Auch interessant: Essen hatte bereits eine Fußgängerzone, bevor es so etwas offiziell überhaupt gab. Schon 1927 wurde die Limbecker Straße in eine »fahrverkehrsfreie Einkaufsstraße« umgebaut. Um den Zugang zu den dort angesiedelten Geschäften und Warenhäusern zu verbessern, wurde sie für Fuhrwerke und die ersten Autos gesperrt; das Kopfsteinpflaster musste einem geschmeidigeren Bodenbelag weichen. Erste Schritte auf dem Weg zur »Einkaufsstadt«.
Der große Boom der Fußgängerzonen in Deutschland kam aber erst nach dem zweiten Weltkrieg. Da waren die zerbombten Innenstädte für Stadtplaner*innen die willkommene Gelegenheit, gewachsene Strukturen radikal umzubauen oder alte Pläne wieder aus der Schublade zu zerren – wie bei der Kasseler Treppenstraße, die zwar aus einem städtebaulichen Wettbewerb hervorging, die ersten Ideen einer Achse quer durch die Stadt stammten aber bereits aus der 1930er Jahren, als Kassel zur Gau-Hauptstadt umgebaut werden sollte. 1953 wurde sie eröffnet. Heute könnte sie mit ihren garantiert wenig barrierefreien Treppenstufen und der niedrigen 50er-Jahre-Randbebauung eigentlich regelmäßig als soziale Skulptur an der documenta teilnehmen. 7000 Stufen für Kassel.
Die Fußgängerzone galt jahrzehntelang als ein Versprechen, um die Innenstädte vom Autoverkehr zu entlasten und zu attraktiven Einkaufs- und Flaniermeilen umzugestalten. Schaut man sich Bilder aus den Anfangsjahren an, ging die Rechnung auf. Die Straßen voller Menschen, dazu individuelle Straßencafés und eine halbwegs attraktive Stadtmöblierung aus bunten Beeten, Bänken und Brunnen, die – Achtung, Tourismusprospektprosa – »zum Verweilen einladen«. Und natürlich massig gutsortierte Fachgeschäfte, der Hauptgrund für das Volk, in die Stadt zu fahren.
Früher war zwar nicht alles besser, dennoch ist es um die Fußgängerzonen gegenwärtig nicht gut bestellt. Statt Abwechslung herrscht triste Uniformität. Die ewig gleichen Ketten, Modeläden mit neonfarbenen Angeboten und ewigem »SALE!«; auf urban getrimmte, zwangsduzende Kaffeedienstleister, dazwischen abgeklebte Schaufenster mit wehmütigen »Wir danken für ihre jahrelange Treue«-Schildern und die alten, leeren Warenhäuser. Onlinehandel, Shoppingmalls und Lockdown hinterlassen ihre Spuren. Schon vorher wurde gespart – Brunnen werden abgestellt, Blumenrabatten weichen pflegeleichten Immergrüngestrüpp, demontierte Bänke vertreiben nicht nur Obdachlose, sondern auch betagte Herrschaften auf der Suche nach einem Ruheplatz.
Um trotzdem die Leute zu locken, überbietet sich das Stadtmarketing mit austauschbaren Event-Ideen. In fast jede Innenstadt wird heute ein Riesenrad gezimmert, im Winter kann man künstlich eislaufen, um zu erkennen, dass die geschlossene Drogeriefiliale im Hintergrund nicht die Atmosphäre des Rockefeller-Centers hat. Weihnachtsmarktbuden, die ab Anfang November die Fußgängerzonen verstopfen, bleiben auch nach Silvester stehen und werden mit angetackerten Plastikblumen zum Frühlingsmarkt umdeklariert. So schließen wir diesen Text seufzend mit einem Romantitel von Selim Özdogan: »Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist.«