Am Theater Aachen inszeniert Jakob Weiss die Uraufführung von Miriam Unterthiners preisgekröntem Stück »Blutbrot« als heiter-schauriges Kammerspiel. Anlass zum Schreiben gab auch Unterthiners Großvater.
Es war ihr Großvater, der ihr von einem Weg zwischen Österreich und Italien erzählte, »auf dem mich sicher niemand finden würde«. Miriam Unterthiner schrieb gerade zum Thema Brot, als sie also von dieser sogenannten »Rattenlinie« über den Brenner erfuhr. Und sie recherchierte weiter. Rattenlinien hießen die Fluchtrouten von NS-Kriegsverbrechern, die im Süden über Bayern und Österreich in Richtung Italien und Spanien bis nach Südamerika verliefen. So entkamen etwa Adolf Eichmann, Josef Mengele und Erich Priebke. Unterthiner brachte beide Themen zusammen: »Die Vergangenheit in unseren Mündern schmeckt nach Blut«, heißt es dann zum Beispiel in ihrem Stück »Blutbrot«, für das die 1994 in Südtirol geborene Autorin mit dem Kleist-Förderpreis für neue Dramatik ausgezeichnet wurde. Nicht selten sind es die Eltern, Großeltern, ist es die eigene Familiengeschichte, die Künstler*innen produktiv werden lässt.
»Blutbrot« wurde jetzt im Theater Aachen uraufgeführt, nur zwei Wochen später gab es eine zweite Inszenierung in Wien. Miriam Unterthiner ist eine erfolgreiche Nachwuchsautorin – »Nachwuchsautorin«, so nennt sie sich selbst im Stück: »die unablässig Brot essende Autorin, die sich einen Chor wünscht, einen richtig großen Chor, mehr weiß sie selbst noch nicht«. So selbstreflexiv, ja auch so selbstironisch und kritisch verortet sie sich im Stück wie im Betrieb.
Metaphern, Sprachspiele und Wortkonstrukte
Auf der Aachener Bühne thront eine weiß-gelbliches Gebilde, abgekauter Brotlaib und Gebirgskette gleichermaßen. Einmal gedreht wird er zur schrägen Bodenplatte für die Dorfidylle, Häuschen, Kirche im Miniaturformat – und zur Sitzfläche für den so sehr gewünschten Chor, der hier »DasDorf« heißt (Nola Friedrich, Thomas Hamm, Philipp Manuel Rothkopf und Janina Sachau). Kostümbildnerin Elena Gaus hat sie in Dirndl und Hosenträger in Komplementärfarben wie in der Negativfotografie gekleidet – staffierte Idyll-Figuren, die immer auch das Andere, das Bedrohlich-Ungute mit sich tragen.
Aus Unterthiners sprachkünstlerischem Text, der sich mit Leidenschaft durch Metaphern, Sprachspiele und Wortkonstrukte gräbt (»…der Ertrag des Boden / was dieser Boden alles tragen kann / ertragen kann er viel«), hat Regisseur Jakob Weiss ein schaurig-witziges Kammerspiel gemacht. »DasBrot« und »DieLandschaft« werden bei Elke Borkenstein zur elegischen Figur, getragen spricht sie fast wie eine weise Göttin. Maurice Läbe ist die extrovertierte, fast schon manische Autorin. So hält uns der Abend aber doch leider auch auf Distanz. Und die bedrohliche Nazi-Thematik, die einem beim Lesen schwer im Magen liegt, diese Vergangenheit, die uns in der Gegenwart längst eingeholt hat, wird auf der Bühne fast schon weggeredet. Das ist natürlich genau der Vorwurf, den die Autorin mitformuliert: Wir verdrängen unsere Schuld. DasDorf, die Gemeinschaft vertuscht und redet sich raus.
Miriam Unterthiner, die am Rande eines kleinen Bergdorfs aufgewachsen ist, lässt ihre Autorin auch von ihrem Großvater erzählen (und kritisiert die Selbstreflexion gleich mit: »Bitte nicht schon wieder so Autorin in den Text hineinlesen«). Genau das aber passiert im Folgenden: »…dass mein Großvater anno dazumal eben auch den ein oder andren Gast über den Brenner und dann bei sich zuhause – …«. Und jede Ellipse wirkt wie ein Stich.
Insgesamt ist der Abend eine erfolgreiche Begegnung von Autorin und Regisseur. Aber etwas mehr Mut zur Ellipse, zur Prägnanz durch Zurückhaltung, hätte auch der Inszenierung mehr Biss gegeben.
»Blutbrot«
Termine: 8., 19. und 30. November






