»Ein großes Zeitalter ist angebrochen. Ein neuer Geist ist in der Welt« – tief bewegt und absolut fortschrittsgläubig jubelt 1924 Le Corbusier. Der französische Architekt und seine optimistischen Kollegen waren erfüllt vom Willen, das Leben zu erleichtern, die Welt zu verbessern. Sie waren sicher, dass dies vor allem mit zeitgemäßer, zweckmäßiger Gestaltung zu erreichen sei. Sie erfanden radikal neue Formen – eine Ästhetik, die der Maschine folgt. Dem selbstbewussten Aufbruch der Kreativen zwischen den Weltkriegen widmet sich jetzt das Museum MARTa in Herford. Die Schau war im Sommer im Londoner Victoria and Albert Museum zu sehen und trägt den Titel »Modernism: Designing a New World«. »Modernism«, »Modernismus«, »Moderne«. Was die Begriffe bedeuten, ist nicht klar zu sagen. Sie bezeichnen oft unterschiedliche Phänomene. Der Londoner Ausstellungsmacher Christopher Wilk hat dagegen eine feste Vorstellung. Diese eigene, sinnvolle Definition legt er seiner Schau zu Grunde. Es ist weniger eine Stilsprache, die Wilk mit »Modernismus« bezeichnet. Vielmehr meint er jene fortschrittoptimistischen Ideen, die damals gleichzeitig an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Gruppierungen oder Schulen laut wurden und quer durch diverse künstlerische Gattungen ihren Niederschlag fanden – vor allem in Design und Architektur, aber auch in Foto und Film, Skulptur, Grafik und Malerei. Fernand Léger etwa trat um 1920 mit monumentalen Darstellungen »Moderner Objekte« hervor. In Herford ist er mit seiner malerischen Interpretation eines Propellers vertreten, vom Kollegen Willi Baumeister stammt die 1926 gemalte »Maschine mit rotem Quadrat«. Dazu passt Alexander Rodtschenkos »modernes« Arbeitsoutfit: Der russische Konstruktivist wollte wohl nicht länger als traditioneller Künstler dastehen und tauschte deshalb den Malerkittel gegen einen selbst kreierten Overall – eine Art Blaumann für Kreative.
Margarete Schütte-Lihotzky gehorchte dem funktionalen Zeitgeist 1926 mit ihrer Erfindung der superpraktischen Einbauküche. In der Schau ist ein Exemplar aufgebaut: Auf gut sechs Quadratmetern bringt sie neben dem Nötigsten noch allerlei Extras unter, ein ausklappbares Bügelbrett ist auch dabei.
Gehobeneren Ansprüchen wird Le Corbusier gerecht mit seiner luxuriösen »Villa Savoye« in Poissy. Auf dünnen Säulchen lagert der schicke, schneeweiße Quader im Grünen. Lange Fensterbänder sorgen für lichterfüllte Innenräume. Als Möblierung würde sich hier sicherlich Marcel Breuers frei schwingender Stuhl »B 32« gut machen. Ein Verdienst der Schau ist, dass sie die verschiedenen Ansätze zusammenbringt, im Nebeneinander der rund 400 Stücke Parallelen aufzeigt und den »Modernismus« als Bewegung veranschaulicht, die gattungsübergreifend quer durch Europas wirkte. In Russland war es der Konstruktivismus, der sich zur modernen Technik bekannte und einfache geometrische Formen bevorzugte. In den Niederlanden war es »De Stijl« mit Künstlern wie Mondrian und von Doesburg, die sich den reduzierten Gestaltungen verschrieben und alles Zufällige oder Bildhafte ablehnten. In Deutschland öffnete 1919 das Bauhaus mit dem Ziel, alle Künstler in idealer Einheit zu verbinden. Das Manifest aus dem Gründungsjahr zeigt auf dem Titelblatt Lyonel Feiningers kristalline »Kathedrale der Zukunft «, von fünfzackigen Sternen überstrahlt.
Nach den Gräueln des Ersten Weltkriegs hatte der Modernismus als Utopie begonnen; die Schau verfolgt seine relativ kurze Geschichte bis in die 30er Jahre. Kurz widmet sie sich seinem Fortleben in den reaktionären und faschistischen Regimes, die nun in Europa erstarken. Dann wechselt der Schauplatz: Der Blick geht über den Ozean in die USA, wo die Vermassung der »modernistischen« Formensprache um sich griff. Von den einstigen Utopien, der Begeisterung, den Visionen ist nichts mehr zu spüren in den runden Radios, in der schnittigen Limousine oder der ergonomisch geformten Pocketkamera. //
Bis 7. Januar 2007; Tel.: 05221/99 44 30-0; www.marta-herford.de