»Lebt und arbeitet in Düsseldorf«. Der Hinweis in Juergen Staacks Vita trifft nur bedingt zu – zumindest die letzten paar Jahre war er die meiste Zeit unterwegs, wie es scheint. Vilnius, Boston, Kaliningrad, Kairo, New York … Allein 13 Städte passierte der Künstler 2005 und 2006, um dort für sein Projekt »Left Behind – Missing Pictures« ein paar hundert eigene Fotografien zu hinterlassen, sie an diversen Plätzen, Häuserecken, U-Bahnstationen signiert und datiert ihrem Schicksal zu übergeben.
Wenig später dann startete die Reiserei für »Transcription – Image«. Rund um die Welt den seltenen Idiomen hinterher: In Tao, Akan-Twi und Ober-Sorbisch, in Ainu, Miao, Yoruba und etlichen Sprachen mehr ließ er eigene Fotografien beschreiben. Und das ist noch nicht alles. Zuletzt nahm Staack gar den ungemütlichen Weg ins sibirische Oimjakon auf sich: Am Kältepol der Erde zeichnete er das Eisflüstern auf. Ein Geräusch, das entsteht, wenn beim Sprechen der Atem gefriert und in Form von Kristallen zu Boden fällt.
Daheim in Düsseldorf jobbt der Künstler nach Kräften. Und sobald genug Geld zusammen ist, geht es wieder los. Einige Wochen vor dem Start der Art Cologne trifft man den 33-Jährigen bei der Arbeit an seinem Messe-Projekt in Peking. Nicht wirklich. Skype übermittelt ein Videobild des beredten Künstlers, der mit dicken Kopfhörern im Zwei-Zimmer-Appartement einer Freundin sitzt. Staack schwenkt kurz die Computer-Kamera, um uns aus dem Fenster das Häusermeer im Smog überblicken zu lassen.
Auch medial treibt er sich inzwischen auf allen möglichen Gebieten herum. Doch angefangen hatte alles mit einer üblichen Fotografen-Ausbildung in Wuppertal. Er habe nichts als schöne Bilder machen wollen – dieser Wunsch leitete Staack auch noch beim Wechsel an die Düsseldorfer Kunstakademie, doch in der Klasse von Thomas Ruff verlor er schnell die Unbefangenheit. Da habe er gemerkt, dass man eigentlich gar nicht mehr einfach ein Bild machen könne. »Nach all der Last, die Leute wie Ruff, Gursky, Struth dem Medium aufgebürdet haben.«
Seither geht Staack die Sache von anderen Seiten an. In den eigenen Werken verweigert der Künstler immer wieder den Blick aufs Bild, setzt seine visuellen Reize außer Kraft, indem er es in Klang, Schrift, Sprache, Handlung übersetzt. So auch bei »Transcription – Image«, wenn er die eigenen Polaroids in Fremdsprachen beschreiben und anschließend mit dicken schwarzen Filzstiften übermalen lässt. Die Fotografie ist weg. Sie existiert nur noch im Ton-Dokument, das die Sicht eines Einzelnen wiedergibt.
Dabei hat es durchaus seinen Grund, dass Staack in den Aufnahmen am liebsten Sprecher seltener Sprachen zu Wort kommen lässt. Weil kaum jemand ihre Ausführungen verstehen oder übersetzen kann, bleibt dem Hörer nichts anderes übrig, als auf Klang, Tonfall, Rhythmus zu hören. Abstraktion auf die Spitze getrieben.
Etwas Anschaulicheres plant er nun für seinen Auftritt bei der Art Cologne mit der Düsseldorfer Top-Galerie Konrad Fischer – für die er übrigens auch einmal gejobbt hat, bevor er zum festen Bestandteil des Programms wurde. Ein kleines Stück Peking will Staack in die Kölner Messe-Koje holen. Genauer, jenes ganz eigene Phänomen, das er dort entdeckt hat: Telefonnummern überall in der Metropole, an Wände gesprüht oder gepinselt, daneben Schriftzeichen, die diverse Dienstleistungen benennen – vom Rasenmähen bis zum Auftragsmord. Die Stadt wird zum schwarzen Brett; auch dies eine Form der Kommunikation. Allerdings eine, die streng verboten ist. Es gebe eigens Trupps, so Staack, die allerhand zu tun hätten, die Botschaften so schnell es geht zu tilgen. Mit Farbe allerdings, die selten jene der Fassade treffe. »Nach der dritten oder vierten Übermalung sieht es fast aus wie eine Collage.«
Staack hat die Telefonnummern und auch ihr Verschwinden fotografisch festgehalten. Akustische Zugaben holte er per Telefon ein – wählte Nummern, die er an den Häuserwänden fand und zeichnete das »Wei« auf, mit dem sich der Angerufene üblicherweise meldete. Die gesammelten »Hallos« will Staack in einer Klangcollage kombinieren. In allen Stimmlagen wird es dann tönen: »wei, wei, wei …«
Während Juergen Staack also durch Pekings Straßen zog, bereitete Pauline M’barek das Messe-Debüt im ethnologischen Museum vor. Obwohl der Schauplatz wie auch die Mittel und Inhalte unterschiedliche sind, gibt es doch auch Dinge, die beide Künstler verbinden. Ganz bestimmt sind dies jene Zweifel an Wahrnehmung und Wissenschaft, an der Realität des Bildes – und die Gewissheit, dass alles relativ ist.
Auch bei M’barek begegnen einem allenthalben solche Gedanken. Zum Beispiel mit Blick auf den älteren Herrn im Museum: Sonderbar, wie er mit gerunzelter Stirn und herab gerutschter Brille durch die Scheibe stiert. Das Objekt seiner Observation ist eine afrikanische Maske, doch sie interessiert diesmal nur am Rande. Denn M’barek vertauscht die Rollen, filmt aus der Vitrine heraus – als würde die Maske den Menschen beobachten. Den Mann mit der Brille und die anderen Besucher im Brüssler Musée Royal de l‘Afrique Centrale. Das Video zeigt, wie sie vorüberziehen, stehen bleiben, das exotische Exponat in Augenschein nehmen und dabei im optischen Gemisch aus Realität und Spiegelbildern an Konsistenz verlieren.
Wer ist drinnen, wer draußen? Räumliche Verhältnisse und politische Gefüge, optische Phänomene und Täuschungen. Neue Perspektiven. Es sind Ideen, die ihre Werke prägen zusammen mit allerlei Hinweisen auf oder Erinnerungen an historische Fakten, wissenschaftliche Thesen, philosophische Texte. Ganz egal ob M’barek den Betrachter afrikanischer Masken ins Visier nimmt, ob sie per Projektion Raumecken versetzt oder ob sie mit der winzigen Fingerkamera die Prozedur des Schleifenbindens vom gewundenen Band aus erfasst.
Sie trage, sagt die Künstlerin, möglichst viele Informationen zusammen, nehme sich meist ein ganzes Jahr Zeit für ein und dasselbe Sujet. Von allen möglichen Seiten und in allerlei Medien geht sie dabei ihren Gegenstand an und fügt die unterschiedlichen Teile schließlich in ausgeklügelten, inhaltlich dichten und ästhetisch präzisen Installationen zueinander.
Das Vitrinen-Video aus dem Brüsseler Museum gehört zu einer Reihe von Arbeiten, die, ausgehend von Belgiens kolonialer Vergangenheit, unter anderem das Wesen ethnologischer Artefakte und unseren Umgang mit ihnen unter die Lupe nimmt. Diesmal hatte die Künstlerin vor allem den französischen Wissenschaftsforscher Bruno Latour im Hinterkopf. Dessen zwischen Glauben und Wissenschaft angesiedelter Begriff des »Faitiche« sie nachdenken ließ über Masken, Macht, den Kunstmarkt …
Voll Elan versucht sie an diesem Vormittag im Atelier, solche Gedankengebäude verständlich zu machen. Unterbricht sich nur gelegentlich für eine unsichere Zwischenfrage, ob ihre Erklärungen denn noch zu verstehen seien. Es ist gar nicht langweilig, ihr zu folgen – aber muss man das wirklich alles wissen? Sie überlegt kurz. »Nein, wohl nicht.« Natürlich, so M’barek, sollten ihre Arbeiten auch ohne dies funktionieren. »Aber es erweitert etwas, wenn man es weiß.« Womit sie sicher Recht hat. Zur Anschauung entfaltet die Künstlerin eine Projekt-Dokumentation nach der anderen auf dem Atelier-Tisch. Ansonsten ist der kleine Raum im Kölnischen Kunstverein erstaunlich aufgeräumt. M’barek kann ihn im Rahmen eines Atelierstipendiums nutzen – kommt allerdings nur selten dazu, denn ein zweites Stipendium bindet sie in Brüssel. Es kommt so einiges zusammen in letzter Zeit.
Immer mehr Preise, Förderungen, Anerkennungen listet die Vita der 32-Jährigen, die erst 2010 ihre Studienzeit nach Stationen in Hamburg, Marseille und Köln beendet hat. Dass sie diese Laufbahn einschlagen wollte, stand für M’barek sehr früh fest. Es liegt wohl auch an der Familie: Die Mutter zeichnet, der Großvater, Elmar Hillebrand, bestückte als Bildhauer etliche Kirchen in Köln und anderswo. Daher also die künstlerische Ader. Ihren Nachnamen und den getönten Teint hat sie dagegen vom Vater, der aus Tunesien stammt. Auch dort werde sie demnächst ausstellen, zum ersten Mal, wirft M’barek vorfreudig ein.
Doch zunächst ist jetzt die Art Cologne dran. Bei ihrem Auftritt dort mit der Kölner Galerie Thomas Rehbein will sie das ethnologische Thema konzentriert im kleinen Kojenraum weiterdrehen. Im Modell findet sich bereits die komplette Inszenierung vorgedacht: An eine Seite kommen die »Trophäenhalter«. Unterschiedlich geformte Metallgestänge sind das, Spießen oder Gabeln ähnlich. Im ethnologischen Museum benutzt man so etwas, um Masken zu präsentieren. Hier nun aber bleiben die Halterungen nackt und gewinnen so fast etwas Martialisches – lassen vielleicht manchen denken an die oft brutale Aneignung des fremden Gutes durch »Kolonialherren«.
In die Kojen-Ecke will M’barek eine virtuelle Vitrine bauen, was sich, wie sie sagt, als ziemlich kompliziert erweist. Konstruiert aus Licht und Schatten, soll dieser museale Schaukasten nur in der Wahrnehmung des Betrachters existieren – er selbst schafft sich die Hülle für seinen Fetisch. Als eine Art Trugbild erweist sich auch der große Nagel, den M’barek als Anamorphose an die Kojenwand bringen will und dazu schnell einwirft, dass der vermeintlich urtypisch afrikanische Nagelfetisch seinen Ursprung eigentlich in der christlichen Ikonografie finde, die erst mit den Portugiesen nach Afrika transportiert worden sei.
Zum Nagel passt ein heftiges Hämmern, das in der Koje ertönen wird. Herrührend von einem Video, das eine Auktion bei Christie’s in Paris dokumentiert – heiß umkämpft waren da Werke afrikanischer Kunst.
Das Ganze hat zusammen gesehen natürlich eine Menge zu tun mit dem Verständnis von Kunst, dem Kunstwerk als Fetisch. Mit den Mechanismen des Kunstmarktes – und mit dem Marktplatz Messe letztlich auch.
Art Cologne; Messe Köln; 18. bis 22. April 2012. www.artcologne.de