Nein, steif-staubige Lesungen mit Wasserglas sollen es nicht werden. Aber auch keine Seminare über die Techniken des Comic-Zeichnens, sondern irgendetwas dazwischen – ein ausgelagerter Werkstattbesuch sozusagen; Einblicke in die Arbeitsweise und den Arbeitsalltag der Zeichner.
Literatur für Comics zu adaptieren, das gelingt wenigen so lässig und komisch wie dem österreichischem Comic-Zeichner und Illustrator Nicolas Mahler. Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften«, Frank Wedekinds »Lulu« oder aber Thomas Bernhards »Weltverbesserer« und »Alte Meister« – Mahler schrumpft Weltliteratur zu Comicwelten, bevölkert von eigenartig gestreckten oder gedrungenen Figuren ohne Augen. In diesem Stil bekommen sind in »Alte Meister« auch die titelgebenden Künstler und ihre Werke gehalten, die im Kunsthistorischen Museum Wien hängen. Sie fungieren als Hintergrund- und Debattenkulisse für die Herren Reger und Atzbacher, die sich jeden zweiten Vormittag vor Tintorettos »Weißbärtigem Mann« treffen, um sich über alte Meister bernhardesk zu echauffieren. Mit einfachem Strich und der Schmuckfarbe Gelb zeichnet sich Mahler durch die Kunstgeschichte und zeigt Heroen wie Goethe, Bruckner, Bach, Voltaire und den »Kitschmeister« Stifter als melancholische Geistesgrößen, die sich lediglich über die Form ihrer Nase charakterisieren lassen. Thomas Bernhard hätte es bestimmt gefallen, wie Mahler den Philosophen Heidegger, diesen »lächerlichen nationalsozialistischen Pumphosenspießer« auf Zwergenformat geschrumpft vor dessen Schwarzwald-haus inszeniert. Nicolas Mahler ist im Frühjahr mit dem »Preis der Literaturhäuser 2015« ausgezeichnet worden; im Rahmen seiner Lesung in Köln wird Hella von Sinnen nachträglich eine Laudatio schreien.
Eine andere Art grafischen Umgang mit Vorlagen pflegt Robert Davis in seinem »Don Quixote«, dem Klassiker der Windmühlenfachprosa. Davis hält sich eng an die Geschichte vom Ritter von der traurigen Gestalt und kombiniert Cervantes’ altertümliche Sprache mit farbigen Bild-Panels, ohne dabei in eine Superhelden-Ästhetik abzugleiten. Davis veröffentlicht seit 1989 eigene Comics und Graphic-Novels und war an Marvel-Comicbänden wie Doctor Who und Judge Dredd beteiligt. Ruhe statt Krawall –Davis inszeniert den »Don Quixote« mit sanftem Strich und in den Farben der iberischen Landschaften. Im letzten Jahr war er mit dieser Graphic-Novel für den Eisner-Award nominiert.
Ganz anders der bei Köln geborene Reinhard Kleist. Bekannt wurde er mit der Graphic-Novel »Der Boxer« sowie der dunkelschwarzen, grafischen Johnny Cash-Biografie »I see a Darkness«. Kleist thematisiert in seinem Band »Der Traum von Olympia« aktuelle Flüchtlingsschicksale zwischen Afrika und Europa. Es handelt sich um die wahre Geschichte der somalischen Läuferin Samia Yusuf Omar, die 2008 an den Olympischen Spielen in Peking teilnimmt und ihre persönliche Bestzeit läuft. Zurück in ihrer Heimat, wird das Training immer schwieriger. Sie wird von muslimischen Fundamentalisten verfolgt und entschließt sich schließlich zur Flucht nach Europa. Sie will unbedingt an den Olympischen Spielen 2012 in London teilnehmen. Eine lange Odyssee durch Äthiopien, Sudan und Libyen beginnt, voller Strapazen und Einsamkeit. Ihr großes Ziel treibt die Sportlerin voran – vergebens. Bei der Überfahrt über das Mittelmeer gerät das Boot in Seenot, Samia ertrinkt im Alter von 21 Jahren vor Palermo. Indem sich Reinhard Kleist ganz auf das Schicksal von Samia fokussiert und sie aus der anonymen Masse der Flüchtlingsströme heraushebt, ist man nach der Lektüre angefasst und berührt. Tragisch, traurig, emotional – zu Recht gilt Kleist als einer der ganz großen grafischen Erzähler.
Diese drei Zeichner bilden den Auftakt zu weiteren Veranstaltungen zum Thema im Literaturhaus Köln. Nach der Sommerpause soll es weitergehen. Der französische Comic-Zeichner und Regisseur Joann Sfar hat zur Abwechslung einen Roman geschrieben, den er im September vorstellen wird. Auch eine Comic-Tagung ist in Planung. An drei Tagen stehen dann im Spätherbst Lesungen auf dem Programm, aber auch Symposien, wo Präsentationsformen und Entwicklungen von Graphic-Novels vorgestellt und diskutiert werden.
Nicolas Mahler: »Thomas Bernhard: Alte Meister«, Suhrkamp Verlag, Berlin 2015, 158 Seiten, 12 Euro, Lesung am 1. Juni 2015
Rob Davis: »Don Quixote«, Egmont Verlag, Köln 2015, 296 Seiten, 24,99 Euro, Lesung am 8. Juni 2015
Reinhard Kleist: »Der Traum von Olympia«, Carlsen Verlag, Hamburg 2015, Graphic Novel, 152 Seiten, 17,90 Euro Lesung am 23. Juni 2015