Konsumforscher haben ermittelt, dass in einem durchschnittlichen Haushalt vor 150 Jahren rund 150 Gegenstände zu finden waren; inzwischen umfasst er circa 20.000 Objekte – ein Riesenarsenal, das vom Zahnstocher bis zum Kleiderschrank reicht. Leicht auszumalen: Mit der Inflation der Konsumgüter korrespondiert das Überhandnehmen des Weggeworfenen. Dass es so nicht weitergeht, dass wir unseren Planeten vermüllen und unverantwortlich mit den begrenzten natürlichen Ressourcen umgehen, diese Einsicht machte sich spätestens in den 1980er-Jahren breit. Seitdem ist unser Wortschatz gewachsen: Begriffe wie Recycling und Upcycling (Wiederverwendung plus Wertzuwachs), Zero Waste und Slow Fashion stehen für das Bemühen, aus dem Hamsterrad des Instant-Verbrauchens auszusteigen. »Buy less, choose well, make it last«, empfiehlt beispielsweise die Modedesignerin Vivienne Westwood. Bekanntlich führt von der Diagnose nicht immer ein gerader Weg zur Therapie. Und so hapert es nach wie vor oftmals an der Verwirklichung hehrer Ideale wie Umweltschutz, schonender Umgang mit Ressourcen oder Nachhaltigkeit.
Mit gutem Beispiel voran geht der »Arbeitskreis Recycling« (AKR) – und das seit 1984. Mit seinen »RecyclingBörsen« hat der Herforder Verein tausende Tonnen von ausrangierten Wertstoffen in den ökonomischen Kreislauf zurückgebracht. Zudem betreibt der AKR in der Herforder Region acht Kaufhäuser und Cityläden, wo Second-Hand-Ware verkauft wird. Kreative Impulse beim Umgang mit Krempel und Kehricht beschert der »RecyclingDesignpreis – Ausgezeichnete Ideen«, den der Arbeitskreis seit 2005 gemeinsam mit dem Marta Herford auslobt. An der zehnten Ausgabe des Wettbewerbs beteiligten sich rund 350 Designer*innen und Künstler*innen. An der Dotierung des Preises kann das kaum liegen – der Sieger erhält lediglich 2500 Euro, der zweite dürftige 1000 Euro, der dritte bloß 500 Euro. Und dann gibt es noch einen neuen Sonderpreis, den die Berliner Stiftung FUTURZWEI mit 1000 Euro ausgestattet hat. Der eigentliche Mehrwert für die Teilnehmer*innen dürfte im Prestigegewinn liegen, der mit der aktuellen Sonderausstellung in einem renommierten Museum verbunden ist. Hier kann man rund 35 Projekte in Augenschein nehmen, die eine Jury ausgewählt hat. In den Beiträgen geht es um Transformationsdesign und Materialforschung, Kreislaufwirtschaft und Social Design.
Masken-Mantel und Materialerkundung
Weil sich Kunst, Architektur und Design im 2005 eröffneten Bau von Frank Gehry programmatisch durchdringen, erscheint das Marta für eine solche Präsentation besonders geeignet. Zumal der Designer Oliver Schübbe aus gebrauchten Materialien spielerisch und leicht wirkende Displays entworfen hat, auf denen das Recycling-Design bestens zur Geltung kommt. Haneul Kims Hocker allerdings benötigen kein Podest. Der Koreaner gewann mit seinem Gebrauchsmöbel »Stack and Stack (In Pandemic)« den ersten Preis. Mit seinen stapelbaren Hockern reagiert der 24-Jährige auf den enormen Verbrauch medizinischer Schutzmasken während der Corona-Krise. Er selbst entsorgte rund 30 Einwegmasken pro Monat; weltweit landeten circa 130 Milliarden Masken auf dem Müll, hat Haneul herausgefunden. Pro Hocker benötigt er rund 1500 Masken, die er in einer Holzform per Heißluftgebläse zum Schmelzen bringt. Die Einzelteile aus erhärtetem Polypropylen lassen sich zu Hockern zusammenstecken. Deren Look geht zurück auf die Farbigkeit der Masken – von zurückhaltendem Beige bis Quietschbunt weist Haneul Kims Kollektion eine vielfältige Palette auf.
Vergegenwärtigt man sich, in welchem Ausmaß das Tragen von Masken während der Corona-Pandemie das öffentliche Leben geprägt hat, verwundert es nicht, dass Infektionsschutzmasken bei Recycling-Designern hoch im Kurs stehen. Zwei weitere Teilnehmer des Wettbewerbs, Friedrich Gerlach und Felix Stockhausen von der Bauhaus-Universität Weimar, veredelten FFP2-Masken zu Zahnbürsten. Selma Neuhausen kreierte einen »Masken Mantel«. Und beim »RecylingDesignpreis für Schulen«, dessen Ergebnisse in der Präsentation in einem eigenen Raum vorgestellt werden, standen Schutzmasken als Ausgangsmaterial ebenfalls hoch im Kurs.
Im Trend beim Herforder »RecylingDesignpreis« sind auch Beiträge auf dem Feld der Materialerkundung. Mit ihrem Verbundwerkstoff »Vecchie Mura« gewannen Domenico Fama und Laura Muschalla den zweiten Preis. Die magische Mischung, mit der die beiden Architekturstudent*innen der Technischen Hochschule Ostwestfalen Lippe, Detmold, für Nachhaltigkeit sorgen, besteht aus 30 Prozent Kalk und 70 Prozent speziell aufbereitetem Bauschutt. »Vecchie Mura« ist eine echte Alternative zum Beton – und beinahe ein Alleskönner: Das Material lässt sich als Fertigputzmischung oder Wandpaneel nutzen, doch eignet es sich ebenso für Oberflächen von Tischen oder Küchenmöbeln.
Einen Beitrag zum nachhaltigen Bauen leistet auch das mit der Bronzemedaille ausgezeichnete Projekt »Pretty Plastic«. Hester van Dijk, Reinder Bakker und Peter van Assche, drei niederländische Designer*innen, tüftelten seit 2015 an einem Verfahren, wie man PVC-Kunststoffe von ausrangierten Bauprodukten wie Fensterrahmen, Fallrohren oder Regenrinnen wiederaufbereiten kann. Des Rätsels Lösung: »Pretty Plastic«, eine Wandverkleidung aus Schindeln, im Außenbereich nahezu universell verwendbar, ebenso robust wie ressourcenschonend.
Eine Jacke aus Kiefernrinde
Als Exponat einer Ausstellung im Kunst- und Designkontext ist das nette Plastik freilich alles andere als ein Eyecatcher. In dieser Hinsicht macht das Projekt »MHLD – Multifunctional Hybrid Laundro Drive« deutlich mehr her. Ausrangierte Textilien, aber auch Kinderwagen, Kabelbinder und anderes Strandgut im öffentlichen Raum hat das siebenköpfige Kollektiv STREETWARE in seinen kreativen Reißwolf eingespeist. Die auf diese Weise produzierten Outfits, mit dem Sonderpreis der Stiftung FUTURZWEI bedacht, erinnern an die Skulpturen von Isa Genzken. Ähnlich wie deren Werke kommen die „MHLD“-Kreationen als Zwitter aus Street Fashion und Ready-mades daher.
Beim Rundgang durch die Ausstellung lernt man, was alles als Kandidat fürs Recycling-Design in Betracht kommt. Die Liste ist potenziell unendlich. Gersten-Reststoff, der in einer Brauerei anfällt, erlebt ein Revival als Presskorn (Theresa Tropschuh). Schrott aus einem Orthopädietechnik-Unternehmen kann als Kräuterwiege nützliche Dienste in der Küche leisten (Lilli Gruber). Und Kiefernrinde taugt überraschenderweise als Grundstoff für eine elegante Jacke (Johanna Hehemeyer-Cürten, Charlett Wenig). Dass man aus Altglas wunderschöne Glasgefäße herstellen kann (Steffen Mau/maudesign), mutet angesichts solch exotischer Wege der Wiederverwendung beinahe schon konventionell an. »Die Wahrheit der Dinge lässt sich am besten aus dem Abfall lesen«, hat der Philosoph Roland Barthes gesagt. Aus diesem Blickwinkel trägt die Marta-Ausstellung unbedingt zur Wahrheitsfindung bei. Sehenswert ist sie obendrein.
Marta Herford
bis 23. Oktober