Design im Alltag. Diesmal: der Sarg
»Erdmöbel« – so haben sie zu DDR-Zeiten, sagt man, in sozialistisch-euphemistischen Funktionärsdeutsch den Sarg bezeichnet. Ob wahr oder nicht: Irgendwie passt das: letztes Möbelstück des Lebens. Die Ewigkeit in Eiche rustikal.
Die Sache hat eine lange Tradition – bereits in der Jungsteinzeit tauchten in Europa erste Baumsärge auf; der Stamm wurde der Länge nach gespalten und mit Fellen ausgelegt, die obere Hälfte diente als Deckel. Vor 9000 Jahren entwickelten die Ägypter den Sarg weiter, einfache Leute wurden in korbähnlichen Gebilden bestattet, während die Oberschicht mitsamt dem Pharao in prunkvoll verzierten Sarkophagen, beladen mit allerlei Grabbeigaben, Richtung Ewigkeit fuhr. Die Formensprache des Sarges änderte sich – neben Behältnissen, die die Körperform des Toten nachempfanden, tauchten auch erste Särge in der heute weit verbreiteten Hausdachform auf, deren Deckel nicht gerade, sondern in einem bestimmten Winkel zur Mitte hin abgeflacht sind. Wie in anderen heißen Ländern wurden auch in Ägypten die Toten zügig begraben; Holz für einen Sarg ist in einem Wüstenstaat in der Regel rar. Etwa 2000 Jahre vor Christus verbreiteten sich in Europa die ersten geschreinerten Brettersärge für Erdbestattungen; im Laufe der Jahrhunderte werden, je nach Kultur, die Toten zunehmend verbrannt. Erst im düsteren Mittelalter ging es wieder verstärkt unter die ebenso düstere Erde – das einfache Volk wird für die Bestattung in Leinentücher gewickelt, während die privilegierte Klasse in Steinsärgen oder mit Metall beschlagenen Holzsärgen die letzte Ruhe fand.
Heute ist man auch auf seinem letzten Weg nicht vor Kitsch gefeit. Der gutbürgerliche Holzsarg ist immer noch weit verbreitet, quasi der Volkswagen unter den Begräbnisbehältnissen; die Individualisierung der Gesellschaft macht aber auch vor dem Totenschrein nicht halt. Da gibt es mattschwarze Designer-Särge in kantiger Stealth-Optik oder Modelle in futuristischer Ei-Form – ähnlich jenem Behältnis, in dem Spock in »Der Zorn des Khan« aus dem Torpedoschacht der Enterprise in die vermeintlich ewigen Jagdgründe davonglitt. Und wenn ein Schalker oder Borusse kurz nach seiner Geburt vom Vater direkt beim Verein angemeldet wird, dann ist es nur folgerichtig, dass dieser dann am anderen Ende des Lebens, in einem in den entsprechenden Vereinsfarben lackierten Sarg beerdigt wird. Im Fall von Schalke geht das sogar auf einem eigens angelegten Gräberfeld in Fankurven-Architektur. Völlig abgefahren sind hingegen die »Cruisin Caskets« aus dem kalifornischen Sun City – Särge in Form amerikanischer Straßenschlitten, Custom Cars und Hot-Rods; detailliert und stilecht nachgebaut aus Fiberglas und Stahl, lackiert in schillerndem Metallic und bestückt mit Chromleisten.
Alles vergebliche Strategien, vom Ernst der Lage abzulenken, um der Trostlosigkeit des Begräbnisses ihren Schrecken zu nehmen. Es hilft wahrscheinlich, ändert aber nichts. In den USA rückt der Tote in den Mittelpunkt, durch aufgeklappte Truhensärge wird dort von Angesicht zu Angesicht Abschied genommen. In religiösen Kreisen möchte man diesen Augenblick für immer konservieren und fertigt durchsichtige Reliquienschreine – so liegt im Petersdom die Ganzkörperreliquie des Papstes Johannes XXIII. hinter Glas. Auch Schneewittchen fand im Märchen in einem gläsernen Sarg ihre Ruhe, bevor sie vom Prinz aufgeweckt wurde, was uns wieder zum Design führt, nämlich zum avantgardistischen Plattenspieler »Braun SK 4« von Dieter Rams aus dem Jahre 1962. Der Designklassiker hatte wegen seiner Abdeckung aus Acrylglas schnell seinen Spitznamen weg – »Schneewittchensarg«.