Abenteuer und Männlichkeitsbilder: Das Theater Bonn bringt zum Beethovenfest die »Odyssee« als Sprechoper auf die Bühne.
Zehn Jahre für eine Rückreise – wie konnte Odysseus die Leistungskraft der deutschen Bahn vorausahnen? Okay, ein billiger Witz, Homer ist, wenn man trotzdem lacht. Odysseus wählte den Weg über das Meer, um vom gewonnenen Trojanischen Krieg ins heimische Ithaka zu gelangen. Die Gött*innen – das Gendern ist bei diesem wilden, moralfluiden Haufen sicher angebracht – schickten ihm widrige Winde und allerlei Versuchungen. Er musste Kämpfe bestehen, verlor Gefährten und konnte nur überleben, in dem er seine Identität verbarg. So wurde Odysseus laut Theodor W. Adorno und Max Horkheimer zum Prototypen des modernen Menschen. Erstmals war da einer, der gegen die Gött*innen rebellierte und sein Schicksal nicht einfach hinnahm, auch indem er bereit war, das eigene Ich zu verleugnen.
Kein Wunder, dass die »Odyssee« bis heute zu den großen Geschichten der Menschheit zählt. Ältere sind mit dem bunten, effektvollen Hollywoodfilm mit Kirk Douglas aufgewachsen, Opernfans kennen Teile der Handlung seit 1641, als Claudio Monteverdi die Rückkehr des Ulisse vertonte. Nun vereinen der Komponist Ketan Bhatti und der Regisseur Simon Solberg Orchester und Schauspiel zu einer Sprechoper. Ihre neue »Odyssee« hat am 10. September als Koproduktion mit dem Beethovenfest im Schauspiehaus Bad Godesberg Uraufführung.
Großes Spektakel
Stricke und Seile hängen von der Decke, die Heldengruppe trägt Gurte, hakt sich ein und fliegt an den Strippen über die Bühne. Erste Probeneinblicke lassen ein großes Spektakel erwarten, was dem Regisseur Simon Solberg keinesfalls fremd ist. Das Beethoven-Orchester unter Leitung von Generalmusikdirektor Dirk Kaftan kommt erst nach den Ferien dazu. Bisher hat Komonist Ketan Bhatti vorproduzierte Soundfiles eingespielt.
Bhatti – 1981 in Neu-Delhi geboren und in Bielefeld aufgewachsen – ist ein unglaublich vielseitiger Musiker und Komponist. Mit seinem Trickster Orchestra hat er vor drei Jahren den Deutschen Jazzpreis gewonnen, ein Kollektiv, das Instrumente und Stile aus völlig verschiedenen Musiktraditionen in ebenso unterschiedlichen Projekten vereint. Es setzt sich mit sehr komplexen Vorgängen auseinander und bleibt dabei lustvoll-unterhaltend. Bhatti ist ein Grenzgänger zwischen Pop- und Kunstmusik. Mit seinem Bruder Vivan hat er Filmsoundtracks und Theatermusiken geschrieben, die beiden sind auch für die grandiose Neufassung von »Berlin Alexanderplatz« verantwortlich, die 2022 am Theater Bielefeld Uraufführung hatte.
Nun also die »Odyssee« in Bonn: Bhatti hat von Anfang an sehr eng mit Simon Solberg an der Textfassung gearbeitet. Sie verwenden die Übersetzung des Goethe-Zeitgenossen Johann Heinrich Voss, Solberg hat aber – so Bhatti – »unmerklich Hand angelegt«. Vor allem, was die Auswahl der Texte betrifft, die Götter kommen in Bonn überhaupt nicht vor. »Wir haben viel diskutiert und die rote Linie des Stücks zusammen entwickelt« sagt Bhatti. »Die Kernfrage war: Was erzählt uns dieses Heldenepos? Sollen wir es heute überhaupt weiter erzählen?«
Früher wurde Odysseus eindeutig als Held gesehen. Wagemutig und listig überlebt er viele Gefahren. Heute stellen sich andere Fragen. Da gibt es die Figur des Zyklopen, der die Gruppe einsperrt und einige der Männer verspeist. Dass Odysseus ihn blendet, damit er und der Rest fliehen können, galt als erlaubte Selbstverteidigung. Doch wie ist das in Zeiten des Postkolonialismus?»Odysseus bringt Leute um und stellt sich selbst als Helden dar«, meint Ketan Bhatti. »Auch bei der Zauberin Circe hängt Odysseus ein Jahr ab, bis ihn seine Gefährten drängen, weiterzureisen. Er übernimmt keine Verantwortung.« In der Sprechoper geht es um Männlichkeitsbilder, die Frage, wann Lügen und Intrigen erlaubt sind, schließlich auch um das Thema: »Warum sind wir heute so wie wir sind?«
Mythische Klänge
Die Musik, die »Beethovenfest Fellow« Ketan Bhatti komponiert hat, führt in Grenzbereiche und Zwischenwelten. Also in die Sphären, die ihn faszinieren. Mythische Klänge wechseln mit Momenten, in denen sich das Orchester in eine Beatmaschine verwandelt. Im Kern hat Bhatti für eine klassische Instrumentenbesetzung komponiert, aber auch zwei orientalische Akzente eingebaut. Eine Djoze ist dabei, eine Spießgeige, die aus dem Irak bekannt ist. Und ein Oboist des Beethoven Orchesters spielt auch ausgezeichnet die Duduk, ein armenisches Holzblasinstrument. Das erweiterte Schlagwerk wird durch Synthesizer und live eingespielte Samples ergänzt. Ketan Bhatti zitiert keine vorhandenen Stücke, setzt sich aber mit bekannten Stilen auseinander. »Nachahmung« nennt er diese Technik, oder auch »transtraditionelle Musik«.
Die Schauspieler*innen singen nicht, müssen aber natürlich mit der Musik umgehen. Manchmal müssen sie genau im Takt sein, manchmal hat das Orchester eine Fermate in den Noten stehen, also das Signal, das ein Ton gehalten wird, bis das Schauspielensemble fertig ist und der Dirigent das Signal zum Weiterspielen gibt. »Wie gestalte ich eine Musik«, formuliert Ketan Bhatti seine Aufgabe, »die nicht nur Hintergrundatmo bleibt, mit der die Schauspielenden aber umgehen können?« Wie das gelungen ist, kann übrigens nur im September begutachtet werden. Weil die Aufführung sehr aufwändig wird, läuft sie im Schauspielhaus Bad Godesberg am Stück vom 10. bis 18. September.
»Odyssee«
10. bis 18. September, Schauspielhaus Bad Godesberg
 
			





 
			 
			 
			