So hübsch, dieses Giftgas. Wie es da so verschmolzen in schwarzem Glas vor sich hinschimmert. Sinnlich und harmlos. Dabei hat Louisa Clement (hier geht’s zu unserem Besuch in ihrem Bonner Atelier) nichts anderes als in Glas gegossenes Sarin vor den Füßen der Marta-Besucher ausgebreitet. 2013 war der chemische Kampfstoff in Syrien sichergestellt worden, den Jahre später nun ein Abfallunternehmen in Münster in »unbedenklichen Sondermüll« verwandelt. Kriegsrelikte, in Spezialöfen hocherhitzt und dann formschön für den Straßenbau zerschreddert – ja, damit haben die Kuratorinnen Anne Schloen und Friederike Fast mit ihrem Team gleich eine sehr eindrückliche Installation in die Lange Galerie des Herforder Frank-Gehry-Baus gesetzt.
Denn Glas und Beton sind hier das Thema. In einer reinen Architekturausstellung? Keineswegs. Denn die klug kuratierte Gruppenschau ist mehr als nur ein Parcours aus Entwürfen oder Gebäudeplänen über zwei Baustoffe. »Manifestationen des Unmöglichen« bringt zusammen, was in der Architektur längst zusammengehört, in der Kunst aber ganz neue Sichtweisen ermöglicht – mit starken ästhetischen Gegensätzen, Sinnestäuschungen, aber auch Streifzügen in unsere Kunst- und Designgeschichte.
Wofür steht eigentlich Glas, wofür Beton? Das sind die Ausgangsfragen: Was beide verbindet, ist der Sand als immer knapper werdender Rohstoff. Was sie trennt, die Transparenz, die beim Glas allerdings auch eine trügerische ist – Fensterfassaden wirken unbeleuchtet wie ein schwarzer Block. Und die enorme Offenheit, die wechselseitige Durchdringung von Innen und Außen, gehört zwar zum Grundprinzip der Moderne. Thomas Florschuetz zeigt allerdings, dass Durch- und Einsichten nicht immer wechselseitig sind – seine Fotoserie über den (abrissreifen) Palast der Republik und seine legendäre Glasfassade erzählt eindrücklich vom Machtzerfall. Aber auch von Kalkül und Kontrolle. Während Kai Schiemenz Glas zu Skulpturen verschmilzt, die wie natürliche Kristalle wirken, matt-schimmernd und geheimnisvoll, scheint Martin Walde riesigen Industriezentrifugen ein neues Leben verordnet zu haben. Mühevoll hat er die Riesenapparate erneut erhitzt, zerknautscht, zerbeult – und dadurch aus ihrem Funktionalismus befreit.
Beton hat spätestens seit der Nachkriegszeit und seinem Einsatz als überaus günstiger, überaus flexibler Baustoff ein schlechtes Image. Unverputzter Sichtbeton, das steht vielerorts für unwirtliche Wohnmaschinen, brutalistischen Siedlungsbau, aber zugleich auch für den Ausdruck von Macht, Wohlstand und gesellschaftliche Utopien. Glas bricht Licht, intensiviert es sogar, steht für Offenheit – und zugleich für den Verlust unserer Privatsphäre nicht zuletzt im digitalen Zeitalter. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Ausstellung, in der Künstler*innen Glas und Beton arrangieren, hinterfragen, inszenieren, kombinieren. Es geht um Leichtigkeit und Schwere, Kunst zwischen Fließen und Erstarren, Künstlich- und Natürlichkeit. Oder um mit Isa Genzken zu sprechen, um Beton, der aus ihrer Sicht nichts anderes als »forcierte Natur« ist. Und um Glas, das Kiki Smith als Material mit »spirituellen Eigenschaften« sieht.
»Die Grenzen des Betons sind die Grenzen unserer Phantasie«, wird im magazinartigen Katalog der Baustoffexperte Bernd Hillemeier zitiert. Folgerichtig startet der Rundgang mit einem riesigen, raumhohen Mind-Map, das die enormen Möglichkeiten des Betons zeigt. Im Zentrum steht ein Foto des Pantheons in Rom, dessen gewaltige Kuppe auf die lange (Bau-)Tradition seit der Antike verweist. Wenige Zentimeter weiter sind die verwunschenen Betonkonstruktionen aus dem unwirklichen Surrealismus-Park von Edward James (1907-1984) in Mexiko, aber auch gigantische Ingenieurleistungen wie der Wolkenkratzer Burj Khalifa in Dubai zu sehen.
Auch die Marta-Architektur selbst bekommt eine interessante Rolle: Die Kuratorinnen haben nicht nur ihren Parcours nach den unterschiedlichen großen, hohen, weiten und nicht immer leichten Ausstellungsräumen konzipiert. Sondern auch dazu eingeladen, mit dem Bau zu arbeiten. Durch die vorgeschalteten Rigips-Platten seiner tanzenden Wände lässt Frank O. Gehry den Künstler*innen Luft – im wahrsten Sinne des Wortes: Isa Melsheimer hat die Wandverkleidung zu einem kleinen Raum geöffnet und dann wieder mit gefundenem Bruchglas in Teilen verschlossen. »Zombies« hat Lena von Goedeke ihre quaderförmigen Arrangements genannt, die die Bestandteile des Betons selbst offenlegen: Sie hat Sand, Kies und Zement in Wannen gefüllt und sich durch die Feuchtigkeit in der Luft festigen lassen. Wie kuriose Bauteile ragen ihre Arbeiten nun in die Marta-Räume hinein – nur scheinbar fragil, denn eigentlich durchaus massiv und fest verankert.
Elin Hansdóttir hat tonnenschwere Betonplatten zu einer gerade durch ihren simplen Aufbau so eindrücklichen Installation perfekt ausbalanciert. Wenn man Beton sorgfältig behandelt, so soll es Tadao Ando einmal gesagt haben, würde er so schön wie Marmor. Allzu herrschaftlich sieht es in Louis de Cordiers Betonarbeit dann nicht gerade aus. Aber trotz aller Kargheit zeigt sein »Solo-Sleepingmodule« dann doch eins: unser Bedürfnis nach Rückzugsorten. Unser Wunsch nach Schutz. Anschmiegsam wirkt sein konkonartiges Gebilde dann doch irgendwie. Und umplatzieren lässt es sich wohl auch. Auf Wunsch auch mitten in die Natur? Ein Wohnmodul zum Mitnehmen. Beton zum Träumen – in Zeiten wie diesen vielleicht nicht die schlechteste Option.
»Manifestationen des Unmöglichen – Glas und Beton«
Bis 4. Oktober 2020, www.marta-herford.de