»Beautifully executed« steht auf der Anzeige mit dem toten Frauenkörper. Die Leiche trägt Spitzenunterwäsche und High-Heels. Sie liegt auf roter Seidenbettwäsche. Wäre kein Loch in ihrem Kopf, man könnte meinen, die Frau schliefe. Das aufreizende Motiv stammt aus einer Kampagne für das Videospiel »Hitman: Blood Money«. Ein Welthit –2,1 Millionen verkaufte Einheiten, das jüngste Remake nicht eingerechnet.
Es sind Bilder wie diese, die Anita Sarkeesian zornig machen. Deshalb hat die kanadisch-amerikanische Kritikerin eine Video-Serie ins Netz gestellt, die Sexismus in Videospielen dokumentiert. Wer sich die gut recherchierte Reihe anschaut, merkt schnell, dass das »Leitmedium des 21. Jahrhunderts« noch Nachholbedarf hat in Sachen Gleichberechtigung.
Das zeigen auch die Reaktionen auf Sarkeesians Videos. Die 30-Jährige hat Mord- und Vergewaltigungsdrohungen erhalten. Im Netz kursiert ein selbst programmiertes Spiel, in dem man Sarkeesian verprügeln kann. Kürzlich sollte sie einen Vortrag an der Universität von Utah halten. Die Veranstaltung wurde abgesagt, nachdem ein anonymer E-Mail-Schreiber mit einem »Massaker« gedroht hatte. Die Rednerin forderte Einlasskontrollen. Die Polizei weigerte sich, das Staatsrecht in Utah erlaubt das Tragen registrierter Waffen in Universitäten.
Die hasserfüllten Tiraden machen deutlich: Ein Teil der männlichen Gamer-Szene fühlt sich von feministischen Analysen bedroht. Eine lautstarke Minderheit argumentiert, die Diskussion um Frauenbilder in Videospielen ziele auf politisch korrekte Zensur ab. Die Ausschnitte aus Sarkeesians Clips seien entweder manipuliert oder unrepräsentativ. Dabei stammen die Sexbomben- und Opferklischees in ihren Videos gerade nicht aus den Nischen des Spielewelt, sondern aus Blockbustern wie »GTA V« oder »Assassin’s Creed«, die mehr Geld einspielen als viele Hollywood-Filmproduktionen.
Tatsache ist, bei »games & gender« besteht »Gespächsbedarf«. So formuliert es die Next Level Conference auf ihrer Homepage. Die vom NRW KULTURsekretariat organisierte Veranstaltung nimmt einmal im Jahr die Schnittmenge von Videospielen und Kultur unter die Lupe. Die Themen sind breit gefächert, vom Programmier-Workshop für Jugendliche bis zur Ausstellung mit historischen Flugsimulatoren. Pädagogische Angebote zielen wiederum auf den klugen Einsatz von Spielen im Unterricht.
Es spricht für die Reihe, dass sie Kontroversen nicht aus dem Weg geht. So befassen sich zwei Panels mit dem hochaktuellen Komplex von »Videospielen und Sexismus«. In seinem Vortrag »Die Symbole Tod und Sex in Games« beleuchtet Professor Martin Geisler vom Institut für Computerspiel, wie weit interaktive Unterhaltung in der Darstellung gewalttätiger und sexistischer Inhalte gehen darf. Und welche Balance zwischen darstellerischer Freiheit und Jugendschutz gefunden werden muss.
Über Frauenperspektiven und -rollen in Videospielen diskutiert die Runde »Games als Spiegel der Gesellschaft am Beispiel Gender«. Mit dabei: Sabine Hahn. Die Doktorandin der Universität Köln forscht über die Rolle von Frauen in der Games-Industrie. In ihren Seminaren hat sie die jüngste Sarkeesian-Kontroverse aufgegriffen. Die Debatte um Frauenbilder in der interaktiven Unterhaltung findet sie »überfällig«. Hat sie eine Erklärung für die Heftigkeit der Reaktionen?
»Keine einfache. Ein Grund könnte die Killerspiel-Debatte sein, unter der die Industrie vor ein paar Jahren gelitten hat.« Hahn meidet den Ausdruck »Killerspiel« normalerweise, er bezieht sich auf die Diskussion, inwieweit exzessive Gewalt in Videospielen reale Gewalt bedingt – Stichwort: Amokläufe. »Geklärt werden konnte der Zusammenhang bis heute nicht«, sagt sie. »Die Frage bleibt, was war zuerst da: das Huhn oder das Ei? Machen Videospiele aggressiv, oder verstärken sie nur vorhandene Aggressivität bei manchen Jugendlichen?« Möglicherweise hat die »Killerspiel«-Debatte eine reflexartige Abwehrhaltung in manchen Kreisen hervorgerufen.
Aber wie sieht es bei den Frauenbildern in Videospielen aus? »Ich verstehe einerseits, dass sich die Gamer-Gemeinschaft gegen die Sexismus-Vorwürfe zur Wehr setzt«, sagt Hahn, »andererseits wiederum nicht, weil die Debatte längst überfällig ist und der Industrie sowie ihren Produkten mittelfristig zugute kommen wird«.
In ihrer Arbeit untersucht die Doktorandin einen auffälligen Widerspruch. Während der Frauenteil unter den Videospielern in den letzten Jahren stark angestiegen ist (laut »Gesellschaft für Konsumforschung« liegt er schon bei 50 Prozent), arbeiten in den Büros der Spielefirmen selbst bestenfalls 15 bis 20 Prozent Frauen, viele davon in nicht-technischen Zweigen wie Marketing oder Kommunikation.
Jüngste Umfragen in den USA deuten allerdings an, dass sich allmählich auch in diesem Bereich etwas verändert. Dem Produkt würden weibliche Spieleentwickler sicher guttun. Wer weiß – vielleicht muss irgendwann nicht die Prinzessin, sondern der Prinz gerettet werden.
Next Level Conference: 4. und 5. Dezember 2014, Dortmund, »U«; www.nextlevel-conference.org