Kleidungsstücke mit Wert. Perfekt konstruierte Designs aus langlebigen Stoffen, angelehnt an traditionelle Schnitttechniken. Moderne Ausdrucksformen, die länger als eine Saison überdauern. Die Mode des Düsseldorfer Designerbrands 22/4_HOMMES_FEMMES entzieht sich ganz bewusst jeglichen Trends und Zuweisungen. Angelehnt an das traditionelle Schneiderhandwerk, ist die High-End-Kollektion der Designerin Stephanie Hahn ein zeitgemäßer Gegenentwurf zu Fast Fashion. Alle Stoffe und Zutaten kommen aus europäischen Manufakturen, werden teils sogar exklusiv für Hahn gewebt und im Düsseldorfer Atelier von Hand verarbeitet – zu limitierten Editionen saisonunabhängiger Stücke gemacht fürs Leben. Als »anti-inflationär« beschreibt Stephanie Hahn ihre Kreationen. Entlehnt sind ihre akkurat geschneiderten Blazer, Westen und Mäntel, weiten Hemden und Hosen aus dem Bereich der klassischen Männermode, dem Tailoring.
»In der Männermode gibt es sehr klare Regeln, was ich extrem spannend finde. Denn wenn man Regeln kennt, kann man sie brechen. Es fasziniert mich, über eine gefühlte Grenze zu gehen«, sagt die Modedesignerin. Kultur ist dabei ihr ständiger Begleiter und inspirierende Referenz zum aktuellen Zeitgeschehen. Objekte, Design, Musik, Bilder und Kunst prägen bei 22/4_HOMMES_FEMMES das Grundgerüst der Ideen und Entwürfe. Der französische Name impliziert eine Verschmelzung der ursprünglichen Abgrenzung von klassischen Damen- und Herrenkollektionen; so, wie sie viele Modemarken nach wie vor präsentieren. Geschlechterrollen faszinieren Stephanie Hahn seit Beginn ihres Modedesignstudiums an der AMD Akademie für Mode & Design in Düsseldorf. Ihre Entwürfe sind entgegen alter Stereotypen gefertigt, spielen mit den geschlechtlichen Gegensätzen, lösen sie sogar auf. Kleidung wird so zum Bindeglied zwischen heteronormativen Werten unserer Gesellschaft und der Loslösung von klassischen Rollenbildern.
Eigentlich wollte Stephanie Hahn Architektin werden. »Heute sehe ich in meiner Arbeit sehr viele Verbindungen zwischen beiden Disziplinen«, sagt sie. Während des Entwurfs habe man den dreidimensionalen Raum im Kopf – in der Architektur den Raum für, in der Mode den Raum um den Körper. Hahn arbeitet sehr konzeptionell, reflektiert, technisch. Hinterfragt sich immer wieder, legt Wert auf perfekte Schnitte und Passformen. Sie zeichnet noch händisch, arbeitet direkt an den Stoffen. Eine neue Idee für eine bestimmte Tasche oder Naht bespricht sie ausführlich mit Schnitttechniker*innen und Musternäher*innen. »Basis jedes einzelnen Kleidungsstücks ist eine Idee technischen Ursprungs«, beschreibt die Modemacherin. Schnitt und Nähtechnik, Funktionalität und Qualität sind ihr genauso wichtig wie die kreative Idee.

Hahns Weg zum international anerkannten Label war allerdings kein leichter. Seit Gründung ihrer eigenen Linie im Jahr 2008 hat sie ihre Arbeit immer wieder auf den Prüfstand gestellt. Die Kollektionen werden nonstop bewertet, von Einkäufer*innen, der Presse, den Kund*innen. »Das muss man erst einmal aushalten können«, sagt Hahn. Es sei geradezu trügerisch leicht, als junge*r Designer*in zu starten. Ein paar Stoffe, ein paar gute Ideen, das technische Know-how – mehr bedarf es nicht. Viele Nachwuchsdesigner*innen scheitern aber an dem finanziellen Druck und der Härte der Branche. Stephanie Hahn nicht.
Sie wagte den Schritt nach Paris, näher an die Avantgarde, wo sie einen eigenen Showroom eröffnete. 2013 wurde 22/4_HOMMES_FEMMES als eines der wenigen deutschen Label mit seiner Männerkollektion in den offiziellen Pariser Fashion Week Kalender aufgenommen. Hahn zeigte ihre Modenschau unter anderem im Palais de Tokyo zur selben Zeit wie Yves Saint Laurent oder Balenciaga. Und erlebte, dass in Frankreich Mode viel mehr Akzeptanz, Respekt und Ansehen genießt als in Deutschland. »Dabei ist Mode das stärkste nonverbale Kommunikationsmittel, das uns zur Verfügung steht. Es ist Ausdrucksform und Teil unserer Identität. Tag für Tag, immer und überall. Selbst wenn wir nichts anhaben, ist das ein Statement«, unterstreicht die Designerin. Mit Mode definieren wir, wie wir in der Gesellschaft gesehen werden möchten.
Impulse für neue Kollektionen findet Stephanie Hahn in den unterschiedlichsten Dingen. Mal ist es ein Fahrradfahrer im Pariser Straßenverkehr, der eine ganze Kollektion inspiriert. Mal ein faszinierendes Foto. Mal ein Song, der zehn Mal hintereinander im Atelier läuft. Manchmal ist es aber auch eine alte Kreation. Wenn sie durch ihre vergangenen Entwürfe geht und denkt: »Das ist eine gute Idee, warum hast du die nicht weiterverfolgt?« Im Designprozess selbst muss Hahn sich dimensionieren und sprudelnde Ideen erst einmal katalysieren und werten. In Hahns Worten: »Man braucht eine Laufrichtung, sonst wird es wild.« Als Designerin schöpft sie ständig aus sich selbst und muss gleichzeitig mit ihrem Kreativpotential gut haushalten. Denn die nächste Kollektion wartet. Der hohe Anspruch an sich und ihr Werk klingt aus jedem Satz von Stephanie Hahn.
Salon für nachhaltiges Design
»Mode ist meine Sprache. Ich kann nicht ohne. Als würde mir Farbe fehlen und Musik. Als würde man mir die Augen verbinden oder die Arme abschneiden«, beschreibt Hahn ihre Passion. Mode bedeutet für sie aber auch Entschleunigung, Nachhaltigkeit, Konzentration. Für die Modeindustrie wünscht sie sich, wie so viele, weniger Überproduktion und langsamere Rhythmen. Nach einem Jahr Sabbatical hatte sich Stephanie Hahn 2018 entschieden, umzudenken, denn über die Jahre des permanenten Schaffens im schnelllebigen Modezirkus sollte auch ihre Mode eine Entschleunigung erfahren. Es folgte der Rückzug aus Paris und eine neue Rückbesinnung auf das eigene Label – und ein physischer Raum, der dem Ganzen einen adäquaten Rahmen gibt. Vergangenes Jahr eröffnete sie mit LIVE LAB STUDIOS einen Salon und Store für nachhaltiges Design in Düsseldorf. Mit dem Open Space schafft Stephanie Hahn seither ihrer Vision eines neuen Luxus einen holistisch-nachhaltigen Raum, in dem Design, Mode, Kunst und Kultur vereint werden.
Alle Künstler*innen, Designer*innen und Wissenschaftler*innen, mit denen Hahn arbeitet, vertreten ethisches Denken und ästhetisches Handeln als Teil des Prozesses. »Wir glauben an das Gute im Luxus und möchten die Geschichten hinter den oftmals handgefertigten Einzelstücken erzählen«, sagt sie. Versteckt in einem palmenbewachsenen Hinterhof, fernab vom sinnentleerten Konsum, findet man hier »by appointment only« das Besondere, Schöne und Langlebige. Etwa Streetwear-Unikate der japanischen Marke Children of the Discordance, Premium-Strick aus Südafrika und gegossene Möbel aus recyceltem Plastik des niederländischen Designers Dirk Vander Kooij. Neben ihrer eigenen Kollektion präsentiert Hahn hochwertige Naturkosmetik aus Island, mundgeblasene Glas-Objekte von Jochen Holz sowie eine Auswahl an Büchern und Magazinen.
Entstanden ist auch ein Ort des Dialogs und des Austauschs, eine Plattform und Begegnungsstätte für den Diskurs über die Welt von Morgen. Auch mit der Frage, wie sich Mode in Zeiten der Pandemie weiterentwickeln wird, beschäftigt sich Stephanie Hahn aktuell. Was wird die Antwort der Mode als Barometer für politische, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen auf diese neue Herausforderung sein? Für Stephanie Hahn steht eines mit Sicherheit fest: »Die Antwort der Mode wird auch eine Antwort der Gesellschaft sein.«
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