Tanzkünstler*innen hinterlassen einen – nicht gerade zierlichen – ökologischen Fußabdruck. Deshalb gibt es neue Klimaschutz-Modelle. So verzichten »Green Companies« auf große Tourneen per Flugzeug und reisen nur noch mit dem Zug. Aufwändige Bühnenausstattung steht auf dem Index. Ähnlich denkt die neue Münsteraner Tanzdirektorin und Chefchoreografin Lillian Stillwell. Die US-Amerikanerin war zuletzt in Basel mit ihrem Ensemble »Snow Productions« beheimatet. Zuvor choreografierte sie an verschiedenen Häusern in Europa. Ihr Herzensprojekt zum Start in NRW im September: die »nachhaltige Tanzbühne«. Die Mitvierzigerin weiß Generalintendantin Katharina Kost-Tolmein hinter sich. Bei einem Architekten-Wettbewerb in dieser Sache hat sich die Jury für ein junges Team entschieden, das für Münster etwas Ungewöhnliches entworfen hat: eine modulare Bühne, die immer wieder weitergenutzt, aber auch umgebaut werden kann.
kultur.west: Frau Stillwell, warum hat Sie der Entwurf von Stella Sattler und Jonathan Brügmann überzeugt?
STILLWELL: Ihr Entwurf hat nicht nur mich, sondern eine zwölfköpfige Jury überzeugt, die aus Mitarbeitern des Theaters sowie den Bühnenbildner*innen David Hohmann und Nadja Fistarol bestand. Das Konzept war schlüssig, die Ästhetik schlicht. Durch die Puzzle-Module entsteht grenzenlose Kreativität. Die hohe Variabilität und die zeitlosen Formen gewährleisten eine besondere Nachhaltigkeit, da die Module künftig von anderen Sparten bespielt werden können. Damit sind Langlebigkeit und mehrfache Nutzung über den geplanten Zeitraum von zwei Spielzeiten hinaus möglich. Vor allem die offenen Formen inspirieren meine und die choreografischen Handschriften unserer Gastchoreograf*innen.
kultur.west: Wie stelle ich mir diese modulare Bühne vor, wie könnten beispielsweise zwei unterschiedliche Bühnenbilder daraus entstehen?
STILLWELL: Durch das modulare Prinzip, die Proportionen und ein geniales Verbindungssystem können zahlreiche Kombinationen von Bühnenbildern zusammengebaut werden. Sie lassen neue Räume auf der Bühne und auf unterschiedliche Ebenen entstehen. Die Behandlung der Oberfläche, die Höhe oder Breite der Konstruktion, die Zahl an benutzbaren Modulen sind komplett variabel. Ob die Module immer am Boden bleiben, ob sie aus dem Schnürboden hängen oder befüllt werden, die Möglichkeiten sind grenzenlos.
kultur.west: Und was konkret ist der Vorteil dieser modularen Tanzbühne für die Künstler*innen?
STILLWELL: Ganz klar: die Kreativität! Das Konzept des Wettbewerbs »Nachhaltige Tanz-Bühne« lebt von der Idee, dass Einschränkungen größere Kreativität freisetzen. Wie Igor Strawinsky schrieb: »Meine Freiheit wird umso größer und umfassender sein, je enger ich mein Aktionsfeld abstecke und je mehr Hindernisse ich ringsum aufbaue.«
kultur.west: Was lässt sich damit für die Umwelt erreichen?
STILLWELL: Vor allem reduzieren wir den Verbrauch von Ressourcen. Je öfter etwas benutzt und wiederverwendet wird, je kürzer die Transportwege sind, desto größer ist der Nutzen für die Umwelt. Dazu kommen wichtige Aspekte der Nachhaltigkeit – menschliche und finanzielle.
kultur.west: Das heißt konkret?
STILLWELL: Unser Publikum erlebt durch die künstlerische Umsetzung eine Wertegenerierung am Theater Münster. Die Tanzschaffenden sind in einem gemeinsamen Projekt vereint und können sich dadurch mit dem Tanz Münster identifizieren. In Ländern wie Großbritannien bildet Nachhaltigkeit in Kulturunternehmen schon ein Kriterium für das Erhalten von Subventionen.
kultur.west: Wovon handelt »Furien«, Ihr erster Tanzabend für Münster im September?
STILLWELL: Es geht um die Verwandlung eines Kollektivs. Aus einem wilden Rudel von rachesuchenden Punks erfolgt durch die Konfrontation mit einer kosmischen Kraft ein Wandel: Aus den Furien werden Eumeniden – »The Kindly Ones«, wie das Stück auf Griechisch heißt – Schützer*innen der Aufrechten, des Fruchtbaren und Guten. Die Gruppe bewegt sich als Einheit, oft synchron. Unsere Bewegungssprache entwickelt sich entlang dieses Spannungsbogens. Aus unruhigen, kämpferischen Ritualen wachsen sanfte, harmonische, aus der klassischen Ballettsprache beeinflusste Bewegungen.
kultur.west: Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
STILLWELL: Mein Stil verbindet körperliche Virtuosität mit tiefer Emotion und präziser Musikalität. Mich interessiert Tanz in dem Moment, in dem er mich berührt. Die Verbindung von Musik und Bewegung spielt dabei eine große Rolle. Ich bin immer auf der Suche nach emotionaler Wahrhaftigkeit, in der wir uns selbst erkennen.
kultur.west: Was ist Ihnen in Sachen Klimaschutz privat wichtig, worauf achten Sie?
STILLWELL: Im Leben wie im Tanz: Große Änderungen beginnen mit einzelnen Schritten.
»Furien« läuft ab 17. September im Theater Münster