Nordrhein-Westfalen, 1946 gegründet, umfasst das Ruhrgebiet und ländliche Räume. Hier sollte der politische Einfluss der Industrie-Arbeiterschaft konservativ eingeschränkt werden. Mit und nach Adenauer als ihrem ersten Landesvorsitzenden stützte das die CDU denn auch bis 1966 – im Wiederaufbau wurden die Berg- und Stahlarbeiter gepflegt, die Mitbestimmung gab den Betriebsräten Einfluss in ihren Unternehmen und in deren kommunalen Standorten. 1966 wurde dann aber Heinz Kühn – aus Köln – Ministerpräsident. Er wurde gewählt, weil die Bergarbeiter ihre Arbeitsplätze zu verlieren begannen. Die SPD konnte jetzt für die nächsten Jahrzehnte die Beschäftigungsverluste bei „Kohle und Stahl“ sozial abfedern, 60 Prozent der Arbeiter des Ruhrgebiets hatten 1966 noch im Produktionssektor gearbeitet.
Schwerpunkte von Kühns Landespolitik aber waren Bildung und Landesplanung; die Entkonfessionalisierung der Schule und die planvolle Erneuerung des Ruhrgebiets begannen. Sein Wissenschaftsminister Johannes Rau wurde zum erfolgreichsten Hochschulgründer Westdeutschlands, was im Ruhrgebiet zur entscheidenden strukturellen Veränderung führte. 1978 wurde Rau – aus Wuppertal – Ministerpräsident. Er strebte ein Bündnis der Vernunft an, um „die Interessen der Menschen an mehr sozialen Rechten wie die Interessen aller Menschen, die geistige Freiheit in einer offenen Gesellschaft wollen“ zusammenzuführen. Das gelang 1980, 1985 und 1990 mit der absoluten Mehrheit im Landtag. Dazu bei trugen aktive Kulturpolitik – die NRW-Stiftung ist ein blühendes Erbe –, die Bildung eines Umweltministeriums, der Stopp von Atomkraftwerken, erhaltende Stadterneuerung, restriktiver Fernstraßenbau, die sozialkulturelle Erneuerung des Ruhrgebiets mit der IBA.
Die Abspaltung der Grünen verhindern
Rau hat alles versucht, die Abspaltung der Grünen von der Sozialdemokratie zu verhindern. 1995 gelang es nicht mehr, die Grünen wurden Koalitionspartner. Für die SPD hatte das eine fatale Folge. Zwecks Abgrenzung von den Grünen vernachlässigte sie ökologische Politik.
Rau beendete sein Amt 1998, seine Nachfolger Clement und Steinbrück vermochten die erfolgreiche Politik nicht fortzusetzen. Als Bundeswirtschaftsminister wurde Clement zum Protagonisten der sozial unakzeptierten Hartz-IV-Politik, was seinem später dokumentierten marktliberalen Politikverständnis entsprach. So kam es 2005 zur Wahlniederlage. Die CDU regierte allerdings nur eine Wahlperiode lang, Hannelore Kraft gelang es 2010 wieder eine SPD/Grünen Koalition zu bilden. Nach ihrer Wiederwahl 2012 aber versäumte sie es, die Erneuerung des Ruhrgebiets als sozialdemokratische Leistung zu zeigen, vor allem demonstrierte sie kulturelles Desinteresse und verlor so die „Vernunftbündnis“-Partner, die „geistige Freiheit in einer offenen Gesellschaft“ wollen.
Seit dem Ende der Regierungszeit Raus hatte sich allerdings auch die Sozialstruktur vor allem des Ruhrgebiets grundlegend verändert. 2020 arbeiten nur noch 20 Prozent der Beschäftigten im Produktionssektor – die Arbeiter, die nach 1965 SPD gewählt haben, gibt es nicht mehr. Arbeiter und vor allem Arbeiterinnen sind jetzt im Dienstleistungsbereich beschäftigt, überwiegend als Angestellte, mit teils guter, teils miserabler Entlohnung.
Innerparteiliche Kämpfe
Mit alldem kommt die SPD in NRW nach der Wahlniederlage 2017 nicht zurecht. Die auf die Niederlage in NRW folgende Bundestagswahl führte zu einer von der SPD nicht gewollten Koalition mit der CDU, der innerparteiliche Kampf dagegen lenkte die NRW-SPD von der Landespolitik ab. Jetzt steht sie ungeordnet da.
Für die Wiedergewinnung der Regierungsverantwortung ist die Einsicht in ein Spezifikum der NRW-Landesverfassung notwendig: der Ministerpräsident muss dem Landtag angehören. Ein Blick in die Landesgeschichte zeigt, dass der Opposition nur ein Regierungswechsel gelungen ist, wenn ihr Spitzenkandidat gleichzeitig Fraktionsvorsitzender Im Landtag und Landesvorsitzender war. Das erreichten 1965 Heinz Kühn, 2005 Jürgen Rüttgers, 2010 Hannelore Kraft und 2017 Armin Laschet. Spitzenkandidaten, von der Bundesebene geholt, scheiterten, so die Bundesminister Blüm und Röttgen. Die NRW-SPD sollte daraus ihre Konsequenz ziehen. Ein SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzender muss dann Landespolitik artikulieren, mitmischen auf Bundesebene hilft nur wenig. SPD-Bundespolitiker aus NRW sollten sich andererseits aus der Landespolitik heraushalten.
Was aber sind landespolitische Herausforderungen? Nach dem Ende des Steinkohlenbergbaus kann das ganze Land – nicht nur die Metropole Ruhr mit der Emscherrevitalisierung als bedeutendstem Infrastrukturprojekt Europas – in eine soziale Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft geführt werden, mit klimagerechten urbanen Strukturen. Soziales Engagement muss sich auf Bildungsungerechtigkeit konzentrieren. Gut ausgebildete jüngere Generationen fragen nach einem Erwerbsleben mit zeitlicher Flexibilität und mit technologischen Perspektiven. Und sie haben Zeit für die Freiheiten kultureller Vielfalt. Mit veränderten Gesellschaftsstrukturen sind auch die Strukturen der SPD unwiederholbar nicht mehr die der 1960er Jahre. Politisches bürgergesellschaftliches Engagement muss in das parlamentarische System integriert werden – wie es den Grünen gelingt.
Der in Bochum lebende SPD-Politiker Christoph Zöpel war Minister für Bundesangelegenheiten (1978-1980), für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr (1980-1985) und für Landes- und Stadtentwicklung (1985-1990) des Landes NRW, dann Staatsminister im Auswärtigen Amt und Mitglied des Deutschen Bundestags. Er lehrt heute unter anderem als Honorarprofessor der Universität Dortmund.