.R. Lounge ein umfangreiches Video-Programm, das die Galerie Directors Lounge aus Berlin zusammenstellt.
Neue Aussteller*innen aus ganz Deutschland
Dass die C.A.R. in diesem Herbst mit mehreren neuen Aussteller*innen aus ganz Deutschland aufwarten kann, signalisiert, dass die Veranstaltung ihr ursprüngliches Profil als Ruhrgebietsmesse inzwischen erweitert hat. Erstmals dabei sind diesmal unter anderem die konsum 163 contemporary art gallery (München), die Galerie an der Austraße (Bamberg) sowie die Galerie w182 (Leipzig). Ein Heimspiel haben derweil fünf Essener Galerien. Glaskunst, ein Nischenerzeugnis der Gegenwartskunst, kann man bei der Gallery O in Augenschein nehmen. Gleich mit mehreren künstlerischen Positionen werben die Galerie Ludwig Kleebolte, die Galerie Klose und die Galerie Frank Schlag & Cie um Käufer*innen.
Anstelle abgeschotteter Standarchitekturen, wie man sie auf klassischen Messen häufig findet, setzt die C.A.R. bewusst auf das Prinzip des ›open space‹. Mit dieser offenen Präsentationsform wird nicht nur Distanz abgebaut, sondern auch ein direkter Austausch zwischen Publikum, Ausstellenden und Kunstschaffenden gefördert.
Im Rahmen der Newcomer-Förderung präsentieren sich auch Kunsthochschulen und Universitäten auf der C.A.R. – in diesem Jahr ist unter anderem die Universität Duisburg-Essen mit Fotoarbeiten von mehr als zehn Studierenden vertreten. Im März 2026, wenn die Photo/Media Art Fair vom 20. bis 22. März über die Bühne geht, kann die Messe bereits ihren 20. Geburtstag feiern.
CONTEMPORARY ART RUHR (C.A.R.) – INNOVATIVE ART FAIR
Martin Pfeifle hat eine Lichtkunst-Arbeit für Lünen geschaffen, die auch Thema eines Künstlergesprächs wird. Foto: Sabine Schirdewahn
Bei der Nacht der Lichtkunst vom 24. auf den 25. Oktober lassen sich an die 50 Werke am Hellweg besichtigen. Außerdem gibt es Gespräche, Klangerlebnisse und Touren.
Seine Geschichte reicht weit zurück. Denn gereist wurde auf dem Hellweg schon vor vielen Jahrhunderten. Der alte Handelsweg zieht sich noch heute schnurgerade durchs östliche Ruhrgebiet. Und wer ihn abends befährt, kann bei guter Sicht dabei sogar Kunst entdecken. Lichtkunst, um genau zu sein: Dafür sorgt das Netzwerk »Hellweg – ein Lichtweg«, das zwischen Ahlen, Fröndenberg, Lippstadt und Unna an die 50 Werke zeitgenössischer Künstler*innen wie Mario Merz, Christoph Hildebrandt, Rochus Aust oder Kazuo Katase in Szene setzt.
Einmal im Jahr kommen temporäre Aktionen während der Nacht der Lichtkunst hinzu. Los geht es in mancher Stadt auch schon im Vorfeld – ab Anfang Oktober –, wenn der Film »Tracing Light – Die Magie des Lichts« in Ahlen, Fröndenberg, Hamm, Lünen, Soest und Unna gezeigt wird: Darin erkundet der Regisseur Thomas Riedelsheimer in Bildern und Begegnungen das wohl bedeutendste aller Naturphänomene: das Licht.
In der zeitgenössischen Kunst hat das Medium Licht eine herausragende Rolle eingenommen, wobei einige Künstler*innen Wege finden, um mit Licht zu experimentieren und es als zentrales Element ihrer Werke zu nutzen. Zwei Künstler aus NRW, die sich intensiv mit Licht auseinandersetzen, sind Mischa Kuball und Martin Pfeifle.In einem Vortrag am 23. Oktober in Unna bzw. in einem Künstlergespräch am 22. Oktober in Lünen geben sie jeweils Auskunft über ihre Arbeiten.
Die Region befindet sich weiterhin im Wandel. Wo einst Fabriken, der Bergbau oder (Traditions-)Geschäfte waren, nimmt heute die Anzahl der Leerstände zu. Unter dem Titel »Lichtgebiet« wurden Studierende des von Mischa Kuball geleiteten Seminars »urban stage« eingeladen, vergessene Orte in den neun Städten des Hellweg-Projekts wieder in neues Licht zu rücken. Sie schaffen temporäre Installationen, die zur Lichtkunst-Nacht präsentiert werden.So wie Maja Funke, die in Lünen mit zwölf kleinen Lichtobjekten eine kollektive Stadtkarte erschaffen will – mit Hilfe der Bürger*innen.
Die Faszination für das Medium Licht findet ihre Fortsetzung in Vor-Ort-Programmen, die die neun Netzwerkstädte an dem Wochenende anbieten. Insgesamt gibt es acht geführte Lichtreisen in die Region. Auf diesen Touren werden eine Auswahl der 50 permanenten Lichtkunstwerke im Außenraum angesteuert und auch die temporären Installationen besucht. Ergänzt wird das Programm um eine Lichtreise für Familien. Zum Ausklang lädt am frühen Abend des 26. Oktober das Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna zu sich ein – hier machen auch allein sechs Lichttouren Station: Der Besuch soll dann zu einem audiovisuellen Erlebnis werden, wenn Musik auf einen Lichtprojektor trifft. Bei der audiovisuellen Komposition »Visual bassic« sollen kosmische wie mikroskopische Räume aus Licht entstehen, untermalt mit spektralen Klangwelten.
Zusammenkunft in Florida: Robert Rauschenberg (von links), Robert Petersen, Cy Twombly und Nicola Del Roscio 1971 auf Captiva Island. Foto: Hans Namuth, 1991 Hans Namuth Estate, Courtesy of the Center for Creative Photography, University of Arizona
Zusammenkunft in Florida: Robert Rauschenberg (von links), Robert Petersen, Cy Twombly und Nicola Del Roscio 1971 auf Captiva Island. Foto: Hans Namuth, 1991 Hans Namuth Estate, Courtesy of the Center for Creative Photography, University of Arizona
Gleich zwei Ausstellungen in NRW widmen sich Künstler*innen der queeren Community: mit »Queere Moderne 1900 bis 1950« in der K20 Kunstsammlung NRW in Düsseldorf und »Fünf Freunde« im Museum Ludwig.
Die Geschichte der queeren Community ist von Leerstellen durchzogen. Diskriminierung, Verdrängung und Verfolgung queerer Menschen führte dazu, dass ihre Lebensrealitäten lange Zeit unsichtbar gemacht wurden. Schon immer sucht die Kunst in Zeiten von Verfolgung und Hetze Schlupflöcher. Bahnt sich mal offensichtlich, mal verklausuliert ihren Weg, um queeres Leben sichtbar zu machen. Dass diese Kunst ganz unterschiedliche Facetten haben kann, zeigt die von Anke Kempkes konzipierte Ausstellung »Queere Moderne 1900 bis 1950« in der Kunstsammlung NRW, die über 130 Werke von 34 internationalen Künstler*innen zeigt.
Drei junge Männer am Meer. Der eine oberkörperfrei, der andere nackt am Ufer sitzend, vom dritten ragt nur der Kopf aus dem glitzernden Wasser. Das Freilichtgemälde des britischen Künstlers Henry Scott Tuke (»The Critics«, 1927) zeigt eine private Situation dreier Jugendlicher, eine intime Atmosphäre am Wasser. Wesentlich surrealistischer geht es bei Pavel Tchelitchews »Personage« (Öl und Kaffeesatz auf Leinwand, 1927) zu, der düsteren Abstraktion einer sitzenden Person, deren Körperbau von geometrisch skizzierten Linien durchzogen ist. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass die Darstellungen menschlicher Figuren unweigerlich kulturell markiert sind? So wie es David J. Getsy in seinen Studien zur queeren Abstraktion hervorhebt? In einem anderen Gemälde blickt uns Romaine Brooks entgegen. Hier hat sich die Künstlerin 1912 selbst porträtiert, doch eigentlich brachte sie ihre Liebhaberinnen auf die Leinwand – und prägte damit die moderne lesbische Kunstgeschichte. Ihre mutmaßliche Geliebte zeigt auch Lotte Laserstein. »Ich und mein Modell« (1929/30) heißt das Bild, auf dem sie die körperliche Nähe zwischen ihr und ihrem Modell Traute Rose während einer Malsitzung einfängt.
Queeres Leben ging in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Avantgarde Hand in Hand und wurde doch im Kanon der Moderne nur selten berücksichtigt. Eine alternative Moderne zu erzählen – das ist deshalb das Ziel der Ausstellung in der Kunstsammlung. Dafür werden die kuratierten Werke in acht Kapitel sortiert, die unterschiedliche Positionen, Richtungen und historischen Kontexte berücksichtigen: Auf den Prolog folgen Moderne Arkaden, Sapphische Moderne, Surreale Welten, Queere Lesarten von Abstraktion, Queere Avantgarde und intime Netzwerke, Queerer Widerstand seit 1933 und ein Epilog. Bereits die Titel der Kapitel machen deutlich, dass die Ausstellung nicht nur unterschiedliche Kunstrichtungen porträtiert, sondern sich den Werken auch aus rezeptionsästhetischen und politischen Blickwinkeln nähert.
Begehren, Gender und Sexualität spielen hierbei eine ebenso wichtige Rolle wie Politik, Selbstverständnis, Verfolgung und Widerstand queeren Lebens.
In Köln treffen Freunde, Weggefährten, Liebhaber aufeinander
»As leaf with tree, / I long to be / With you«. So beschreibt John Cage die Beziehung zu seinem Lebensgefährten, dem Tänzer und Choreografen Merce Cunningham. Sein Gedicht »Poem. Cause: I love you« von 1943 wird im Epilog der Ausstellung »Queere Moderne« zitiert und schlägt eine Brücke: über den Rhein nach Köln ins Museum Ludwig. Denn auch hier widmet sich eine Ausstellung queerer Kunst – genauer gesagt dem Leben der bildenden Künstler Jasper Johns, Robert Rauschenberg und Cy Twombly, dem Musiker John Cage und dem Tänzer Merce Cunningham. »Fünf Freunde« heißt die Ausstellung im Museum Ludwig, die von Miriam Szwast mit Brit Meyer kuratiert wurde. Die Künstlergruppe um John Cage verband nicht nur ihr Schaffen, sondern auch ihre persönlichen Beziehungen: »Sie waren einander Freunde, Weggefährten, Liebhaber und Partner, sie arbeiteten eng zusammen und teilten eine ästhetische Sensibilität, die für die Entwicklung der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg und über ihren Kreis hinaus prägend war«, heißt es im Ankündigungstext des Museums.
Mit mehr als 180 Werken, darunter Partituren, Filmaufnahmen, Bühnenrequisiten und Kostümen, widmet sich die interdisziplinäre Ausstellung dem Leben und Wirken der New Yorker Künstlergruppe, die längst als Ikone der Postmoderne gilt. »Fünf Freunde« richtet den Blick dabei auf die Schaffens- und Lebensphase seit den 1940er Jahren, die als eine der prägendsten Zeiten in der Künstlergemeinschaft angesehen werden kann: »Wir alle haben mit vollem Einsatz gearbeitet, jedes intensive Gefühl geteilt, und ich glaube, wir haben Wunder vollbracht, allein für die Liebe« beschreibt Robert Rauschenberg diese gemeinsame Zeit. Dabei sind die Erscheinungsformen dieser Wunder ganz unterschiedlich – und ihre gegenseitige Beeinflussung und gemeinsame Linie doch erkennbar. Immer im Subtext enthalten: queere Anspielungen und Codes im Bruch mit dem abstrakten Expressionismus, dem Camp zugewandt und der Politik kritisch gegenübergestellt. Teil der Ausstellung sind etwa Johns‘ berühmte Aneignungen der amerikanischen Flagge, Fotoaufnahmen von Cunninghams Dance Company, Twomblys Grafit-»Kritzeleien«, Johns‘ und Rauschenbergs Bühnenbilder, John Cages Gedichte und Songs, sowie Liebesbriefe zwischen ihm und Cunningham.
Bei der Art Cologne wird der rote Teppich für Charlotte Zander ausgerollt: Eine Sonderausstellung des ZADIK würdigte die Sammlerin, Galeristin und Museumsgründerin als engagierte Fürsprecherin der Outsider Art.
Vom 6. bis 9. November lockt die 58. Ausgabe der Art Cologne rund 165 Galerien und Händler*innen aus 25 Ländern an den Rhein. Alphabetisch gesehen, reicht das heterogene Spektrum der Messe in diesem Jahr von 10 A.M. ART aus Mailand bis zur Galerie Zink, die ihren Sitz in Seubersdorf in der Oberpfalz hat. Moderne und zeitgenössische Kunst sind wie gewohnt über drei Marktplätze verteilt – »Galleries« (versammelt etablierte Galerien und Platzhirsche auf dem Kölner Messeparkett), »Neumarkt« (Galerien, die nicht älter als 13 Jahre sind) und »Collaborations« (Gemeinschaftsprojekte). Derweil finden Design und angewandte Kunst eine Nische im Sektor »Art + Object«.
Wenn der Satz stimmt, dass Sonderausstellungen das Salz in der Messesuppe sind, dann dürfte das Publikum, das in die Hallen 10 und 11 strömt, besonders neugierig sein auf das, was sich am Stand des ZADIK tut. Das Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung (so der vollständige Name) eröffnet bereits am 10. Oktober in seinem Domizil im Mediapark eine materialreiche Ausstellung über Charlotte Zander (1930-2014). Als Sammlerin, Galeristin und Museumsgründerin hat sie sich mit Herzblut und immenser Expertise für die sogenannte Naive Kunst eingesetzt. Also für Künstler*innen, die keine akademische Ausbildung durchlaufen haben; für jene, die als Zöllner, Putzfrau, Gärtner oder Postbeamter die Leidenschaft für die Kunst befiel.
In veränderter Form zeigt das ZADIK seine Hommage an die Grande Dame der Naiven Kunst auf der Art Cologne (Halle 11.1, Stand D-19). Nadine Oberste-Hetbleck, die Leiterin des Archivs, rekapituliert dort mit zahlreichen Dokumenten und Kunstwerken das ereignisreiche Leben Charlotte Zanders und fragt: »Wie ging sie vor, um den von ihr geschätzten künstlerischen Positionen Sichtbarkeit zu verschaffen? Wie funktionierte ihr Netzwerk mit Künstlerinnen und weiteren Akteurinnen des Kunstbetriebs?«
Eine hochverdiente Würdigung, die an diesem Ort besonderen Sinn macht. Schließlich war Zander, die von 1971 bis 1995 in München die »Charlotte Galerie für Naive Kunst« betrieb (seit 1987 unter dem Namen »Charlotte Galerie für Naive Kunst und Art Brut«), selbst Teilnehmerin der Kölner Messe. 1997 wurde sie wegen ihres nachhaltigen Engagements für die unorthodoxe Kunstrichtung mit dem Art-Cologne-Preis geehrt. In diesem Jahr geht die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung, verliehen von der Koelnmesse und dem Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG), übrigens an die Galeristin Andrée Sfeir-Semler; mit ihren Niederlassungen in Hamburg und Beirut baut sie seit Jahrzehnten eine Brücke zwischen der Gegenwartskunst des Westens und des Nahen Ostens (Preisverleihung am 7. November im Historischen Rathaus zu Köln).
Eine Brückenbauerin war auch Charlotte Zander. Ihr Anliegen: jenen Sonderlingen und Eigenbrötlern, die im Kunstbetrieb – und oft auch in der Gesellschaft – eine Außenseiterposition einnehmen, einen prominenteren Platz inmitten der Kunsthierarchie zu sichern. In gewisser Weise führte sie damit fort, was schon viele Künstler*innen der Moderne umgetrieben hatte: Auf der Suche nach ursprünglichen Bildwelten ließen sie sich im frühen 20. Jahrhundert inspirieren von außereuropäischen Kunstwerken, der Malerei von Kindern, psychisch Kranken oder den Hervorbringungen von Autodidakten. Dienten diese kreativen Zeugnisse in der Moderne jedoch meist als Mittel zum Zweck, so billigte Charlotte Zander der Naiven Kunst von Beginn an autonomes Existenzrecht zu.
Offener Blick für die Kunst
1930 als Tochter eines Seifenfabrikanten in Krefeld geboren, begeisterte sie sich schon früh für Kunstschaffende, die der offizielle Betrieb in der Regel belächelt – oder ignoriert. »Meine Mutter«, erinnert sich Susanne Zander, Galeristin in Köln, »begann Anfang der 1960er Werke der damals sogenannten ›Naiven Kunst‹ zu sammeln. Die Nähe zur Volkskunst und den Votivgaben, die sie in den Bildern erkannte und die sie schon als junge Frau sammelte, sprach sie an. Und obwohl meine Eltern auch die Werke zeitgenössischer Künstler*innen sammelten, konnte sie ihren Blick für die Kunst öffnen, die nicht dem westlichen Kanon entsprach.«
Zunächst erwarb Charlotte Zander Naive Kunst aus dem damaligen Jugoslawien. Später erweiterte sie das Profil ihrer Sammlung um die sogenannten »Maler des heiligen Herzens« (eine Bezeichnung des Kunsthistorikers Wilhelm Uhde), darunter André Bauchant, Séraphine Louis und Henri Rousseau.
Schon damals fiel Charlotte Zander nicht nur wegen ihrer Vorliebe für Naive Kunst auf, sondern auch wegen ihrer eleganten Erscheinung. 1963 begleitete sie ihren Mann, den Gynäkologen Josef Zander, zu einem Ärzte-Kongress nach Marseille – vor allem ihr leuchtend roter Hut zog im Vortragssaal die Blicke der versammelten Endokrinologen auf sich. Bei dem Kongress entstand ein Foto, das Gerhard Richter zwei Jahre später als Vorlage für eines seiner typischen Schwarzweiß-Porträts verwendete. Zwar ist das »Portrait Prof. Zander«, das 2000 bei Christie’s für knapp fünf Millionen Dollar versteigert wurde, nun nicht Teil der ZADIK-Ausstellung, wohl aber der rote Hut.
Nachdem Charlotte Zander ihre Tätigkeit als Galeristin 1995 beendet hatte, war ihr Tatendrang noch lange nicht gestillt. Im Gegenteil: Jetzt gab sie erst recht Vollgas und suchte nach einem musealen Domizil für ihre Sammlung, die inzwischen rund 4500 Arbeiten umfasste. Fündig wurde sie in der Provinz. Genauer: in Bönnigheim bei Ludwigsburg in Baden-Württemberg. Von der Stadt mietete sie das dortige spätbarocke Schloss für einen Zeitraum von 15 Jahren und machte daraus ein öffentlich zugängliches Zentrum der Naiven Kunst. Knapp 40 Ausstellungen hat sie dort präsentiert. Werke von Camille Bombois, Morris Hirshfield, Adalbert Trillhaase, Louis Vivin oder Alfred Wallis waren hier zu sehen, Klassiker des Genres wie Adolf Wölfli, Madge Gill und Carlo Zinelli oder die Künstlerinnen aus Gugging.
Schenkung an das ZADIK
Seit 2020 gehört das Museum Charlotte Zander in Bönnigheim der Geschichte an. Glücklicherweise hat die Tochter Susanne Zander den Staffelstab übernommen. Seit dem vergangenen Herbst macht die Kölner Galeristin Teile der Sammlung in Räumen an der Jülicher Straße zugänglich. Dort zeigt sie zudem Sonderausstellungen – gerade waren Bilder des serbischen Malers Emerik Feješ (1904-1969) zu sehen. Charlotte Zanders Spezialbibliothek zum Themenfeld der Sammlung hat sie im vergangenen Jahr der Kunst- und Museumsbibliothek Köln (KMB) gespendet. Das Archiv der Mutter, das Auskunft gibt über ihren weitgespannten Radius als Sammlerin, Galeristin und Museumsgründerin, ging als Schenkung an das ZADIK. Dort wird es für die Kunstmarkt-Forschung erschlossen.
Weil die Sammlung Zander bei der Art Cologne im merkantilen Kontext ausgestellt wird, liegt die Frage nahe, welche Rolle die Naive Kunst derzeit auf dem Kunstmarkt spielt. Susanne Zander weiß von einer Trendwende zu berichten: »Einige Künstler*innen aus der Sammlung Zander wie Séraphine Louis, Henri Rousseau und Morris Hirshfield erzielen auf Auktionen oder in Galerien sehr hohe Preise. Das kann auch mal schnell in die Millionen gehen. Viele Künstler*innen wurden aber über Jahrzehnte hinweg kaum gezeigt und sind heute fast vergessen. Das ändert sich gerade: So zeigen zum Beispiel internationale Kurator*innen wie Adriano Pedrosa oder Cecilia Alemani die Werke von Autodidakt*innen auf Biennalen ganz selbstverständlich neben den Bildern akademischer Künstler*innen – und das mit der Überzeugung, dass Diversität unsere Gesellschaft reicher macht.«
Dass das Terrain der Naiven Kunst längst nicht erschöpfend sondiert ist, will Susanne Zander mit der nächsten Ausstellung im Projektraum der Sammlung Zander demonstrieren. Dabei geht es um die Beziehung zwischen dem französischen Maler André Bauchant (1873-1958) und dem Architekten Le Corbusier (1887-1965). Dass der rigide Zuchtmeister des modernen Städtebaus ausgerechnet für die kindlich-unbefangene Bildsprache von Bauchant schwärmte und dessen Werke sammelte, hätte man wahrlich nicht gedacht. Es gibt eben auch aus kunsthistorischer Warte mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.