Diese Ausstellung ist anders als andere. Das wird schon beim ersten Blick ins Entree klar. Auf einem Riesenregal sind dort Floralien arrangiert – kleine Gärten im Glas. Geschlossene Ökosysteme, die nichts brauchen als Licht. Vor Wochen hatten Mitarbeiter im Museum die Minigärten angelegt. Aus den Büros sind sie dann geradewegs ins Museum gezogen.
Ein ausgefallener Auftakt für ein ungewöhnliches Projekt. »Grüne Moderne« heißt es im Ausstellungstitel, der nur das historische Thema anspricht: die Schau versammelt Pflanzenbilder der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in Malerei und Musik, Skulptur, Fotografie und Film. Doch zum Rückblick kommt diesmal der ökologische Anspruch. Es geht um Klima- und Umweltfragen. Die Zukunft der Institution Museum wird überdacht, und jeder kann mitdenken. Dazu stehen zum Start des Rundgangs Tische, Stifte und Altpapier für Notizen bereit. An der Wand hängt ein Pflanzgitter, wo man die Notate anheften kann. So dass Zettel für Zettel eine Ideensammlung heranwächst.
»Ich möchte aufzeigen, wie gestern, heute und morgen zusammenhängen«, so Miriam Szwast. Die Initiatorin des Ganzen ist lange schon Kuratorin für Fotografie am Museum Ludwig und seit einem Jahr nun dazu noch Kuratorin für Ökologie – die erste und einzige überhaupt mit diesem Titel an einem deutschen Museum. Den Posten hat sich die Kunsthistorikerin quasi selbst gemacht, weil sie klar den Handlungsbedarf erkannt hat. Dass Szwast mehr als ein schönes Aushängeschild für Köln ist, beweist jetzt der erste öffentlich Auftritt: Die Ausstellung wird zum Experimentierfeld, auf dem alle möglichen Ideen ausgetestet werden.
Auch jener Einzelkämpfer, den man einige Tage vor der Eröffnung mit dem Pinsel auf der Leiter sah, gehört in Szwasts grünen Maßnahmenkatalog. Ein professioneller Schildermaler, der alle Texte mit sehr viel Geduld und umweltfreundlicher Farbe direkt auf die Wand gebracht hat. Auf Klebstoff und die sonst übliche Kunststofffolie wurde verzichtet. So gibt es nichts, was nach der Ausstellung entsorgt werden müsste – überstreichen reicht. »Die Idee kam von den Kollegen von der Kommunikation«, bemerkt Szwast, die stolz ist auf die Gemeinschaft im Haus. Von den rund 60 Mitarbeiter*innen trifft sich rund die Hälfte regelmäßig im eigens gegründeten Team Nachhaltigkeit, um zusammen Pläne zu schmieden.
Was das aktuelle Pilotprojekt angeht, so reichen die Pläne von der Schrift an der Wand bis zum Ausstellungsthema – Szwast hat die »Grüne Moderne« nicht zuletzt gewählt, weil sie sich weitgehend aus dem hauseigenen Bestand erzählen lässt. In der Sammlung entdeckte sie jede Menge Grün: Expressionistisches Wuchern und Blühen, sachliche Interieur-Aufnahmen mit Gummibäumen im Wohnzimmer. Kakteen auf den Fensterbänken der Avantgarde. Wachstum im Zeitraffer oder Amorphes zwischen Pflanze und weiblichem Körper… Auf Leihgaben hat man diesmal komplett verzichtet. Was die Kuratorin nicht im Fundus fand, wurde einfach kopiert und mit schwarzem Tape an die Museumswand gebracht.
So auch das sprechende Foto eines stolzen Pflanzensammlers, der 1930 mit Lasso in der Hand unter einem meterhohen Mega-Kaktus posiert – wie ein unerschrockener Großwildjäger. Deutlicher ließe sich die koloniale Komponente hinter der europäischen Kakteenmode wohl kaum illustrieren. Der gehobene Wohntrend in Europa zerstörte in der Kakteenheimat ganze Ökosysteme. Und plötzlich hört man den in der Ausstellung erklingenden »kleinen grünen Kaktus« mit anderen Ohren.
Eigentlich, dies wird schnell klar, geht es hier nicht allein um die Pflanze, sondern vielmehr noch um unseren Umgang mit der Natur. Wobei sich von der Geschichte aus etliche Verbindungen in die Gegenwart ziehen lassen. So liegt der Bezug zu aktuell vieldiskutierten Themen auch im zweiten Ausstellungskapitel auf der Hand, wo die Blüte als genderspezifisches Symbol auf Blümchenkleidern und in Hochzeitskränzchen ihren Auftritt bekommt. Marlene Dietrich steckt sich 1928 ein besonders üppiges weißes Exemplar ins Knopfloch ihres schwarzen Herrenanzugs. Sicher nicht ohne Ironie – ging damals doch die Angst um die »Vermännlichung« der modernen Frau um.
Artifizielle Naturaneignung
Eine andere, wenig botanische Seite des Themas klingt in Karl Blossfeldts Bildern bis zur Unkenntlichkeit verbogener und zurechtgezupfter Pflanzenteile an. Ihn interessiert das Gewächs vor allem als Vorbild für ornamental-florale Design-Ideen. Eine ähnlich artifizielle Naturaneignung entdeckt die Ausstellung in der Floristik jener Zeit. Nach dem biblischen Motto: »Macht Euch die Erde Untertan«. Eine Ideologie, die womöglich Mitschuld daran sei, dass wir heute in der Klimakrise steckten, bemerkt Szwast. Und überlegt weiter, ob es in indigenen Gesellschaften möglicherweise nicht so weit gekommen wäre.
Während Blossfeldt noch zugunsten der Symmetrie Blättchen vom Stängel entfernte, sorgen neue Bildtechniken in den 1920er Jahren für eine ganz andere Wahrnehmung der Pflanze als lebendiges Wesen. Die Mikrofotografie etwa belegt, dass Pflanzen wie Tiere und Menschen aus Zellen bestehen. Und der Zeitraffer macht das Wachstum der Pflanzen anschaulich, zeigt, wie sie auf Reize reagieren: Nie gesehene Dinge, die 1926 mit dem Kinofilm das »Blumenwunder« für das breite Publikum aufbereitet und begeistert aufgenommen wurden. Noch interessanter wird das aus heutiger Sicht. In einer Zeit, da das anthropozentrische Weltbild wankt und die Erkenntnis wächst, dass wir alle Teile eines komplexen Systems sind, das im Gleichgewicht bleiben muss.
Für den Katalog dieser Ausstellung muss zumindest kein Baum sterben, denn den gibt es nur online. Auch sprießt es hier nicht nur in Gläsern. Zu den Floralien im Ausstellungs-Regal kommen aus abgelegten Kunsttransport-Kisten gefertigte Hochbeete auf dem Dachgarten – und laden zum gemeinsamen Gärtnern, Ernten, Essen ein. Nichts soll übrigbleiben. Das gilt auch für die Einrichtung unten in den Sälen. Deshalb gibt es nach Ausstellungsschluss ein großes Verschenk-Event unter dem Motto: »Recycle the Exhibit«.
Drei Fragen an Miriam Szwast
kultur.west: Warum braucht ein Museum einen Kurator, eine Kuratorin für Ökologie?
SZWAST: Museen sind innerhalb der Kulturbranche so etwas wie Kreuzfahrtschiffe. Sie sind die größten Emittenten von CO2. Mehr als Theater, Konzerthäuser, Bibliotheken… Wir müssen also ins Handeln kommen. Und dafür ist es wichtig, sich die Zeit und den Raum zu nehmen, wie es durch diese Stelle möglich ist. Wir schauen nicht nur auf unseren eigenen Betrieb und das Gebäude, sondern überlegen auch, wie Klima- und Artenschutz in unserem Programm eine Rolle spielen können. Viele Museen befinden sich jetzt auf diesem Weg. Die aktuelle Ausstellung nutzen wir, um Dinge auszuprobieren und den Prozess anzutreiben. Wobei dies natürlich nur ein einziges sichtbares Projekt einer viel größeren Bewegung in unserem Museum ist.
kultur.west: Sehen Ihren Posten auch politisch?
SZWAST: Durchaus. Der Posten ist eine Setzung und zeigt, dass wir bereit sind, noch mehr Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen, ökologisch wie übrigens auch sozial. Anfangs war ich fokussiert auf den Klimaschutz. Merke aber zum Beispiel, dass wir es nur schaffen, wenn wir auch unsere Arbeitsweise überdenken. In einem musealen System, das eine Ausstellung nach der anderen stemmt, bleiben wenig Zeit und Raum, auf eine gesunde Weise für das Klima aktiv zu werden. Wir müssen unsere Qualitätsmaßstäbe daher überdenken und neu definieren. Nach außen, aber auch innerhalb unserer Arbeitsstätte. Man spricht ja auch von der sozial-ökologischen Wende, die wir brauchen, weil das Soziale und das Ökologische absolut ineinandergreifen. Umso schöner, dass der internationale Museumsbund ICOM Nachhaltigkeit nun auch zu den Kernaufgaben von Museen erklärt hat.
kultur.west: Was möchten Sie, als Kuratorin für Ökologie, dem Museumsbesucher, der Besucherin vermitteln?
SZWAST: Mir ist es wichtig, zu zeigen, wie kreativ, sinnlich und freudvoll diese Transformation sein kann, wieviel wir zu gewinnen haben – für uns persönlich, für uns als Gesellschaft. Es wäre toll, wenn uns gelänge Menschen zu ermutigen, sich auch in ihrem Umfeld einzubringen und für das Klima aktiv zu werden. Schließlich gibt es ja neben dem Fußabdruck auch einen Handabdruck. Mit dem Handabdruck messen wir die guten Dinge, die wir hinterlassen.
»Grüne Moderne«
Museum Ludwig, Köln
bis 22. Januar 2023