Klar, dass es auch einen eigenen Ausweis geben musste. Mit Brief und Siegel sozusagen wollte »Turnvater« Bernd Dörr seine Produkte in die Welt schicken. So erfand er ein personalisiertes Schriftstück, eine Art Zertifikat mit eigener Unterschrift – und einem alten Tanzschulfoto. Denn wenn der Mülheimer Unternehmer auf eines spezialisiert ist, dann auf Unikate und den Vertrieb durchdesignter Erinnerung: Bernd Dörr produziert (vor allem) Taschen, aber auch Geldbörsen, Schlüsselanhänger, Kulturbeutel und Rucksäcke, die er aus alten Turnmatten und dem Leder ausrangierter Medizinbälle und Sportgeräte nähen lässt. Hinzu kommen das Label »Sarinee«, unter dem er Fahrradrucksäcke aus DDR-Matratzen und »Kultbag«, unter dem er Tragbares aus 2.-Wahl-Stoffen der Feuerwehr vertreibt.
Retro-Design könnte man das nennen, was er seit 1996 in einer Näherei in Polen und in seinem Lager in Duisburg entwickelt. Einen eigenen Laden gibt es nicht, dafür Händler in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die seine Taschen vertreiben. Nicht nur, weil sie robust sind, schlicht-schön und funktional. Wer seine Upcycling-Marke etwas näher betrachtet, landet schnell bei einem Stück deutscher Erinnerungskultur: »Jeder von uns kennt Turnhallen von innen, ihre Geräte und ihren Geruch«, sagt der Taschen-Designer und dass er dabei schmunzelt, hat natürlich auch mit der Ambivalenz zu tun, die wohl jeder mit dem einstigen Sportunterricht verbindet: Wer an ihn zurückdenkt, erinnert sich an Trillerpfeifen und quietschende Turnschuhe, an Spiel und Schweiß – alles Dinge, die mit Design auf den ersten Blick nur wenig zu tun haben. Und dann doch einiges: Das Material der »Zirkeltraining«-Taschen ist langlebig. Und es erzählt mit seinen Gebrauchsspuren eigene Geschichten.
Auf die Idee gekommen war Bernd Dörr 2007, als er beim Sperrmüll einen Haufen alter Turnmatten und einige defekte Sportgeräte in einem Duisburger Hinterhof entdeckte. Zuvor hatte er erste Taschen aus ausrangierten LKW-Planen, später kombiniert mit Bundeswehrdecken, genäht. Dazwischen auch Post- oder Reissäcke ausprobiert. Mehrfach wurde seine Upcycling-Marke mit nationalen und internationalen Designpreisen ausgezeichnet. »Anfangs habe ich viel rumtelefoniert und nach ausrangierten Sportgeräten gefragt«, sagt Dörr. Inzwischen kämen Direktoren und Sportlehrer aber auch auf ihn zu. »So sind bisher rund 150.000 Taschen entstanden«, sagt der Unternehmer. Und damit 150.000 Turnvater-Ausweise. Allerdings: Pauschenpferde, Sprungkästen oder Bocksprünge halten 20 bis 30 Jahre – der Retro-Nachschub aus Mülheim an der Ruhr, er bleibt begrenzt.