Die Zeiten, sie ändern sich. Auch im Werbefernsehen. 1988 schipperte Käpt’n Iglo noch mit einem weißen Segelschiff über die Meere, mit pittoreskem Bart und sonor synchronisiert von Wolfgang Völz, dem späteren Käpt’n Blaubär. An Bord hatte er eine Truppe singender Halbwüchsiger in Matrosenuniform, die nur mit Fischstäbchen zu besänftigen waren. Fast Food und Kinderarbeit – das geht 2020 nicht mehr. Heute hat ein jüngerer Käpt’n mit gestutztem Bart Dienst, der mit urbanen Umdiedreißigern den Sonnenuntergang genießt und über die »einfachen Dinge« sinniert.
Das Fischstäbchen sind indes dieselben geblieben. Rechteckig, in der Pfanne goldbraun gebrutzelt, dazu Kartoffelbrei oder Spinat. Perfektes Kindergeburtstagsessen. Das kubistische Lebensmittel schult zudem das Abstraktionsvermögen bei Heranwachsenden – merke: ein Fisch muss nicht unbedingt wie ein Fisch aussehen. Ein Fischstäbchen besteht nicht nur aus einem Tier, das kopf- und flossenlos zurecht gestanzt wurde, sondern aus mehreren Filets. Und nicht aus geschredderten Fleischteilen der Geflügelkonkurrenz, die als Golden Nuggets verramscht werden. Der britische Erfinder und Unternehmer Clarence Birdseye brachte die ersten Fischstäbchen im September 1955 in Großbritannien in die Tiefkühltruhen. In der Bundesrepublik waren sie ab 1959 im Handel, die DDR brauchte weitere zehn Jahre für den real existierenden Fischstab, hergestellt vom VEB Fischkombinat Rostock.
Verwendung finden diverse Arten von Weißfischen wie Kabeljau oder Alaska-Seelachs. Noch auf hoher See, an Bord des Fang-Trawlers, werden die Fische filetiert und auf Gräten kontrolliert. Diese Filets kommen, plan geschichtet, in rechteckige Formen und danach in die Tiefkühlung. An Land wird der Fischklotz in die passende Stäbchengröße gesägt, danach geht es in die Weiterverarbeitung.
In den letzten Jahren wurde die Produktpalette erweitert. Der Klassiker erfreut sich weiter größter Beliebtheit, in deutschen Supermärkten war es 2018 das Tiefkühlprodukt mit den höchsten Verkaufszahlen. Ergänzend liegen aber auch Modifikationen wie Lachs-, Vollkorn- oder Gemüsestäbchen im Frost der Truhen, schließlich will auch der Zeitgeist bedient werden. Verpackungsingenieure haben ebenfalls ihre Freude daran. Es gibt wohl kein Lebensmittel, was sich effizienter und platzsparender verpacken und lagern lässt – das Eckige muss ins Eckige.
Das haben auch kleine Baumeister entdeckt, die beim Essen die Stäbchen zu kühnen Mauern aufeinander schichten. Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, dass Iglo zusammen mit Lego auf die Idee käme, Fischstäbchen mit Noppen zu versehen, auf das stabilere Bauwerke entstehen. Dennoch: Mutters Satz »Mit Essen spielt man nicht!« sollte eigentlich für Law and Order am Esstisch sorgen. Hält sich bloß keiner dran. Googelt man mutig nach Fischstäbchenrezepten, hagelt es absonderliche Kreationen – als Auflauf, Schaschlikspieß, Döner oder unter Tonnen von überbackenen Käse begraben. Passend dazu sorgte vor einiger Zeit die westfälische Firma Dr. Oetker mit der Ankündigung der »Ristorante Pizza Bastoncini di Pesce« für Aufregung, was sich aber als Aprilscherz herausstellte. Pizza mit Fischstäbchen? Gab es dann doch nicht, aber damit kennt man sich in Bielefeld ja aus.