Lässige Alltagsmenschen, bizarre Models, ikonografische Lustobjekte und historisierte Figuren aus Gemälden der Renaissance: Sein Personal präsentiert Ben J. Riepe hinter Glas, in einem weißen Würfel mit Seitentür. In dieser sogenannten Livebox posieren Kunstwesen wie bei einem Fotoshooting. Biblisch und kunsthistorisch anmutende Bildkompositionen, Modenschauen und Nachtklub-Szenen stellt der Choreograf in diesem drei mal drei Meter großen Schaukasten aus, bedeutungsvoll aufgeladen mit Madrigalen und Pop, Farblicht und Nebelschwaden. »Livebox: Persona« ist eine Versuchsanordnung der Verwandlungen, ein Défilé der Metamorphosen. Atemberaubend. Kunst behauptet Kunst. Die Jury des in Dortmund ausgetragenen Theaterfestivals »Favoriten« prämierte das Werk kürzlich für seine »eigenständige ästhetische Sprache«.
Riepe hat die Auszeichnung, natürlich, gefreut. Zumal er bis heute – und nun schon seit über zehn Jahren erfolgreich in der Tanzszene – mit VA Wölfl verglichen wird. Dabei war der Folkwang-Absolvent in dessen in Benrath beheimatetem Ensemble »Neuer Tanz« nur drei Monate engagiert. Bei Wölfl habe er gelernt, »dass ich die bildende Kunst nicht als eine andere Disziplin verstehen muss«, so der Düsseldorfer.
»Livebox: Persona« ist das Ergebnis konsequenter Entwicklung. Wie unter einem Brennglas sind darin Riepes Techniken und Themen fokussiert: der Genre-Grenzgang zwischen darstellender und bildender Kunst mit den schrillen Kunstfiguren und ihren minimalistischen, gern zur Pose eingefrorenen Bewegungen. Riepe sieht darin eine wichtige Seite seiner Arbeit: »›Livebox: Persona‹ zeigt schon im Namen den ständigen Übersprung – vom Tanz in die bildende Kunst, in die Musik und wieder zurück; vom Theater ins Museum, in urbane Räume und wieder zurück.« In dieser Arbeit wurden zwei Formate und Inhalte zusammengeführt: »Untitled Persona«, uraufgeführt 2015 im Essener Zentrum Pact Zollverein auf offener, unbestuhlter Bühne, und »Livebox«, eine Art Diorama, erprobt in einer neunstündigen Performance auf einem öffentlichen Platz in Breslau, der Kulturhauptstadt Europas 2016.
Riepe ist ein radikaler Augenmensch. Der 37-Jährige entwirft artifizielle Universen von gemeißelter Formstrenge und Sprödigkeit. Dabei ruht sein Blick intensiv auf dem Leib: Körper haben, Körper sein, Objekt der Begierde, fleischliches Material und frei agierendes Subjekt. Verschwunden ist aus seinen aktuellen Arbeiten der kühle Humor, jener grinsende Grusel, der ihn gewissermaßen als Tim Burton des Tanzes auszeichnete. Zuletzt staunte man in seinem Werk »Der letzte Schrei« (2015) über die kalt lächelnde Entlarvung schillernder Optik.
Ben J. Riepe stammt aus einer Akademiker- und Künstlerfamilie. Seine Urgroßmutter tanzte bei Émile Jaques-Dalcroze, dem großen Begründer der rhythmisch-musikalischen Erziehung. Schon als Junge stand er bei Familienurlauben in den Kathedralen Frankreichs und erlebte bewusst den sakralen Raum: »wie bei einem Theaterstück – eine Empfindung von Größe und Zuhause«, erinnert er sich. Während das Kind Benjamin vom Theater fasziniert war, zogen den Jugendlichen dann die Plastiken von Auguste Rodin und Camille Claudel an. Später interessierte er sich für Joseph Beuys und Matthew Barney. Kein Wunder also, dass Riepe sich nach seiner Tänzer-Karriere (u.a. auch am Tanztheater Wuppertal) und ersten choreografischen Arbeiten mehr und mehr der installativen Performance zugewandt hat.
Die Livebox hat Ben J. Riepe mittlerweile gesprengt – und das Weite gesucht. Derzeit inszeniert er ganze Landschaften, wie es bereits in früheren Werken angelegt war. Im Sommer hat er bei dem Ausstellungsprojekt »Planet B« im NRW-Forum Düsseldorf eine atmosphärische Landschaft namens »UUUUU(topia)« gestaltet. Mit künstlich erzeugtem Wetter, tanzenden und singenden Körpern inszenierte er über drei Monate ein Klima ständigen Wandels. Die begehbare Rauminstallation wird jetzt in Riepes »Arena Arctica« auf Pact Zollverein wieder auftauchen, wenn er als dem Haus besonders verbundener »Artist« und seine Kompanie das gesamte Bühnengeschoss u.a. mit einem choreografierten Dinner bespielen. Künstlerische Rückschau, Zustandsbestimmung und nach vorn gerichtete Perspektive – zu erwarten ist eine stabile Wetterlage unter Hochdruckeinfluss.